Der neue Geschäftführer des HSV-Handball verbreitet bei seinem Amtsantritt Aufbruchstimmung. Präsident Andreas Rudolph zieht Lehren aus der Ära Frank Rost.

Hamburg. Einige Kilometer wird Holger Liekefett zu Fuß schon zurücklegen in den kommenden Tagen. Mit jedem einzelnen Mitarbeiter der HSV Handball Betriebsgesellschaft mbH & Co. KG will der neue Geschäftsführer einen ausgedehnten Spaziergang unternehmen. Und dabei werde er genau zuhören. „Ich will erfahren, was auf der Geschäftsstelle los ist, um mir ein klares Bild über die Struktur zu machen“, sagt Liekefett. Erst danach wolle er entscheiden: „Where are the right people on the bus?“ Die Wendung entstammt so ähnlich einem Management-Lehrbuch des US-Beraters James C. Collins. In diesem praktischen Fall soll sie wohl bedeuten: Welche der von Präsident Andreas Rudolph vor zwei Wochen gekündigten Mitarbeiter des Champions-League-Siegers können mit einem neuen Vertrag rechnen und welche nicht?

Liekefett, 51, streute bei seiner Vorstellung am Mittwochnachmittag im East-Hotel auf St. Pauli gern einmal einen englischen Satz in seine Worte. Nicht so penetrant, dass es abgehoben wirkte, aber genug, um den Eindruck zu vermitteln: Hier sitzt jemand, der das Geschäft versteht und der mit dem HSV einiges vorhat. Fans mobilisieren, Sponsoren akquirieren, so ließe sich der Arbeitsauftrag zusammenfassen, den Rudolph dem promovierten Biochemiker übertragen hat.

Eine gewaltige Aufgabe fürwahr. Einmal abgesehen von den hausgemachten Problemen des HSV – den ständigen Führungswechseln im Verein, den finanziellen Problemen, den schwankenden sportlichen Leistungen – durchlebt die ganze Branche eine Krise. Der Handballmarkt in Deutschland schrumpft, seitdem die Erfolge der Männernationalmannschaft ausbleiben. Die Spielpläne sind ebenso vollgestopft wie undurchsichtig. Und viele einstmals starke Ligen in Europa können es sich finanziell gar nicht mehr leisten, im Geschäft mitzumischen.

Um Aufbruchstimmung bemüht

Liekefett gab sich trotz der ungünstigen Startbedingungen erfolgreich Mühe, Aufbruchstimmung zu verbreiten. Er schwärmte von einer „Riesenchance“ und von einem „sehr guten Gefühl, dass wir viel bewegen werden“. Obwohl die Liste seiner Vorgänger beim HSV erschreckend lang ist – allein in dieser Saison schieden Frank Rost und Christoph Wendt als Geschäftsführer aus –, habe er keine Sekunde gezögert, den (unbefristeten) Job anzunehmen, den ihm Rudolph vor zwei Wochen anbot. Zumal er seine Anstellung im Management des deutschen Ablegers der Carlsberg-Brauerei nach insgesamt sechs Jahren Betriebszugehörigkeit gerade aufgegeben hatte. „Konzernmüde“ sei er gewesen: „Ich wollte wieder mehr die Zukunft gestalten und nicht die Vergangenheit verwalten.“ Er gründete eine eigene Beratungsfirma (3 Vau Consultants), aber bevor die Arbeit richtig beginnen konnte, kam schon der Anruf des HSV.

Mit dem Verein war Liekefett schon eng vertraut, für Carlsberg verantwortete er als Marketingleiter das Sponsoring-Engagement der Biermarke Holsten. Es habe seine Liebe zum Handball wieder aufgewärmt, die in Jugendjahren in seiner Heimatstadt Wolfsburg begonnen hatte. Dort spielte er bis zur A-Jugend-Oberliga, Spezialität Abwehr und Kreis, ehe Probleme am Sprung- und Kniegelenk seine aktive Laufbahn beendeten. Der Sport sei trotzdem sein Ding geblieben: „Handball ist Emotion pur, dauerhaft Action, nichts für Weicheier. Und die Spieler des HSV sind Superstars zum Anfassen. Aus diesen Zutaten müssen wir eine Marke machen.“

Rudolph zieht Lehre aus der Rost-Ära

In sportliche Belange gedenke er sich aber nicht groß einzumischen. Rudolph versicherte trotzdem, seinen „Traumkandidaten“ in alle Planungen einzubeziehen. Eine Lehre vielleicht auch aus dem gescheiterten Experiment mit Rost. Der frühere Fußballnationaltorwart hatte im August nach nur sechs Wochen aufgegeben, als ohne sein Wissen Zarko Markovic verpflichtet wurde.

Markovic gehört nun zu den sechs HSV-Profis, die Rudolph darüber informierte, dass ihre auslaufenden Verträge nicht verlängert werden. Die Maßnahme war Teil des Sanierungsplans, den Rudolph vor zwei Wochen vorgestellt hatte, als er eine Etatunterdeckung in Millionenhöhe einräumte. Von einer bedrohlichen Lage aber wollte der Präsident und Finanzier nichts wissen: „Die Liquidität ist gewährleistet, daher habe ich bezüglich der Lizenz keinerlei Sorgen.“ Jedoch werde der Etat für die nächste Saison geringer ausfallen als die für 2013/14 veranschlagten 9,5 Millionen Euro.

An den sportlichen Vorgaben hält Liekefett fest: „Unser Ziel muss sein, deutscher Meister zu werden. Und wirtschaftlich wollen wir den Turnaround schaffen.“ Letzteres ist seine Aufgabe. Dass er sie sich zutraut, daran ließ er keinen Zweifel. Zwei Unternehmen hätten bereits am Mittwoch per E-Mail konkretes Interesse an einem Sponsoring-Engagement beim HSV angemeldet. „Mein Netzwerk scheint also zu funktionieren“, sagte Liekefett.

Wenn Rudolph dann im Juni 2015 als Präsident ausscheidet, solle der Verein so weit sein, dass sich sein Gönner „entlastet“ fühle. Wie sich das in Zahlen ausdrückt, blieb offen. Derzeit steckt Rudolph schätzungsweise drei Millionen Euro pro Saison in den HSV.