Selten war eine HSV-Versammlung derart emotional. Im CCH soll es sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. HSVPlus ist der große Sieger - nur für die Fernwahl gab es hauchdünn keine Mehrheit.

Hamburg. Um 17.52 Uhr war es vollbracht. Als auf der großen Videoleinwand die entscheidenden Zahlen zur „folgenschwersten Entscheidung der 126 Jahre alten Vereinsgeschichte des HSV“, wie es Aufsichtsrat Eckart Westphalen formulierte, aufleuchteten, kannte der Jubel im Saal H des CCH keine Grenzen mehr. Mit beeindruckenden 79,4 Prozent wurde das seit Monaten diskutierte Reformmodell HSVPlus von Initiator Otto Rieckhoff bestätigt, gerade mal 1303 der insgesamt 7165 stimmberechtigten Mitglieder lehnten die ausgearbeitete Ausgliederung und das geplante Einbeziehen von Investoren ab. „Ich bin überwältigt“, sagte Rieckhoff. „Für mich ist das der größte Erfolg, den ich je in einem Ehrenamt hatte.“ Der frühere Aufsichtsratschef (siehe Interview unten), der mit Ovationen gefeiert wurde, musste allerdings am späten Abend noch eine empfindliche Niederlage hinnehmen.

Doch zunächst mal der Reihe nach: Knapp sieben Stunden lang musste Rieckhoff, der in den vergangenen Monaten insgesamt 25 (!) Wahlkampfveranstaltungen besucht hatte, am Sonntag auf seinen Glücksmoment warten. Erste Signale für seinen Erdrutschsieg hatte der 62-Jährige allerdings schon in den Morgenstunden erhalten, als er erstmals das Podium betrat. Ähnlich wie die Stars der Meistermannschaft von 1983, Holger Hieronymus, Thomas von Heesen, Horst Hrubesch und Ditmar Jakobs, die ebenfalls zum HSVPlus-Team gehören, wurde er von den teilweise weit angereisten Mitgliedern frenetisch gefeiert. Rieckhoff selbst sagte, er wolle allerdings kein Amt übernehmen, der eine oder andere aus seinem Team würde wohl aber zur Verfügung stehen, sofern die erforderliche Dreiviertelmehrheit im Sommer bestätigt wird. Zunächst einmal muss nun aber der Vorstand den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung des Projekts HSVPlus in den kommenden Monaten prüfen.

Zur millionenschweren Verfügung würde nach Rieckhoffs Erfolg nun auch Milliardär Klaus-Michael Kühne stehen, bekräftigte unter tosendem Applaus Karl Gernandt. Kühnes Generalbevollmächtigter kündigte ein finanzielles Engagement seines Chefs an, bekräftigte aber deutlich, dass Kühne weder als Investor noch als strategischer Partner zu betrachten sei, sondern vielmehr als eine Art Mäzen. Und als dieser hoffe er auf weitere Unternehmen, die den HSV ab dem kommenden Sommer finanziell unterstützen. Kühne allein soll bereit sein, rund 25 Millionen zur Verfügung zu stellen. Investoren sollen nach Rieckhoffs Vorstellungen Anteile in Höhe von maximal 24,9 Prozent erwerben dürfen.

Hunke: „Die Niederlage schmerzt“

Bis zuletzt gegen derartige Investorenmodelle hatte Aufsichtsrat Jürgen Hunke gekämpft. Sein Alternativmodell „Zukunft mit Tradition“ erhielt jedoch im Gegensatz zu Rieckhoffs Vorschlag genauso wenig die erforderliche Mehrheit wie die anderen konkurrierenden Vorschläge „HSV-Reform“ (HSV-Supporters um Johannes Liebnau und Christian Reichert), „Rautenherz-Modell“ (Rainer Ferslev und Martin Rüssel) und „HSV21“ (Wolfgang Müller-Michaelis). „Die Niederlage schmerzt. Aber die Sache ist heute noch nicht entschieden“, sagte Hunke, der seinen Antrag noch vor der drohenden Abstimmungsniederlage zurückzog. Gleichzeitig deutete der ehemalige Präsident aber an, dass er in den kommenden Monaten weiter gegen die endgültige Umsetzung von HSVPlus kämpfen werde. Bereits am Sonnabend hatte das Abendblatt berichtet, dass vereinzelte Aufsichtsräte sogar den Plan erwogen hatte, den Vorstand nach der Mitgliederversammlung zu entlassen und damit durch die Hintertür doch noch HSVPlus zu verhindern. Dieser verwegene Plan dürfte aber keine Aussicht auf Erfolg haben.

So durfte sich, anders als Hunke, neben Rieckhoff vor allem auch Joachim Hilke als großer Gewinner des Sonntags fühlen. Mit Ovationen wurde die vorbereitete Rede des Marketing-Vorstands gefeiert, in der Hilke ein flammendes Plädoyer für die Ausgliederung und das HSVPlus-Modell hielt. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Struktur und dem Erfolg eines Vereins“, sagte Hilke, der sich zur Überraschung einiger so offen wie nie für strategische Partner aussprach. „Die Ausgliederung ist das Fundament unseres zukünftigen Erfolgs. Wir brauchen Partner“, sagte Hilke, der seine Bitte im Gegensatz zu seinem Vorstandskollegen Carl Jarchow, der etwas überrumpelt wirkte, konkret an die Mitglieder richtete: „Beendet den Teufelskreis und gebt uns wieder Luft zum atmen! Wir brauchen diese Strukturveränderung.“

Zum Entsetzen einiger Aufsichtsräte, die diese deutliche Positionierung offenbar nicht erwartet hatten, wählte Hilke damit offenbar den taktisch bestmöglichen Zeitpunkt für seine Offensive. Bis zum Sommer sollen und wollen er und Jarchow die rechtliche Umsetzung von HSVPlus vorantreiben, wobei Hilke offenbar eine entscheidende Rolle in der dann neu geschaffenen HSV AG anstrebt. Auch HSV-Chef Jarchow bekräftigte auf Nachfrage: „Dauerhaft ist der eingetragene Verein nicht konkurrenzfähig.“

Emotionen kochen über

Mit der Entscheidung für HSVPlus war die emotionale Versammlung, zu der so viele Mitglieder kamen wie nie zuvor in der Geschichte, noch lange nicht vorbei. Wie schon 2007 gab es lautstarke „Presse raus“-Rufe, im Nebensaal 1 soll es sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein.

Erst in den späten Abendstunden kam es dann doch noch zur mit Spannung erwarteten Aussprache von Vorstand und Aufsichtsrat. Zuvor, nach mehr als neun Stunden, sollte es aber noch zu einem weiteren emotionalen Höhepunkt kommen. Der Antrag 7b des früheren Aufsichtsrats Jörg Debatin stellte die Fernwahl aller nicht bei der Versammlung anwesenden Mitglieder zur Abstimmung. Als dieser Vorschlag aber mit 73,7 Prozent hauchdünn die erforderliche Dreiviertelmehrheit verpasste, kam es fast zu tumultartigen Szenen. Mit lauten Gesängen feierten die vorherigen Verlierer des Tages, die ohne das Instrument einer Fernwahl noch r auf das Verhindern von HSVPlus im Sommer hoffen, ihren Etappensieg.

Dieses Ergebnis verdeutlichte allerdings, dass der HSV allen Beteuerungen zum Trotz nach dem Wahlsonntag offenbar doch so zerstritten ist wie nie zuvor. Die Zukunft des Vereins, mit oder ohne HSVPlus, bleibt damit offen. Das trotzige Schlusswort Rieckhoffs: „Jetzt erst recht! Wir werden es auch ohne Briefwahl schaffen.“

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