Der Aufsichtsratschef des HSV spricht im Abendblatt über eigene Fehler, die Chaos-Wochen beim HSV, Verhandlungen mit Magath und SMS-Indiskretionen.

Hamburg. Der Kaffeetisch im Besprechungsraum der Hamburg Port Authority ist bereits gedeckt, als Hafenchef Jens Meier am frühen Morgen zum Interview erscheint. Der Aufsichtsratsvorsitzende des HSV ist bestürzt, was aber nicht primär mit der wohl größten Krise der Vereinsgeschichte zu tun hat. „Ich bin schockiert über den Tod von Hermann Rieger“, sagt Meier, der sich aber trotz der traurigen Nachricht zu den Vorkommnissen der vergangenen Wochen stellen will.

Hamburger Abendblatt: Herr Meier, wann treten Sie zurück?
Jens Meier (lange Pause): Ich will in jedem Fall verhindern, dass unser HSV in der schweren Phase des Abstiegskampfes eine außerordentliche Mitgliederversammlung für die Neuwahl von Aufsichtsräten benötigt. Insofern werde ich vorerst nicht zurücktreten, auch wenn ich betonen möchte, dass ich nicht an diesem Stuhl klebe.

Sie erwägen also, nach den Vorkommnissen der vergangenen drei Wochen im Sommer sogar weiterzumachen?
Meier: Das weiß ich noch nicht. Ich werde sicher nicht auf mein Amt beharren. Es liegt dann an den Mitgliedern. Jetzt ist nur entscheidend, dass der Verein handlungsfähig bleibt.

Haben Sie versucht, Ihren Ratskollegen den Rücktritt auszureden?
Meier: Nein. Die Situation hatte sich bei einigen aufgestaut. Der Aufsichtsrat wird ja seit Jahren als der Club der Ahnungslosen bezeichnet. Für viele war das ein nicht mehr aushaltbarer Zustand. Auch ich war so weit, dass ich zurücktreten wollte. Und ich sage Ihnen auch: Wenn diese persönlichen Angriffe, die nicht mehr hinnehmbar sind, fortgesetzt werden, dann wird auch der Letzte hinschmeißen.

Es gibt zwei Gründe, warum man über einen Rücktritt nachdenken könnte: Entweder weil man selbstkritisch eigene Fehler einräumen muss. Oder weil man den Druck von außen nicht mehr aushalten kann. Wie ist es bei Ihnen?
Meier: Der enorme Druck, der auf mir lastet, ist schon grenzwertig. Mir ist wichtig, das habe ich auch Wirtschaftssenator Frank Horch versichert, dass mein öffentliches Amt als Verantwortlicher der Hamburg Port Authority durch den HSV nicht beeinträchtigt werden darf. Auch mein familiäres Leben darf nicht über Gebühr strapaziert werden. Sollte ich merken, dass meine Familie zu stark leidet, dann trete ich noch am gleichen Tag zurück.

Gibt es denn Fehler, die Sie sich vorwerfen lassen würden?
Meier: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Ich würde schon sagen, dass ich möglicherweise nach der Aufsichtsratssitzung vor gut einer Woche im Elysée selbst hätte vor die Medien treten sollen, um mich zu erklären. Ich hätte aber auch nicht viel anderes sagen können als unser Pressesprecher. Deswegen kann ich noch immer ganz gut mit dieser Entscheidung leben.

Sie werfen sich persönlich nichts vor?
Meier: Ich habe mich an die professionellen Richtlinien eines Aufsichtsrats gehalten, bin lediglich meiner Sorgfaltspflicht bei der Kontrolle des Vorstands nachgegangen. Es ist das gute Recht eines Aufsichtsratsvorsitzenden, die Arbeit des Vorstands kritisch zu hinterfragen. Das macht man aber nicht in der Öffentlichkeit, sondern hinter verschlossenen Türen. Daran habe ich mich gehalten. Man sieht aber ziemlich alt aus, wenn diese internen Diskussionen öffentlich werden. Ich musste erfahren, dass auf der besagten Elysée-Sitzung ja sogar direkt Zwischenstände an Medien per SMS kommuniziert worden sind. Als Vorsitzender des Aufsichtsrats ist man da fassungslos.

Teilen Sie die Sorge, dass es bald gar keine Persönlichkeiten aus der Wirtschaft mehr gibt, die sich für den HSV zur Verfügung stellen?
Meier: Das ist tatsächlich eine sehr große Gefahr. Aber wenn man diese Indiskretionen nicht unter Kontrolle bekommt, dann hat der HSV auch langfristig ein Steuerungsproblem. In gewisser Weise ist der Verein ja vergleichbar mit einem Unternehmen in der Wirtschaft. Und wenn wir beispielsweise von Kapitalgesellschaften sprechen, dann sind diese Indiskretionen sogar Straftatbestände, beim HSV mindestens aber vereinsschädigend.

Indiskretionen hat es immer gegeben. War es nicht naiv von Ihnen zu glauben, dass unter Ihnen als neuer Kontrolleurchef alles besser wird?
Meier: Mag sein, dass ich zu naiv war. Wir hatten eine klare Verabredung, wie sich die einzelnen Kontrolleure zu verhalten haben. Daran wurde sich nicht gehalten, und da überwiegt bei mir natürlich die Enttäuschung.

Sie betonen immer wieder die Indiskretionen, die nicht förderlich waren. Aber lenken Sie durch diese Diskussion nicht auch von den eigentlichen Fehlern ab?
Meier: Wie meinen Sie das?

Fangen wir bei dem Treffen des Personalausschusses mit Felix Magath an. Bei diesem Treffen ging es doch um die Bereitschaft Magaths, als eine Art Feuerwehrmann-Trainer für Bert van Marwijk einzuspringen. Diese Fragestellung liegt aber überhaupt nicht im Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats, sondern ist Vorstandssache...
Meier: Ich empfinde diese Diskussion fast schon ein wenig als böswillige Unterstellung. Wenn man den Sachstand unserer Bundesliga-Mannschaft analysiert, dann muss man Handlungsoptionen eruieren. Und wenn dann die Personalie Magath im Aufsichtsrat zum Thema wird, dann können Sie dieses nicht einfach ignorieren. Wenn Sie nun also sagen, dass die Trainerposition nicht Verantwortungsbereich des Aufsichtsrates ist, dann stimmt das natürlich in der Theorie. In der Praxis muss sich der Aufsichtsrat aber auch damit befassen, ob nach sechs Pflichtspielniederlagen in Folge unser Vorstand alles richtig gemacht hat. Auch Oliver Kreuzer, mit dem ich ein wirklich sehr vertrauensvolles Verhältnis pflege, weiß, dass man über seine Verantwortung zumindest mal sprechen muss. Das ist nun mal Profifußball.

Dabei sollte man auch nicht vergessen, dass Oliver Kreuzer derjenige ist, den Sie und Ihre Kollegen vor nicht mal einem halben Jahr aus seinem laufenden Vertrag beim KSC rausgekauft haben.
Meier: Jeder Verantwortliche, das gilt für den Trainer, den Sportchef und die Vorstände, wird an seinem Ergebnis gemessen. Man muss nur offen darüber sprechen. Und ich bin ein wenig verwundert darüber, dass man dem Aufsichtsrat in so einer schwierigen sportlichen Situation nicht sein Recht zubilligt, allen Optionen nachzugehen.

Herr Meier, Sie sagen, dass sich jeder am Ergebnis messen lassen muss. Nun sind Sie seit drei Wochen als Vorsitzender des Aufsichtsrats im Amt. In dieser Zeit sind fünf Räte zurückgetreten, der Trainer wurde zunächst vorgeführt, dann entlassen, und es hat eine öffentliche Diskussion über die Zukunft des Vorstands gegeben, bei der alle Verantwortlichen beschädigt wurden. Nimmt man also tatsächlich nur das nackte Ergebnis, dann haben Sie keinen guten Job gemacht.
Meier: Die Darstellung, die ich von außen lese, mag diesen Eindruck erwecken. Ich werde kritisiert, dass mir eine Stimme fehlt, dass ich eine Sitzung im Elysée abgesagt habe, zu der ich gar nicht eingeladen hatte. Die wirkliche Arbeit war eine ganz andere, nämlich solide Arbeit. Ich habe in der kurzen Zeit drei Jahresgespräche mit den Vorständen geführt, wir haben uns intensiv Gedanken um die Zukunft des Vereins gemacht, und wir haben notwendige Entscheidungen zügig getroffen. Ich sage Ihnen aber auch: Diese Bewertung sollen die Mitglieder vornehmen. Wenn die zu genau diesem Schluss kommen, dann werde ich zurücktreten. Ganz schlecht war nur, dass alles durch Indiskretionen öffentlich wurde.

Haben Sie als Top-Manager der Wirtschaft unterschätzt, dass Wirtschaft und Profifußball grundverschieden sind?
Meier: Das ist aus meiner Sicht die falsche Erkenntnis. Beides ist vergleichbar. Und ich bleibe bei meiner Meinung, dass die extreme Drucksituation, in der sich der HSV hineinmanövriert hat, kein Produkt einer mangelhaften Arbeit des Aufsichtsrats ist. Wenn man so viele Spiele in Folge verliert, dabei gleich dreimal nach der Winterpause 0:3 ohne echte Torchance, dann gibt es eine Drucksituation. Und natürlich muss sich sowohl Aufsichtsrat als auch Vorstand dann damit beschäftigen, was man verändern kann. Idealerweise haben beide Gremien die gleiche Auffassung, in einem weniger schönen Fall hat man unterschiedliche Auffassungen.

Teilen Sie denn die Auffassung von HSVPlus-Initiator Otto Rieckhoff, dass der Verein in dieser Struktur ganz einfach nicht zu führen ist?
Meier: Es gibt eine Einigkeit im Verein, dass es Veränderungen geben muss. Aber lediglich eine Sache, da wird niemand widersprechen, sollte man sofort verändern: den Tabellenplatz.