Sprunggelenksverletzungen machen allein 20 Prozent aller Sportverletzungen aus. Die häufigste Form ist das Supinationstrauma. Der erfahrene Sportarzt Dr. Jürgen Küchlin gibt Tipps, erklärt Details und widmet sich den Themen Prävention und Rehabilitation.

Abendblatt: Herr Dr. Küchlin, was genau versteht man unter einer Verstauchung an einem Gelenk?

Dr. Küchlin: Eine Verstauchung eines Gelenks ist die kurzzeitige, pathologische Verschiebung der Gelenkflächen gegeneinander mit dem Resultat, dass umliegende Gelenkstrukturen beschädigt werden.

Die Verstauchung des Sprunggelenkes wird im Volksmund als „Umknicken“ bezeichnet. Dabei kommt es durch Gewalteinwirkung oder unkoordiniertes Auftreten zu einer übermäßigen Einwärtsdrehung des Fußes, und man knickt über den Außenfuß (nach außen) weg. Dadurch werden die Gelenkkapsel, sowie die äußeren Bänder und Sehnen in Mitleidenschaft gezogen. Wenn dabei eines der Bänder reißt, spricht man von einem lateralen Bänderriss. Werden die Bänder „nur“ überdehnt oder gezerrt, so nennt man dies eine Verstauchung oder Distorsion.

Einige Männer neigen auf Grund ihrer ausgeprägten O-Bein-Stellung besonders zu einem Umknicken über die Fußaußenseite. Dies wird besonders dann noch begünstigt, wenn altes, an der Außenkannte schon abgetragenes Schuhwerk, getragen wird. Diesen Personen kann man solides Schuhwerk und Einlegesohlen mit einer erhöhten Außenseite empfehlen.

Abendblatt: An welchen Gelenken im Körper treten Verstauchungen bzw. Bänderrisse besonders häufig auf?

Dr. Küchlin: Mit Abstand am häufigsten kommt es zu Verstauchungen am Sprunggelenk. Doch auch das Kniegelenk ist anfällig für Sehnen-, Band- und Kapselverletzungen. Stürze auf die Schulter oder den ausgestreckten Arm sind stets ein Gefahrenherd. Beim Skifahren kommt es immer wieder zu Verstauchungen des Daumensattelgelenkes. Diese Verletzung ist daher auch als „Skidaumen“ bekannt.

Abendblatt: In welchen sportlichen Situationen entstehen Verstauchungen?

Dr. Küchlin: Spielsportarten bergen ein besonders hohes Verstauchungsrisiko. Grund sind die vielen abrupten Bewegungen und die Attacken der Gegenspieler. Tritt einem ein Gegenspieler z.B. gegen den Innenknöchel oder landet man auf dessen Fuß, so knickt man leicht nach außen weg. Stumpfe Hallenböden (häufig bei Hockey, Tennis, Handball) oder holprige Spieloberflächen (häufig beim Fußball) sind zudem verstauchungsgefährdend.

Im Ausdauersport treten Verstauchungen dagegen verhältnismäßig selten auf.

Abendblatt: Woran merkt man als Sportler, dass es sich um eine Verstauchung oder einen Bänderriss handelt?

Dr. Küchlin: Die meisten Sportler verspüren (z. B. am Sprunggelenk) einen starken, akuten Schmerz. Viele berichten, sie hätten einen unnatürlichen „Knacks“ im Sprunggelenk bemerkt.

Es kommt meist schnell zu einer Schwellung. Entsteht eine starke Schwellung, kann man davon ausgehen, dass etwas im Gelenk kaputt gegangen ist. Im Sprunggelenk sind dann meistens die äußeren Bänder gerissen oder die Gelenkkapsel geschädigt. Man sollte daher bei einer deutlichen Hämatombildung einen Arzt aufsuchen um abzuklären, was am Gelenk genau geschädigt ist, um adäquate Schritte einzuleiten und sich entsprechend verhalten zu können.

Abendblatt: Was kann man als Sportler sofort nach dem Auftreten einer Verstauchung oder eines Bänderrisses tun, als Erste-Hilfe-Maßnahme?

Dr. Küchlin: Bei einer Verstauchung mit oder ohne Bänderriss bietet sich prinzipiell das PECH-Schema an:

P - Pause, d.h. die Belastung unterbrechen und das verletzte Gelenk in der Folgezeit schonen.

E - Eis, d.h. ein in Eiswasser getränktes Tuch ums Sprunggelenk wickeln (durch Kühlung sollen sich die Blutgefäße zusammenziehen und es soll zu keiner weiteren Blutansammlung im verletzten Bereich mehr kommen).

C - Compression, d.h. durch Kompression des Verbandes wird das weitere Entstehen eines Blutergusses verhindert oder vermindert.

H - Hochlagern, d.h. man sollte das Bein die erste halbe Stunde vorsichtig hochlegen.

Abendblatt: Wie lange ist man als Sportler nicht in der Lage zu trainieren? Und wie kann die Heilung aktiv unterstützt werden?

Dr. Küchlin: Das hängt von der Diagnose des konsultierenden Arztes ab. Wenn es sich um eine harmlose Verstauchung handelt, wenn also nichts Strukturelles im oder am Gelenk kaputt gegangen ist und sich kein Hämatom gebildet hat, dann kann man den Trainingsaufbau von den Beschwerden des Sportlers abhängig machen. Man sollte das Gelenk am Anfang mit einem Tapeverband teilruhigstellen; und wenn der Sportler beschwerdefrei ist, darf er mit Laufen und koordinativem Training anfangen. Dies kann nach einer Woche schon der Fall sein

Ist jedoch etwas kaputt gegangen, z. B. ein Band gerissen, dann verlängert sich die Zwangspause. Ein gerissenes Band braucht etwa sechs Wochen um zu heilen. In dieser Zeit sollte das Gelenk nicht belastet werden. Man sollte jedoch darauf achten möglichst normal zu gehen, um in keine Schonhaltung mit Folgekomplikationen zu verfallen. Dabei können Tapestützverbände in der Anfangszeit helfen, die die physiologische Auf- und Abbewegung der Füße ermöglichen und gleichzeitig das Gelenk an den Seiten stabilisieren.

Abendblatt: Mit welchen Sportarten oder Bewegungsformen sollte man den Übergang in den Trainingsalltag einleiten?

Dr. Küchlin: Man sollte so bald wie möglich Sportarten und Bewegungsformen nutzen, die das verletzte Gelenk nicht belasten. Radfahren oder Fitnesstraining anderer Körperteile bieten sich an. Vorsicht jedoch vor Schwimmen nach einer Sprunggelenksverletzung. Beim Beinschlag führt man nämlich genau die Supinationsbewegung aus, die zu einer ungewollten Gelenkbelastung und Reizung führen würde. Daher ist Schwimmen in diesem Fall absolut kontraproduktiv.

Abendbatt: Ist die Einnahme von Medikamenten und die Anwendung von Salben ratsam?

Dr. Küchlin: Ja, nach einer Verstauchung mit Bänderriss empfehle ich die Einnahme von Antiphlogistika als Entzündungshemmer und Abschweller, damit sich das Hämatom möglichst rasch zurückbildet. Salben stehe ich zwar kritisch gegenüber, doch am Sprunggelenk liegen die Bandstrukturen direkt unter der Haut, deswegen können die Salben einen gewissen Effekt haben. Auch das Hämatom, das sich bildet, ist direkt unter der Haut und nicht wie bei einigen Muskelverletzungen tief im Muskel drin. Die Salbe hat bei (Sprunggelenks-) Verstauchungen also eine viel größere Chance die geschädigten Strukturen oder den Bluterguss überhaupt zu erreichen.

Abendblatt: Kann man durch die Verwendung von Tapeverbänden wesentlich früher wieder ins Training einsteigen?

Dr. Küchlin: Grundsätzlich nein. Ein Tapeverband kann zwar die meisten Bewegungen und Belastungen im Gelenk reduzieren, eine vollkommene Absicherung leisten kann er aber nicht. Man sollte die Verletzung wirklich auskurieren, um nicht den Heilungsprozess zu stören. Ich habe schon viele Sportler erlebt, die sich mit ihren Tape-Stützen so sicher fühlten, dass sie die von mir verordnete Pausenzeit nicht einhielten. Das Ergebnis war, dass sie mit ihren Verstauchungsverletzungen dadurch deutlich länger Probleme hatten. Tape-Verbände sind nur nach dem Abklingen der Beschwerden als zusätzliche Übergangsunterstützung sinnvoll.

Abendblatt: Ist das betroffene Gelenk nach einer Distorsion oder nach einem Riss (nach dem Ausheilen) so geschädigt oder in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt, dass es anfälliger für weitere Verletzungen ist?

Dr. Küchlin: Nein, wenn ein Bänderriss optimal nachbehandelt wird und die Zeiträume eingehalten werden, kann man davon ausgehen, dass das Band so verheilt, dass es nicht vermindert leistungsfähig ist.

Häufig ist diesbezüglich die Rede von „Schlottergelenken“, dies sind instabile Gelenke als Folge von ausgeleierten Bändern. Dafür bedarf es jedoch meist einer vielfachen Schädigung des Bandapparates des Gelenkes. Zudem sind genetische Ursachen hierbei meist der entscheidende Grund für eine chronische Instabilität.

Was jedoch in Ausnahmen passieren kann, ist, dass ein zerrissenes Band umschlägt/umklappt und sich aus diesem Grund nicht mit dem abgerissenen Gegenpart verbinden kann. In diesem Fall müsste man operativ nachhelfen.

Abendblatt: Wie kann man Verstauchungen und Bänderrissen vorbeugen, also präventive Maßnahmen ergreifen?

Dr. Küchlin: Die Interventionen von Gegenspielern kann man nicht aus der Welt schaffen. Dies wird in den Spielsportarten immer eine besondere Gefahrenquelle sein. Man kann sich aber selbst sehr gut vor Verstauchungen und Bänderrissen schützen, die auf eigenen koordinativen Mängeln beruhen. Ein ausgeprägtes und vielseitiges koordinatives und propriozeptives Training ist sehr ratsam, um sich selbst Geschicklichkeit anzutrainieren und dadurch gefährliche Situationen und Stürze gekonnt „austanzen“ zu können. Ich empfehle Formen des Seilspringens, Übungen auf Wackelbrettern und Gymnastikkreiseln sowie sportartspezifisches Geschicklichkeitstraining. All dies beschleunigt die Reizweiterleitung innerhalb des Körpers und hilft somit ein gekonntes Zusammenspiel zwischen den Signalen des zentralen Nervensystems und den Kontraktionsantworten der peripheren Muskeln herbeizuführen. Das Ganze, gepaart mit einer guten Fitness und einer ausgeprägten muskulären Führung der Gelenke, ist die beste Prävention.

Abendblatt: Herr Dr. Küchlin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.