Um 17.30 Uhr ist ein Trauermarsch geplant. Hermann Rieger starb mit 72 Jahren. Ein Abendblatt-Autor war einer seiner letzten Besucher. Danke für Ihre Einträge ins Kondolenzbuch. Es ist jetzt geschlossen.

Als er am vergangenen Mittwoch in der Cafeteria der Medizinischen Hochschule Hannover eine Hühnersuppe löffelte und über sein Leben und den HSV plauderte, sagte Hermann Rieger irgendwann: „Ich glaube, dass mir ein Schutzengel hilft.“ Da hatte der Kultmasseur die große Ehrung bei der Hamburger Sportgala noch vor sich. Es sollte eine Art Krönung werden. Und Hermann Rieger war guten Mutes, zur Verleihung des Ehrenpreises für sein Lebenswerk am Montagabend in die Handelskammer zu kommen.

Er hat es nicht geschafft. Der Kämpfer musste am Montagmorgen seine Teilnahme schweren Herzens absagen. Und wurde abends in Abwesenheit mit minutenlangem Beifall gefeiert. „Er hat für den HSV nie ein Tor geschossen oder einen Gegentreffer verhindert. Er hat keine Zweikämpfe gewonnen und keine entscheidenden Elfmeter verwandelt. Aber wenn ein Spieler mit schmerzverzehrtem Gesicht am Boden lag, ist Hermann Rieger mit seinem Koffer in der Hand schneller zu dem Verletzten auf den Rasen gespurtet als so mancher aktive HSV-Profi“, sagte Horst Hrubesch, sein Laudator.

Oben vom Rang hatten Mitglieder seines Fanclubs Hermanns treue Riege ein großes Transparent in den Saal hängen lassen. Kurz darauf nahmen Bernd Wehmeyer und Jürgen Ahlert vom HSV stellvertretend für Hermann Rieger den Preis entgegen.

Hermann Rieger durfte das nicht mehr miterleben. Er schlief in seinem Einzelzimmer im 5. Stock auf Station 35B. Neun Stunden später, gegen sechs Uhr morgens, hat sein Herz aufgehört zu schlagen. Hermann Rieger wurde 72 Jahre alt. Der HSV verliert einen seiner Größten.

„Hermann, the German“, haben sie ihn beim HSV auch genannt. Ein Pfundskerl, eine Frohnatur und so beliebt bei den Fans, dass es überhaupt keine Frage war, welchen Namen das Maskottchen des Vereins tragen sollte. Dino Hermann steht seit Jahren für das fröhliche Urgestein der Fußball-Bundesliga. „Der Dino darf nicht sterben“, hat Hermann letzte Woche noch gesagt. Er meinte den Bundesligaclub.

Hermann Rieger hat in den vergangenen Monaten mit den Fans gelitten. „Wenn man sieht, wie die Mannschaft im Augenblick auftritt, ist es nicht leicht, HSV-Fan zu sein“, hat er gesagt. Aber man könne das ja nicht einfach irgendwann ablegen. Das gehe nun mal nicht. Einmal HSVer, immer HSVer.

Mit dem Radio zum Titel

Hermann ist zwölf Jahre alt, als er mit dem Fußballvirus infiziert wird. Es ist der 3. Juli 1954, einen Tag später wird Deutschland im Berner Wankdorf-Stadion im Finale der Weltmeisterschaft gegen Ungarn antreten. Hermanns Vater, ein Maurer, hat ein Radio gekauft und es im Wohnzimmer der Familie in Mittenwald unter die Decke geschraubt, damit keines der vier Kinder – Hermann hat noch drei kleine Schwestern – an das Gerät herankommt und den Sendeknopf verdreht. Tags darauf verfolgen die Riegers den sensationellen 3:2-Sieg der Elf von Bundestrainer Sepp Herberger. „Dabei hatte mein Vater gar keine Ahnung vom Fußball“, hat Hermann Rieger einmal erzählt.

Und auch der Sohn rennt nicht etwa dem runden Leder hinterher, sondern tut zunächst das, worum man als Kind in Mittenwald ja buchstäblich gar nicht herumkommt. Er kraxelt die Berge hoch, die zur westlichen Karwendelspitze gehören und bis zu 2400 Meter hoch sind. Und im Winter rast der kleine Hermann die Berge so gekonnt auf Skiern hinunter, dass er später als Techniktrainer beim Deutschen Skiverband angestellt wird. Er blieb dort sechs Jahre und betreute die Damen und die Herren bei den Olympischen Winterspielen in Sapporo und in Innsbruck.

Einen Masseur im Team zu haben war damals noch nicht üblich. Aber weil Hermann Rieger so große Pranken hatte, wurde er gefragt, ob er sich nicht in diese Richtung weiterbilden lassen könne. Von da an haben seine heilenden Hände unzählige müde Muskeln von Sportlern zum Leben erweckt. Auch Schauspieler wie Ulrich Tukur, den er nach einem Sturz von der Bühne wieder fit machte, schworen auf seine Künste.

„Jeder Gewerkschafter hätte die Hände über den Kopf geschlagen: Hermann Rieger kannte keine geregelten Arbeitszeiten. Außer vielleicht die Regel, dass man ihn auch um Mitternacht anrufen konnte, wenn es nötig war“, hat Horst Hrubesch, der Kapitän der legendären HSV-Erfolgsmannschaft aus den 1980er-Jahren in seiner Laudatio gesagt. Und dass Hermann Rieger durch seinen unermüdlichen Einsatz einen genauso großen Anteil an den drei deutschen Meisterschaften, einem Pokalsieg und am Gewinn des Europapokals der Landesmeister gehabt hat wie jeder einzelne Spieler.

Jammern war nicht sein Ding

Und die Frage ist, wieso ausgerechnet bei ihm das Schicksal so erbarmungslos zugeschlagen hat. Hermann hat zehn Jahre mit aller Macht gegen den Krebs gekämpft. Zuerst hatten die Ärzte Prostatakrebs diagnostiziert. Als er einen Insektenstich nicht ernst nimmt, hat das schlimme Folgen: Blutvergiftung, Thrombose, Lungenembolie. Vor vier Jahren Lungenkrebs. Mit Chemotherapien wird der Tumor bekämpft. Dann entdecken die Ärzte zwei Tumore im Kopf.

Hermann Rieger hat mal erzählt, wie schwer die 45 Minuten dauernden Behandlungen waren, bei dem sie ihm ein Drahtgeflecht auf das Gesicht gepresst haben, um den einen der beiden Tumore zu bekämpfen. Er lag so nahe an seinem Sehnerv, dass sie ihn operativ nicht vollständig entfernen konnten. „Sie pressen dir ein Gitter auf den Kopf und die ganze Luft aus dem Körper raus, alles wird hart und man braucht eine Technik, um weiter ruhig zu atmen.“ Hermann Rieger hat das mit einem Lächeln erzählt. Jammern war nicht sein Ding. Er hat jedes Mal gebetet, wenn sie ihm die Maske übergestülpt haben.

Als im Sommer 2010 seine Frau Petra stirbt, neben der er jetzt in Hannover beerdigt werden wird, sagt er anschließend nur: „Ich bin nachts viel spazieren gegangen.“ Petra ist an Lungenkrebs gestorben, Hermann fand seine Frau tot in einer Blutlache in der Küche.

Hermann Rieger ist immer wieder aufgestanden. Er zog nach Alfstedt bei Bremervörde, fand familiären Anschluss bei Norbert Hadeler, dem Chef des gleichnamigen Gasthofes und Gründer des Hermann-Rieger-Fanclubs. Er fand auch wieder einen Berg. Es war eher ein langer Hügel. Er ging von der Hauptstraße in dem niedersächsischen Dorf ab, direkt neben dem Fußballplatz. Dreimal am Tag, morgens, mittags und abends, ist er die 300-Meter-Strecke hochgelaufen, um wieder zu Kräften zu kommen. „Das ist jetzt mein Berg der Leiden“, hat Hermann Rieger im Mai 2012 gesagt.

Ans Aufgeben hat er nie einen Gedanken verschwendet. Und das war es auch, was er sich in der letzten Woche von den HSV-Profis so sehr gewünscht hat. Vorm Tod hatte er keine Angst. Als gläubiger Katholik war er sich sicher, dass danach noch etwas kommt. Servus, Burschi, der Himmel hätte ruhig noch etwas warten können.

Trauermarsch am Dienstag

Um 17.30 Uhr ist ein Trauermarsch für das HSV-Idol geplant. Fans treffen sich am Bahnhof Stellingen und laufen gemeinsam zur Imtech-Arena.

Kondolenzbuch vom Dienstag