Der Umbruch beim FC St. Pauli droht zu misslingen. Die Fehler sind allerdings nicht nur beim Trainer oder in der Mannschaft zu suchen.

Hamburg. Als ob er sich nicht hineintraue, spähte Michael Frontzeck zögerlich durch einen offenen Türspalt in den Container, in dem die Journalisten darauf warteten, dass er ihre Fragen beantwortet. Nachdem er entdeckt wurde, betrat er den Raum mit einem freudigen Lächeln: "Ich grüße euch!" Eine kleine Aufheiterung seitens des Trainers, die seiner tatsächlichen Laune so gar nicht entsprach. Denn kaum hatte der 48-Jährige Platz genommen, verfinsterte sich seine Miene, bei einigen Antworten, die ihm das Spiel und die Leistung seiner Mannschaft vom Sonntag noch einmal vor Augen führten, nahm die Lautstärke deutlich zu.

Frontzeck betonte zwar erneut, dass es solche Spiele wie das 1:4 gegen den Aufsteiger und Tabellenvorletzten Sandhausen immer wieder und in jeder Mannschaft geben könne, dass dies aber nicht zu entschuldigen und zu erklären sei. "Die Spieler haben jetzt einen Tag Zeit, um sich an die eigene Nase zu fassen. Ab Mittwoch will ich dann wieder eine Mannschaft sehen, die die Vorgaben von A bis Z umsetzt und den Geist entwickelt, wieder Spiele zu gewinnen", sagte er. Den letzten Pflichtspielsieg feierte der FC St. Pauli am 1. Dezember (1:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern). Zu diesem Zeitpunkt, dem Ende der Hinrunde, befand sich der Club auf dem Weg in gesicherte Tabellenregionen, hatte sieben Punkte zwischen sich und den Relegationsplatz gebracht und von den letzten acht Begegnungen nur die beiden gegen die Topclubs Hertha BSC und Braunschweig verloren. Es durfte vorerst aufgeatmet werden.

Vier Spieltage später ist klar: Es war nur ein Zwischenhoch. St. Pauli steckt wieder im Abstiegskampf. Und noch etwas wird immer deutlicher, je länger die Saison andauert: Der Mannschaft fehlt es an Substanz, an Qualität, an Erfahrung. Auch wenn er längerfristig angelegt ist: Der Umbruch, den der Verein nach dem Abstieg aus der Bundesliga 2011 begonnen und im Sommer 2012 fortgesetzt hat, ist vorerst misslungen.

Die Philosophie, fast ausschließlich junge Profis nach Hamburg zu holen, ist ehrenwert, in diesem Fall aber nicht erfolgreich. Mit einem Kader, der fast zur Hälfte aus Perspektivspielern besteht, den Abstiegskampf der Zweiten Bundesliga bestehen zu wollen, ist ein großes Risiko - und naiv. Der Mannschaft allein einen Vorwurf zu machen, würde der Situation nicht gerecht. Gleiches gilt für den Trainer, der mit dem Kader arbeiten muss, der ihm zur Verfügung steht. Die Gründe für den Absturz von der Bundesliga in den Abstiegskampf der Zweiten Liga innerhalb von eineinhalb Jahren liegen woanders.

Der Verein hat sich verändert - strukturell, aber auch sportlich. Die Ziele der Vereinsführung wurden zu Beginn der Saison ehrgeizig formuliert. Top 25 in Deutschland reiche nicht mehr, hieß es, als die Verpflichtung des neuen sportlichen Leiters Rachid Azzouzi bekannt gegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass Daniel Ginczek und Lennart Thy den Verein verstärken würden, aber auch, dass Max Kruse, der herausragende Spieler der Saison, nicht mehr im St.-Pauli-Trikot auflaufen würde. Azzouzi musste seine Arbeit mitten in der Transferperiode beginnen. Transfers, die sein Vorgänger Helmut Schulte ins Auge gefasst hatte - Christian Eigler (damals Nürnberg) und Moritz Stoppelkamp (Hannover 96) standen auf der Liste -, konnten nicht mehr realisiert werden.

Die Vorgaben für den neuen Sportchef waren andere. Das größte Versäumnis ist wohl, dass für Kruse kein adäquater Ersatz gefunden werden konnte. Mit den teilweise sehr späten Verpflichtungen - Christopher Avevor, Christopher Buchtmann, Akaki Gogia und Joseph-Claude Gyau - wollte der Club mit wenig Geld innerhalb kurzer Zeit ein konkurrenzfähiges Team aus jungen Spielern zusammenstellen. Azzouzi leistete sich mit Florian Kringe nur einen erfahrenen Spieler. Die Bilanz der offensiven Zugänge ist nach 21 Spieltagen schwach: Außer Rechtsverteidiger Avevor hat keiner von ihnen ein Tor erzielt, insgesamt wurden die Erwartungen nicht erfüllt, und nur selten war erkennbar, dass sie den FC St. Pauli in naher Zukunft dahin bringen können, wo der Verein sich mittelfristig selbst sieht. Die Last auf den Schultern der unter 21-Jährigen scheint zu groß.

Hinzu kamen die Irrungen und Wirrungen um die Entlassung von Trainer André Schubert nach sieben Spieltagen. Hätte man den Mut gehabt, sich bereits - wie ursprünglich geplant - im Sommer von ihm zu trennen, wäre Ruhe eingekehrt, die Spieler hätten die Möglichkeit gehabt, sich auf einen neuen Trainer einzustellen. So musste sich die Mannschaft neu ordnen, hat unter Frontzeck zwar einen Schritt nach vorn gemacht, ist aber nicht stabil genug, um die permanente Abschlussschwäche oder ein Spiel wie gegen Sandhausen einfach so wegzustecken.

Frontzeck will am Tag nach dem ersten "absolut desolaten" Spiel unter seiner Leitung keine Verunsicherung gespürt haben und auch keine aufkommen lassen. "So reicht das nicht für die Erste, nicht für die Zweite und nicht für die Dritte Liga", sagte der Trainer. "Aber wir haben ausreichend Zeit, Dinge zu verändern und zu korrigieren." Bis zum Spiel gegen den 1. FC Köln (Montag, 20.15 Uhr) sind es von Mittwoch an fünf Trainingstage. Das mag reichen, um der Mannschaft wieder Selbstvertrauen und Willen einzuimpfen. Substanziell lässt sich in dieser kurzen Zeit jedoch nicht viel bewegen.