Für die Spieler sollen Persönlichkeitsprofile erstellt werden, die auf recht intimen Fragen beruhen. Co-Trainer Coumans schwört auf die Arbeit des Motivationstrainers Boltersdorf.

Hamburg. „Ich liebe Partys“. „Mir gefällt es, wenn andere meinen Anordnungen folgen". „Ich glaube, dass Rache süß ist“. Mit diesen und 125 weiteren Aussagen werden sich die HSV-Profis nach Wunsch des neuen Trainerteams Bert van Marwijk und Roel Coumans bald beschäftigen müssen und sie auf einer Skala von minus drei bis plus drei für sich bewerten. Als Ergebnis bekommen die Spieler ihre individuelle Ausprägung von insgesamt 16 Lebensmotiven wie Macht, Ordnung, Eros oder auch Rache/Kampf präsentiert. Das Ziel: Für jeden Spieler soll anhand der Aussagen ein Persönlichkeitsprofil erstellt werden, um ihn gezielter motivieren und gruppendynamische Prozesse besser analysieren zu können.

Moderne Trainingsmethodik oder Hokuspokus? Vor allem Coumans, neuer Co-Trainer des HSV, ist von diesen „Reiss-Profilen“ (benannt nach dem Psychologen Prof. Steven Reiss) überzeugt, die nach der Vorgabe von Motivationstrainer Peter Boltersdorf erstellt werden und dem Bundesliga-Dino zu einem Leistungsschub verhelfen sollen. Boltersdorf arbeitete bereits mit Jürgen Klopp und Dieter Hecking zusammen und betreute die deutschen Handballer bei ihrem WM-Triumph 2007.

Coumans lernte er schon 1998 beim niederländischen Club Fortuna Sittard kennen und trug damals seinen Teil zum überraschenden Klassenerhalt des Vereins bei. Aktuell unterstützt Boltersdorf das Bundesligateam von Hannover 96. Auch dessen Trainer Mirko Slomka ließ seine Spieler schon mehrfach diesen Fragebogen ausfüllen, um herauszufinden, wie er jeden Spieler am besten erreichen kann. „Diese Profile sind in persönlichen Gesprächen sehr nützlich, um Reaktionen von Spielern zu erkennen und diese positiv zu nutzen. Auch im Mitarbeiterstab sind wir durch die Erkenntnisse der Fragebogen enger zusammengerückt“, sagte Slomka unlängst.

HSV-Chefcoach van Marwijk steht diesem Test offen gegenüber. Er selbst sei zwar nicht der „große Psychotrainer“, aber sehr gespannt, was dabei herauskommt. „Man lernt, was in den Köpfen der Spieler so vorgeht. Doch sie sollten jetzt auch nicht allzu großen Wert auf die Ergebnisse legen. Psychologie ist wichtig, doch das Auge des Trainers ist am wichtigsten“, sagte der Niederländer am Mittwoch.

In der Vergangenheit gab es durchaus auch kritische Töne zur Arbeit von Boltersdorf. So waren 2006 zu Slomkas Zeit bei Schalke 04 längst nicht alle vom Schaffen des Motivationstrainers überzeugt. Boltersdorf hatte Schalke „totale Dominanz“ (Aufdruck auf den Trikots im Trainingslager) verordnet. Doch die Mannschaft boykottierte die Aktion. Der damalige Manager Rudi Assauer warnte zudem vor der „ständigen Beratung“ durch den Diplomsportlehrer.

Führungsverhalten soll optimiert werden

Die Beratung für den HSV wird sich in Grenzen halten, da Boltersdorf derzeit bei Hannover 96 angestellt ist und somit einem Interessenskonflikt ausgesetzt wäre. „Ich habe viele Leute ausgebildet und sorge lediglich dafür, dass dem HSV Personal mit Qualität zur Verfügung steht, das diese Tests vernünftig begleiten kann“, erklärt der Aachener, der die Grundidee der „Reiss-Profile“ wie folgt skizziert: „Wir versuchen herauszubekommen, welchen grundsätzlichen Motivationsaspekt ein Mensch hat und aufgrund welcher Emotionen er seine Leistung bringt.“

Grundsätzlich sei Mental- und Motivationstraining im Profifußball nach wie vor stark vernachlässigt, auch wenn die Bereitschaft, sich mit diesen Themen zu beschäftigen, nicht mehr so tabu sei wie noch vor wenigen Jahren. „Doch unser Ansatz unterscheidet sich von gängigen Maßnahmen insofern, dass wir den Trainern Informationen zukommen lassen können, um ihr Führungsverhalten zu optimieren.“

Die Spieler selbst würden durchweg positiv auf die teils sehr privaten Fragen reagieren. Das ganze Projekt sollte zwar auf freiwilliger Basis umgesetzt werden, doch so hatte sich beispielsweise die Mannschaft von Hannover 96 unter Trainer Hecking 2009 geschlossen dafür entschieden, bei dem Test mitzumachen. Auch Heiko Westermann steht dem Ganzen positiv gegenüber: „Wenn es uns nach vorne bringen sollte, warum nicht? Ich habe kein Problem damit, auch intime Fragen zu beantworten“, sagt der Abwehrspieler. Wie ehrlich die Antworten der Profis dann auf Fragen wie „Ich mag geistreiche, intelligente Gespräche“ oder „Designer-Marken beeindrucken mich“ ausfallen, bleibt dahingestellt. „Der Spieler muss sich bewusst sein, dass er bei ehrlichen Antworten im Endeffekt von seinem Trainer auch besser gefördert werden kann. Das ist eine Vertrauensfrage“, sagt Boltersdorf zu dieser Problematik.

Insgesamt hat der Motivationscoach schon weit über 500 Profis befragt und ist zu teilweise erstaunlichen Ergebnissen gekommen. So ist die Teamorientierung bei den meisten Akteuren eher neutral ausgeprägt und nicht höher als in der Normalbevölkerung. Das Lebensmotiv Familie spielt dafür eine besonders große Rolle bei Profifußballern. Spannend wird die Auswertung der Frage 71: „Ich habe viel Spaß an sportlichen Aktivitäten“. Sollte die Antwort hier nicht im Schnitt bei plus drei liegen, dürfte ernsthaft Diskussionsbedarf bestehen.