Der FC St. Pauli friert sich mit schwacher Leistung beim 2:4 gegen Mainz in die Winterpause und hat drei Punkte zu wenig auf der Habenseite.

Hamburg. Ernüchterung statt Euphorie. Das emotionalste und bewegendste Jahr der Vereinshistorie endete mit einem Stimmungstöter. Nach dem Siegeszug durch die Zweite Liga plus Aufstiegsparty plus Jubiläumsfeierlichkeiten zum 100. Geburtstag plus neuer Haupttribüne plus dem besten Bundesligastart der Klubgeschichte gab es zum Ausklang eine Minusleistung: 2:4 gegen den 1. FSV Mainz 05. "Wir haben heute unsere schlechteste Leistung in der Bundesliga abgeliefert. Es ist ärgerlich, dass uns das im letzten Spiel passiert ist, mit dem wir ein richtig gutes Jahr 2010 ausklingen lassen wollten", hatte auch Holger Stanislawski seine liebe Müh, den völlig anders einstudierten letzten Akt ins Drehbuch einzuarbeiten.

Die aktuelle Tabelle

Denn der hatte nicht nur den Trainer der Hamburger zu einer Zuschauerrolle verurteilt. Gemeinsam mit 24 235 Besuchern sahen die elf St. Paulianer dem Mainzer Programmfußball staunend zu. Schnell und flach trugen die Rheinhessen den Ball in Rekordzeit in die Spitze. Dass es für die sehenswert vorgetragenen Angriffe im Stadion keine Zeitlupe zum detaillierten Nachvollziehen gab, konnte niemanden stören. Mit ungenauen Zuspielen und unnötigen Ballverlusten übergab Stanislawskis Mannschaft immer wieder bereitwillig das Zepter und ließ die Mainzer ihr bedingungsloses Offensivspiel schablonenhaft in der gefühlten Endlosschleife vortragen. Der überlassene Raum, der die ohnehin schon große Kombinationslust der famosen 05-Sturmtroika Holtby, Szalai und Schürrle Minute um Minute nur noch weiter zu steigern schien, wurde lediglich von einigen Schneeflocken eingeschränkt. "Wir haben heute Fußball gespielt, wie wir uns das vorstellen", frohlockte Jungnationalspieler Andre Schürrle später, der sich mit seinen zwei Treffern zum 1:0 und 2:0 als Spieler des Spiels empfahl.

St. Pauli erstarrte bei knapp zweistelligen Minusgraden in Ehrfurcht. Statt mit der taktischen Umstellung auf zwei Angriffspitzen für erhöhte Temperaturen im gegnerischen Strafraum zu sorgen, "erfror" neben Marius Ebbers auch noch der erstmals in den Sturm beorderte Gerald Asamoah. Seit 818 Minuten hat kein Offensivspieler mehr das Tor getroffen. Ein Malus, der bis zum Rückrundenstart gegen Freiburg am 15. Januar bestehen bleibt. Wenn verwertbare Zuspiele wie am Sonnabend ausbleiben, auch länger. So war wie schon beim 1:0-Heimsieg gegen Kaiserslautern, als Tiffert ins eigene Tor traf, die Hilfe des Gegners nötig, um St. Pauli die Chance auf Punkte überhaupt zu ermöglichen. Matthias Lehmann verwandelte nach Handspiel von Soto per Strafstoß zum überaus schmeichelhaften 1:2. Ergebniskosmetik, wie spätestens nach Szalais 3:1-Treffer deutlich wurde. Erneut hatte der völlig indisponierte Bastian Oczipka die Orientierung verloren und seinen Gegenspieler gewähren lassen. "Basti macht das ja nicht mit Absicht, aber trotzdem ärgert man sich natürlich über die individuellen Fehler", sagte Torhüter Mathias Hain, der für den gesperrten Thomas Kessler zwischen die Pfosten zurückgekehrt war und im ausgeglicheneren zweiten Abschnitt auch noch den vierten Treffer durch Caligiuri hinnehmen musste. Lehmann hatte mit einem abgefälschten Distanzschuss zuvor noch einmal verkürzen können. "Wir hatten viel zu viele Ausfälle, haben defensiv sehr schlecht gespielt, nach vorne zu viele leichte Ballverluste gehabt und deswegen auch verdient verloren", resümierte Stanislawski, dem die Mannschaft die Einwirkungsmöglichkeiten auf ein Mindestmaß beschränkte: "Kein Spieler ist heute auch nur ansatzweise an seine Leistungsgrenze herangekommen, von Nummer eins bis elf nicht. Wenn einer oder zwei Spieler neben der Spur sind, kann man reagieren. Heute konnte man fast frei überlegen, wen man denn jetzt runternimmt." Die Folge war ein Dreifachwechsel (57.).

Ob im Winter nun auch im Kader getauscht wird, ist zweifelhaft. "Stand heute bleibt es dabei, dass wir nicht aktiv werden. Für uns stellt sich die Frage nicht, da wir grenzenloses Vertrauen in die Mannschaft haben. Das heißt nicht, dass wir nicht vielleicht schon für den Sommer gucken", so Stanislawski, während Sportchef Helmut Schulte die Bedeutung der Niederlage relativierte: "Wir sollten unsere Entscheidung nicht von einem Spiel abhängig machen."

Gleiches gelte für die Gesamtbewertung der Hinrunde. Das Halbjahr habe gezeigt, dass der am Sonnabend erkennbare Klassenunterschied sich nicht zwangsläufig auch am Ende in der Tabelle ausdrücken müsse, betonen Spieler und Verantwortliche. "Wir können auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken. Allerdings hatten wir uns 20 Punkte vorgenommen, die Realität sind 17. Wir werden genauso eine Rückrunde spielen müssen. Mindestens", erinnert Kapitän Fabio Morena. Nicht nur Leistung und Temperaturen sorgten für ein Minusspiel gegen Mainz, es fehlen auch drei Punkte.

Zum Feiern war daher am Ende nur der Mannschaft von Thomas Tuchel zumute. "Wir wollten ein Ausrufezeichen hinter dieses Kalenderjahr setzen, und ich bin sehr froh, dass uns das derart gelungen ist", so der Erfolgstrainer, der mit seiner Mannschaft anschließend so schnell in die Heimat verschwinden wollte, wie diese zuvor gespielt hatte. "Gut, Herr Tuchel. Dann sind sie jetzt entlassen", zeigte sich St. Paulis Pressesprecher Christian Bönig nach dessen Statement auf der Medienkonferenz als verständnisvoller Gastgeber, hatte die Lacher auf seiner Seite und sorgte somit unfreiwillig dafür, dass auch St. Paulis Verantwortliche noch mit einem Lächeln in die achttägige Weihnachtspause entschwanden.