Die HSV-Handballer verpassen beim 26:26 gegen Balingen den Anschluss an Kiel. Zur Pause lag das Schwalb-Team sogar noch zurück.

Hamburg. HSV-Trainer Martin Schwalb griff sich nur noch fassungslos in seinen ergrauten Dreitagebart. Hatte da Joan Cañellas wirklich gerade einen Siebenmeter einen ganzen Meter über das Tor hinweggedonnert? Und Welthandballer Domagoj Duvnjak einen Schrittfehler begangen?! „Das ganze Repertoire an Fehlern haben wir heute abgerufen“, stöhnte Schwalb nach dem blamablen 26:26 (11:12) der Bundesligahandballer des HSV Hamburg gegen HBW Balingen-Weilstetten. Dazu muss man wissen: Der HSV ist immer noch amtierender Champions-League-Sieger, die „Gallier von der Alb“ sind Tabellen-Drittletzter und bejubelten mit einem Freudentänzchen den wichtigen Punkt im Abstiegskampf.

Rechtsaußen Stefan Schröder fand in den Katakomben der O2 World noch klarere Worte als sein Coach: „Schon ein knapper Sieg wäre eine Enttäuschung gewesen, ein Unentschieden ist eine absolute Katastrophe. Wir haben noch nicht begriffen, was wir hier abgeliefert haben.“ Und der 32-Jährige, mit vier Treffern zusammen mit Duvnjak und Andreas Nilsson noch der zweiterfolgreichste HSV-Schütze hinter Cañellas, der neun Tore warf, schimpfte weiter: „Das war nicht das wahre Gesicht des HSV.“ Schröder muss es wissen, er will sich ja ab der kommenden Saison um die Vermarktung des Vereins kümmern.

Es war unerklärlich, was der HSV den 8133 Zuschauern anbot, zumal sich die Mannschaft auch mal ausnahmsweise eine ganze Woche hatte ausruhen können. „Wir waren total frisch“, sagte auch Nationalkeeper Johannes Bitter. An ihm lag es mit Sicherheit nicht, dass die Hamburger so enttäuschten. Auch in der Abwehr „haben wir gut gestanden“, sagte Schwalb. Ein bisschen konnte man noch dem furiosen Gäste-Torhüter Nikolas Katsigiannis Respekt zollen. An dem 31-Jährigen, der genauso wild umherfliegt wie seine langen Haare, war der HSV vor einigen Jahren auch mal interessiert gewesen. Am Sonntag wies er nach, warum.

Nein, alle Ausreden zählten nicht – der HSV zeigte ganz einfach eine erschütternd schwache Angriffsleistung. In der ersten Halbzeit hatten sie eine unterirdische Torwurfquote von 37 Prozent: Nur sieben von 19 Würfen zappelten im Netz. Und in der zweiten Halbzeit wurde es nicht viel besser. Der HSV konnte sich vor 8133 engelsgeduldigen Fans einfach nicht absetzen. Sinnbildlich war, als die Gastgeber in der 43. und 44 Minute eine doppelte Überzahl mit 1:2 Toren verloren. „Uns fehlte irgendwie die Vorspannung“, forschte Schwalb nach Ursachen. „Wir waren nicht konzentriert genug und nicht mit allen Sinnen bei der Sache“, meinte der spanische Superstar Cañellas. Man muss dem Team sicher zugute halten, dass es das Heimspiel Nummer eins war nach der alarmierenden Pressekonferenz von Präsident Andreas Rudolph („Wir sind ein Sanierungsfall!“). Und dass diese Worte und die erste Konsequenz, die Kündigung der Verträge mehrerer Geschäftsstellenmitarbeiter, an allen Beteiligten wohl nicht spurlos vorbeigingen. Zur Suche nach einem neuen Geschäftsführer gibt es laut Rudolph im Übrigen nichts Neues.

Trotzdem: Dieser Punktverlust war schon der vierte völlig unnötige in dieser Saison – nach der Auftaktniederlage zu Hause gegen Aufsteiger Bergischer HC und dem Remis gegen den TBV Lemgo ebenfalls in eigener Halle. Und das Ganze war umso bitterer, weil Abonnementsmeister THW Kiel (42:6 Punkte) am Sonnabend mit einer überraschenden 29:30-Pleite in Melsungen eine Steilvorlage geliefert hatte.

Aber anstatt noch einmal unverhofft ins Meisterrennen einzugreifen, fiel der HSV mit nun 38:10 Zählern sogar auf den vierten Platz zurück – hinter die nun punktgleiche SG Flensburg-Handewitt, die einen 31:20-Kantersieg bei den ersatzgeschwächten Füchsen in Berlin feierte. „Ach, es ist irrelevant für uns, wie Kiel spielt“, meinte Schwalb desillusioniert. „Wir müssen zusehen, dass wir wieder in die Champions League kommen.“

Auf dem Weg zur Rehabilitation wartet als Nächstes keine leichte Aufgabe. Am 9. März geht es zu Frisch Auf Göppingen, „die sind eine Heimmacht, das ist ein ganz heißes Pflaster“, warnte Schwalb. „Dann müssen wir Niveau ausstrahlen.“ Und Vorspannung! Der 50-Jährige hatte noch sichtlich zu knabbern an dem verschenkten Punkt ge- gen Balingen. Noch Sekunden vor dem Ende hatte sich Duvnjak bei 26:26 den Ball geschnappt, hatte sich in die Luft geschraubt. Und? Und? Und dann nur um Zentimeter links am Tor vorbeigeworfen. „Wenn ,Dule‘ den macht, ist hier alles gut und Ruhe“, haderte „Jogi“ Bitter, „so leider nicht!“

Tore: HSV Hamburg: Cañellas 9 (6 Siebenmeter), Schröder 4, Duvnjak 4, Nilsson 4, Pfahl 3, Lackovic 1, Hens 1. HBW Balingen-Weilstetten: Liniger 5 (4), Böhm 4, Tubic 4, König 3, Wolfgang Strobel 3, Schlinger 2, Martin Strobel 2, Häfner 2, Theuerkauf 1. Schiedsrichter: Grobe/Kinzel (Braunschweig/Bochum). Zuschauer: 8133. Zeitstrafen: 0;6. Siebenmeter: 8 (6 verwandelt), 5 (4). Torhüter: Bitter 15 Paraden/34 Würfe, Cleverly 1/8; Katsigiannis 11/29, Rutschmann 0/8