St. Paulis Sportchef Rachid Azzouzi über die Konsequenzen aus dem 1:4 in Sandhausen und den festen Glauben an den Klassenerhalt.

Hamburg. Zwei Tage nach dem 1:4-Debakel beim SV Sandhausen wirkte der Sportchef des FC St. Pauli, Rachid Azzouzi, 42, wieder innerlich aufgeräumt und optimistisch. In der Geschäftsstelle im Millerntorstadion stellte er sich den Fragen des Abendblattes.

Hamburger Abendblatt: Herr Azzouzi, wie verarbeiten Sie eigentlich ganz persönlich solch ein Frusterlebnis wie jetzt das 1:4-Debakel in Sandhausen?

Rachid Azzouzi: Für mich ist der Tag danach das Allerschlimmste. Ich wache nach einer Nacht, in der an Schlafen kaum zu denken ist, auf und kneife mich, weil ich nicht glauben will, dass ich das wirklich erlebt habe.

Haben Sie seit Sonntag Angst vor dem Abstieg in die Dritte Liga?

Azzouzi: Direkt nach dem Spiel habe ich mir schon einige Fragen gestellt. Aber ich bin schon zu lange im Geschäft, als dass mich ein einzelnes Ergebnis zu irgendwelchen Schlüssen verleiten kann. Ich habe schon in der Vergangenheit immer gesagt, dass wir nach hinten schauen müssen. Das hat sich jetzt nicht geändert. Natürlich war ich von der Art, wie die Niederlage zustande kam, sehr enttäuscht. Aber wir haben es noch immer selbst in der Hand, alles zum Guten werden zu lassen. Wir müssen uns nur bewusst werden, dass wir keine Chance haben, wenn wir so wie am Sonntag auftreten. Grundsätzlich haben wir ja, seit Michael Frontzeck da ist, eine Stabilität gewonnen, die mich sehr zuversichtlich werden lässt, dass wir die Kurve kriegen.

Werfen Sie sich dann etwas vor, was Sie versäumt haben, etwa in der Winterpause doch einen neuen Spieler zu holen?

Azzouzi: Ich hinterfrage mich ständig, auch wenn wir erfolgreich sind. Wir gehen seit Sommer einen Weg, der alternativlos war und ist. 16 Spieler haben uns verlassen, darunter waren einige, die über Jahre das Gerüst bildeten. Das war ein großer Umbruch, nach dem man nicht glauben darf, dass man gleich wieder in der Spitze der Liga mitspielt.

Es bleibt aber die Frage, ob ein Team mit so vielen jungen Spielern wirklich die Nerven für den Abstiegskampf hat.

Azzouzi: Ich habe keine Angst, weil das nie der richtige Wegbegleiter ist, um seine Ziele zu erreichen. Wer mit Angst aufläuft, hat schon verloren. Man muss aber Ereignisse wie jetzt in Sandhausen richtig einordnen können und seine Schlüsse aus Ergebnissen und Entwicklungen ziehen. Ich habe auch deshalb keine Angst, weil ich gesehen habe, dass unsere Mannschaft es auch anders kann. Und zwar über einen längeren Zeitraum. Vor dem letzten Spiel hatten wir nur 22 Gegentore. Das war einer der besten Werte der Zweiten Liga. In der vergangenen Saison war Energie Cottbus mit vielen erfahrenen Spielern in Abstiegsgefahr, hat eine Entwicklung gemacht und spielt jetzt mit um den Aufstieg. Ich glaube, dass auch wir gestärkt aus so einer schwierigen Situation hervorgehen können. Klar ist aber auch, dass es uns belastet, mit nur 23 Punkten auf Platz 13 zu stehen. Wir waren aber auch schon 17. und sind da rausgekommen. Die Mannschaft hat den Charakter dazu.

Hatten Sie bei Ihrem Amtsantritt damit gerechnet, dass St. Pauli in Abstiegsgefahr geraten könnte? Schließlich war der Club zuvor Vierter gewesen.

Azzouzi: Mir war klar, dass wir kein Topfavorit der Liga sein würden, nachdem wir den torgefährlichen Max Kruse verloren hatten. Seine Qualität können wir nicht sofort ersetzen, sondern müssen Spieler dahin entwickeln. Aber ich hatte natürlich die Hoffnung, dass wir diesen Umbruch ruhiger vollziehen könnten. Ich habe auch immer gesagt, dass es für uns wie für Aachen, Karlsruhe und Bielefeld keine Garantie dafür gibt, dass wir immer in der Zweiten Liga spielen. Daher ist klar, dass wir mit allen Mitteln 40 Punkte holen müssen. Das Allerwichtigste ist, dass wir die Liga halten, damit wir die Entwicklung weiter fortsetzen können.

Was würde denn ein Abstieg in die Drittklassigkeit für die mittelfristige Planung bedeuten?

Azzouzi: Das wäre natürlich ein herber Rückschlag für den gesamten Verein, allein wenn man sieht, welch ein Stadion hier gerade entsteht. Aber das Leben wäre auch dann nicht zu Ende. Die Beispiele Karlsruhe und Bielefeld zeigen ja, dass es danach auch wieder bergauf gehen kann. Aber ich bin absolut überzeugt, dass wir die Klasse halten.

Es heißt, erfahrene Erstligaprofis wie Moritz Stoppelkamp und Christian Eigler wären sich vor einem Jahr schon mit Ihrem Vorgänger Helmut Schulte einig gewesen, zu St. Pauli zu kommen. Haben Sie bewusst auf beide verzichtet, um die Verjüngung des Teams voranzutreiben?

Azzouzi: Ich war bei den Gesprächen nicht dabei. Im Endeffekt haben sie sich mit 1860 München und Ingolstadt für Vereine entschieden, die in der Spitze mehr Gehalt zahlen können.

Wo steht St. Pauli in der Gehaltstabelle der Zweiten Liga?

Azzouzi: Mit Hertha BSC und Kaiserslautern müssen wir uns nicht vergleichen. Aber nur 13. sind wir sicherlich auch nicht. Beispiele wie Braunschweig und FSV Frankfurt zeigen, dass man auch mit einem geringeren Gehaltsbudget viel erreichen kann, wenn sich eine Mannschaft kontinuierlich entwickelt.

Hängt der mäßige Start ins Jahr 2013 womöglich auch damit zusammen, dass die fünf Leihspieler immer noch nicht wissen, wie es für sie weitergeht?

Azzouzi: Das Gegenargument ist, dass wir in der vorigen Saison auch fünf Leihspieler hatten und mit ihnen Vierter geworden sind. Ich glaube nicht, dass es leistungsmindernd ist, wenn man Leihspieler ist. Und ich bin überzeugt, dass gerade unsere Leihspieler sich hier sehr wohlfühlen. Aber grundsätzlich ist es für mich kein Modell, das Zukunft hat, mit Leihspielern zu arbeiten. Lieber nehme ich einen vermeintlich schwächeren Spieler, der ablösefrei ist, und versuche ihn, weiterzuentwickeln, als einen besseren, den ich nur ausleihen kann und vielleicht nach einem Jahr wieder verliere. Ich will das Heft des Handelns in der Hand haben und nicht mit dem Spieler, seinem Berater und dem ausleihenden Verein verhandeln müssen. Wobei ein, maximal zwei Leihgeschäfte in der Saison nicht immer auszuschließen sind.