HSV-Chef Andreas Rudolph übt harsche Kritik an der Mannschaft. Trainer Schwalb gerät nach dem 35:35 gegen Lemgo unter Druck. Der Club läuft in der Liga den eigenen Erwartungen hinterher.

Hamburg. Es hätte alles so schön sein können. Ein Sieg gegen Lemgo, ein trainingsfreier Adventssonntag und das gute Gefühl, in Sachen Meisterschaft den nächsten Schritt in die richtige Richtung gemacht zu haben. Hätte, ja hätte Kentin Mahé in der Schlusssekunde den Arm um wenige Zentimeter weiter nach rechts gestreckt und den Ball statt gegen den Pfosten zu hämmern, hinter der Linie versenkt, hätte er es geschafft, einer miserablen Partie mit einem versöhnlichen Abschluss hinweg zu helfen.

Stattdessen kommt alles anders. Nach dem 35:35 (17:18) gegen den TBV Lemgo brennt es an allen Ecken. Nicht nur, weil ein wichtiger Punkt im Titelrennen fahrlässig weggeworfen wurde, wie die HSV-Handballer an diesem Sonnabend gegen mutige Lemgoer versagten, war denkwürdig. „Ein ganz, ganz herber Rückschlag“, schimpfte Präsident Andreas Rudolph, 58, der noch lange nach dem Spiel in der Kabine seinem Ärger Luft machte. Tatsächlich verdiente sich kaum einer der HSV-Profis an diesem Abend ein Lob. Mutlos, ohne Leidenschaft und vor allem ohne Zusammenhalt präsentierte sich ein Team, das in dieser Form im Titelkampf bald nichts mehr zu suchen haben wird.

„Jedem Spieler muss klar sein, dass er immer 150 Prozent geben muss. Das ist der Anspruch des HSV. Die persönlichen Leistungen haben heute gefehlt“, sagte Martin Schwalb, 50, der über 60 Minuten erneut auf viel Rotation, aber wenig Erfolg setzte. Die Rückraumschützen Zarko Markovic (rechts) und Petar Djordjic (links) fanden zu keinem Zeitpunkt ins Spiel, einzig Spielmacher Domagoj Duvnjak rackerte wie ein Berserker und war mit neun Treffern bei elf Versuchen einmal mehr bester Werfer. Wie der HSV in der kommenden Saison ohne den Kroaten, er geht zum THW Kiel, auskommen will, mag sich angesichts solcher Leistungen niemand ausmalen. Desaströs wie nie präsentierte sich vor allem die Abwehr, was dazu führte, dass Defensivrecke Davor Dominikovic und der Franzose Mahé sich lauthals auf dem Platz anfeindeten.

„Wir haben keine Stabilität gefunden, im Verbund war das nicht kompakt genug“, klagte Rechtsaußen Stefan Schröder und drückte damit noch diplomatisch aus, was Präsident Rudolph später auf den Punkt brachte: „Das war eine katastrophale Mannschaftsleistung und das von einem Team, in dem sich die einzelnen Spieler als Weltklasse bezeichnen.“ Der sichtlich angeschlagene Mahé haderte nicht nur mit seinem entscheidenden Fehlwurf: „Das war eines HSV unwürdig. Das tut weh, vor allem für die Mannschaft und für das, was wir noch vorhaben.“

Vor sich hat der HSV am Mittwoch mit dem TSV Hannover-Burgdorf (20.15 Uhr/AWD-Arena) einen unangenehmen Brocken und eine Partie, in der viel auf dem Spiel steht. Präsident Rudolph wird nicht müde, die Titelambitionen in der Handball-Weltstadt Hamburg zu unterstreichen. Der Pokal ist bereits futsch, die Meisterschaft steht auf der Wunschliste des HSV-Machers ganz oben, würde mit zwei weiteren Minuszählern indes in sehr weite Ferne rücken. „Das ist ein ganz schweres Auswärtsspiel. In dieser Form werden wir da nichts holen“, sagt Schröder. Während der HSV sich gegen Lemgo blamierte, sorgten die Recken am Sonnabend zeitgleich für den größten Erfolg ihrer Vereinsgeschichte. Mit einem 41:27-Sieg setzten sich die Niedersachsen gegen die Kadetten Schaffhausen durch und schafften erstmals den Sprung in die Gruppenphase des Europacups. Trainer Schwalb warnt vor einer „gestandenen Truppe“, die entsprechend selbstbewusst auf den taumelnden Champions-League-Sieger trifft.

Fraglich ist, wie lange Rudolph dem Trainer noch Zeit gewährt, den HSV an die Spitze zurückzuführen. Mit Talant Dujshebaev, 45, hat der Präsident bereits mehrfach seinen Wunschnachfolger genannt. Der Kontakt zu dem ehemaligen Coach von Atlético Madrid ist nie abgerissen. Mit jeder weiteren Pleite wird die Luft für Schwalb, der dann wohl ins Management wechseln würde, dünner. Mit Hannover und den Rhein-Neckar Löwen warten in den nächsten zwei von drei Bundesligapartien große Herausforderungen. Nach dem Punktverlust gegen den Tabellenzwölften hat der HSV sieben Minuszähler im Gepäck. Neben den Niederlagen gegen Kiel (vier Minuspunkte) und Flensburg (fünf) war das Remis am Sonnabend der zweite Patzer nach der Auftaktniederlage beim Bergischen HC. Das Tempo an der Tabellenspitze gibt weiter die Konkurrenz aus dem Norden vor.

„Wir müssen nicht mit den Zähnen knirschen“, sagte Schwalb und gab sich betont gelassen. „In der Bundesliga gibt jeder mal Punkte ab.“ Ganz so einfach wird das Remis angesichts des herzlosen Auftritts gegen Lemgo allerdings nicht abzuhaken sein. Mehr als der Punktverlust störte Rudolph, bekannt als leidenschaftlicher Handballer, der mangelnde Einsatz. Er kritisierte die Begeisterungsfähigkeit des Teams und zog erstmals Rückschlüsse auf die nach wie vor dürftigen Zuschauerzahlen. Mit den 7852 Besuchern in der O2 World war der HSV-Leitwolf ganz und gar nicht zufrieden: „Wir müssen uns überlegen, ob wir den Zuschauer damit noch faszinieren. Mit solchen Leistungen geben wir keine großen Vorlagen und lassen den Funken nicht überspringen. Wir müssen dahin kommen, dass die Halle wieder voll wird.“ Zumindest gegen Lemgo erwiesen sich die knapp 8000 Fans als wichtiger Pfeiler. Enttäuscht wurden sie am Ende trotzdem.

Das Schema

Tore HSV: Duvnjak 9, Lindberg 7/6, Djordjic 5, Cañellas 3, Markovic 3, Schröder 3, Toft Hansen 3, Lackovic 1, Mahé 1

Tore Lemgo: Herth 13/5, Hermann 9, Lönn 4, Lemke 3, Kehrmann 2, Zieker 2, Niemeyer 1, Pekeler 1

Schiedsrichter: Fabian Baumgart/Sascha Wild (Neuried/Offenburg)

Zuschauer: 7852

Zeitstrafen: 4; 6