Am Sonnabend ist der 62-Jährige nach einer langen Krebskrankheit in Hamburg gestorben. Die Fans wählten den eisenharten Verteidiger in die Jahrhundertelf des Kiez-Clubs.

Eine seiner schönsten Geschichten ging so: „Wenn ein junger Fußballer heute vorm Training über Kopfschmerzen klagt, wird er sofort zur Kernspintomografie geschickt. Und früher? Wenn du früher zu deinem Trainer gesagt hast, dass du Kopfschmerzen hast, hat der gerufen: Mensch Junge, geh ans Kopfballpendel, dann werden die Schmerzen schon weggehen.“

Walter Frosch hat diese Geschichte immer mit einem verschmitzten Lächeln erzählt. Sie handelt nur vordergründig vom Fußball. Im Grunde beschreibt sie sein Leben. So wie er es verstanden hat. Als Kampfzone. Und als Aufforderung, nicht gleich beim ersten Gegenwind umzufallen. Auch deshalb ist „Froschi“ beim FC St. Pauli von den Fans in die Jahrhundertelf gewählt worden. Am Sonnabend ist er nach einem unendlich langen Kampf gegen den Krebs gestorben. Am 19. Dezember wäre der legendäre Kiez-Kicker 63 Jahre alt geworden.

„Walter ist ganz ruhig und friedlich eingeschlafen“, sagt Gabi, seine Lebensgefährtin. Vor vier Wochen hatte Walter Frosch zu Hause einen Herzstillstand erlitten. Der Notarzt hat ihn reanimiert, zehn Minuten wurde sein Gehirn nicht mit Sauerstoff versorgt. „Froschi“ kam auf die Intensivstation des UKE, wurde dann in die Schön Klinik in Eilbek verlegt. „Er hat nicht mehr viel wahrgenommen, zuletzt bekam er Morphium, damit er keine Schmerzen hatte“, sagt Gabi. Unzertrennlich waren die beiden. Ein starkes Team. Sie war bis zuletzt an seiner Seite. „Um 15.25 Uhr ist er gestorben.“ Fünf Minuten vor Anpfiff des Bundesliga-Spieltages. Spieler wie ihn gibt es kaum noch in der höchsten deutschen Klasse. Schnell und zweikampfstark sind viele, 20 Gelbe Karten in einer Saison bekommen schon weniger. Walter Frosch aber ließ sich obendrein nie verbiegen. Und verzichtete dafür vielleicht auf die ganz große Karriere.

„Heute habe ich das Gefühl, die Bundesliga-Profis sind alle irgendwie gleich“, hat Walter Frosch gesagt. „Handy, Knopf im Ohr, dickes Auto, Gel im Haar, Lacoste-Pulli oder wie das Zeug heißt. Alle frisch gestylt, alle reden das Gleiche – und bei Windstärke 4 fallen sie um, die Spezialisten.“ Die Glatten und die Modischen, die Herausgeputzten und die Angepassten waren ihm immer suspekt. Er mochte die schrägen Vögel, die Unbequemen, die mit den krummen Biografien. Er war ja selbst ständig gegen den Strom unterwegs.

Als der gelernte Schornsteinfeger und Verteidiger des SV Alsenborn auf Empfehlung des 1954er-Weltmeisters Fritz Walter bei Bayern München vorspielte, brüllte ihn Trainer Udo Lattek beim ersten Training an: „Warum flankst du nicht mit links?“ Frosch: „Weil die anderen das auch nicht machen.“ Lattek: „Wenn du keine Lust hast, geh duschen.“ Frosch: „Mach ich.“ Er landete wieder beim 1. FC Kaiserslautern, wo er bereits einen Vertrag unterschrieben hatte. Nach einigen guten Spielen lud ihn DFB-Trainer Jupp Derwall in die deutsche B-Nationalmannschaft ein. „Froschi“ sagte ab: „Ein Walter Frosch spielt nur in der A-Mannschaft – oder in der Weltauswahl.“

Nach 43 Bundesligaspielen wechselte Frosch von Kaiserslautern zum Kiez. Er kam 1976 nach Hamburg, stieg ein Jahr später mit St. Pauli in die Bundesliga auf und wurde innerhalb von sechs Jahren zur Kultfigur. Lange Haare, Schnauzer, Kettenraucher. Der Liebling der Fans blieb dem Klub auch nach dem Lizenzentzug 1979 treu. Hamburg war längst seine zweite Heimat.

Walter Frosch ist ein St.-Pauli-Urgestein, aber er gehörte nie zu denen, die eine besondere Rivalität zum HSV pflegten. Ganz im Gegenteil. Mit Uwe Seeler verband ihn eine Freundschaft, das HSV-Idol war Gast auf seinem 60. Geburtstag im Elysée-Hotel vor knapp zwei Jahren. „Für mich war St. Pauli noch nie besser als der HSV“, hat Frosch immer gesagt. „St. Pauli wird immer die Nummer zwei bleiben in Hamburg. Auch wenn wir in der Bundesliga mal 2:0 gewonnen haben, hatte der HSV allein von den Namen her ja immer die bessere Mannschaft. Der HSV ist in ganz Europa und darüber hinaus bekannt. Wenn du St. Pauli hörst, denkst du meist nicht an den Fußballverein, sondern zuerst an den Kiez und die Reeperbahn.“ Mag sein, dass Walter Frosch mit diesen Sätzen nicht jedem St.-Pauli-Fan aus dem Herzen gesprochen hat. Gestört hat ihn das nicht wirklich.

Nach 170 Spielen und 22 Toren im St.-Pauli-Trikot kickte „Froschi“ noch für Altona 93. Als er 1985 die Fußballschuhe auszog, betrieb er erst die Kult-Kneipe Frosch im Falkenried, dann das Restaurant antikes am Siemersplatz und schließlich das Klubheim des SC Victoria. Für die blau-gelben Senioren schnürte er noch einmal die Fußballschuhe. Seinen schwersten Kampf aber hatte er noch vor sich. Und der fand außerhalb des grünen Rasens statt.

1996 wurde ihm ein bösartiger Tumor im Gaumenbereich zusammen mit Teilen des Zungenrandes entfernt. Die Operation dauerte siebeneinhalb Stunden. Hinterher sagte er: „Ich habe im Krankenhaus viele gesehen, denen es viel schlechter geht als mir.“ Viel schlimmer sei es doch, wenn Kinder an Krebs erkranken. Er hatte doch in vollen Zügen gelebt, sollte das heißen. Ab sofort verzichtete Frosch auf Alkohol und Zigaretten, von denen er zuvor 60 Stück am Tag geraucht hatte.

Zwei Jahre später wurde ihm aufgrund der zahlreichen Bestrahlungen zur Stabilisierung der angegriffenen Knochen eine Platte im Halswirbelbereich eingesetzt. Vor fünf Jahren entdeckten die Ärzte ein Loch in der Lunge. Sie entfernten ihm einen Teil seines Lungenlappens. Nach einer schweren Blutvergiftung wurde er ins künstliche Koma versetzt, als kein Antibiotikum mehr anschlug.

Als er nach 111 Tagen erwachte, sagten sie ihm, er werde wohl nicht mehr sprechen können und ein Pflegefall bleiben. „Froschi“ lernte erst schlucken, dann sprechen, dann gehen. Er wurde künstlich ernährt, über eine Magensonde bekam er dreimal am Tag jeweils einen 700-Gramm-Beutel Fresubin Energy. Eine Trachealkanüle am Hals stellte sicher, dass nichts Falsches von der Speise- in die Luftröhre gelangte. Wenn er dort auf einen roten Knopf drückte, konnte man seine Worte auch verstehen.

Irgendwann konnte er einen Fußball mit der Innenseite wieder 20 Meter weit passen. Er fuhr in der Rehaklinik erst anderthalb Minuten auf dem Fahrrad – und schaffte bald vier Minuten. Er ging dreimal in der Woche zu einer Logopädin und konnte dann das Wort „Mutter“ im Zusammenhang aussprechen. Seine Mutter ist 88 Jahre alt. Er sagte: „Solange sie lebt, werde ich in der Pfalz beerdigt.“ Er sagte auch: „Ich will irgendwann wieder Fußball spielen und werde über 80 Jahre alt.“ Er kämpfte sich ins Leben zurück. Ärzte, die ihn gut kannten, sagten, dass für einen Walter Frosch schon lange keine medizinischen Maßstäbe mehr gelten würden.

Vor sechs Wochen ist Walter Frosch ins Israelitische Krankenhaus gekommen. Der Krebs war zurückgekehrt in diesen schmächtigen, zähen Körper, der nun schon 17 Jahre gegen den tödlichen Angreifer gekämpft hatte. Die Ärzte in Regensburg hatten bei der Operationen nicht den gesamten Tumor entfernen können. Nun war noch eine Lungenentzündung dazugekommen.

„Froschi“ lag im Erdgeschoss in einem Einzelzimmer. Wer ihn besuchte, musste sich Schürze und Haube, Handschuhe und Mundschutz anziehen. Wie gehts, Froschi? „Gut.“ Das Sprechen fiel ihm schwer, man konnte nicht jedes Wort verstehen. Hast du Schmerzen? „Überhaupt nicht.“ Er sagte, er würde jetzt sechs Wochen lang jeweils vier Tage hintereinander zur Bestrahlung ins AK Altona gehen. Eine Tortur? „Anderen geht es doch viel schlechter.“ Hast du Angst vor dem Tod? „Nee.“ Gibt es ein Leben danach? „Quatsch.“

Sollte es aber im Himmel ein Kopfballpendel geben, werden wir ihn dort wiedertreffen.