Der neue HSV-Trainer Bert van Marwijk sollte es nicht bei Persönlichkeitstests belassen, sondern auch das mentale Potenzial nutzen.

Seine Ankündigung, mit den Profis des HSV Persönlichkeitstests durchführen zu wollen, hat dem neuem Trainer Bert van Marwijk gleich an seinem ersten Tag großes Aufsehen beschert – auch den Hamburger Zeitungen war diese Nachricht eine Topmeldung auf Seite eins wert. Was sagt uns das? Im Fußball dominieren noch immer körperliche Werte wie Kraft, Ausdauer oder auch technische Fertigkeiten. Bei psychologischen Komponenten aber laufen automatisch unbewusst klischeehafte Bilder vor unseren Augen ab, mit jungen auf einer Couch liegenden Athleten, die von ihren privaten Problemen und Sorgen berichten sollen.

Während andere Sportarten längst das Potenzial dieses Bereichs nutzen, ist der Fußball diesbezüglich noch weitgehend Entwicklungsland, die Angebote an die Spieler sind längst noch nicht ausreichend. Zwar hat es beim HSV auch immer mal wieder Versuche gegeben, einen Psychologen ins Team zu holen, zu einer dauerhaften Lösung ist es aber nie gekommen. Ein gravierender Fehler, den Fokus nur auf Spielebeobachtung des Gegners zu legen und nicht auch auf Spielerbeobachtung.

Dabei gibt es ein ausgezeichnetes Vorbild: die deutsche Nationalmannschaft. Seit 2004, als ihn Jürgen Klinsmann verpflichtete, gehört der Diplom-Psychologe Hans-Dieter Hermann dem Trainerstab der DFB-Auswahl an und ist unter den Spielern längst anerkannt. Der heute 53-Jährige, der stets bei den Trainingseinheiten zugegen ist, konnte erst Klinsmann und dann Nachfolger Joachim Löw viele wertvolle Tipps liefern, gerade auch bei Gruppenprozessen oder im Umgang mit Niederlagen.

Der moderne Fußball ist viel zu komplex geworden für einen beispielsweise 20-Jährigen, der nach der Schule direkt eine Profikarriere einschlägt und zwei Jahr später vier Millionen Euro auf dem Konto liegen hat. Die Kurven vom Aufstieg (und Fall) eines Talents verlaufen viel steiler als früher. Seit der Internationalisierung des Sports werden zudem verschiedene Kulturen und Charakter in eine Kabine gesteckt, in der Hoffnung, dass sich aus dieser Ansammlung eine homogene Mannschaft bildet – ohne jede Bedienungsanleitung. Ein Cheftrainer trägt beim Fördern einer Gemeinschaft zwar die Hauptverantwortung, ist aber mit dieser Aufgabe alleine überfordert. Er braucht Spezialisten für den mentalen Bereich. Wenn also van Marwijk die Strategie verfolgt, nicht nur feststellen zu wollen, dass ein Hakan Calhanoglu fantastische Freistöße schießen kann, sondern auch mehr über den Menschen Calhanoglu erfahren möchte, um ihn besser zu führen, kann man den Niederländer nur beglückwünschen. Im Grunde sollte das aber nur die Initialzündung sein zu einer nachhaltigen Betreuung der Spieler, um ihnen Anleitungen für Stresssituationen zu vermitteln.

Viel zu oft werden Fußballer mit dem Verarbeiten von (dem Sport immanenten) Negativerlebnissen alleine gelassen. So gehört es zum Job eines Sportjournalisten, die Leistung jedes Spielers zu bewerten, ob in Form einer Note oder mittels einer Beschreibung. Einen Spieler auf fünf Zeilen komplett zu vernichten, ist schnell geschrieben – aber der Betroffene hat daran womöglich lange zu knabbern. Er muss lernen, mit Kritik umzugehen.

Gezieltes Kopftraining kann den Sportlern helfen, ihr Leistungsmaximum abzurufen. Nur ein Beispiel: Ein in Kanada lehrender Hamburger Professor organisierte vor einigen Jahren mit Basketballern ein Experiment. Eine Gruppe übte vor dem Korb, eine trainierte nur mit dem Kopf, stellte sich die Würfe vor; die letzte Gruppe tat beides. Diese war beim Vergleichstest die Erfolgreichste – gefolgt von der zweiten Gruppe.

Bei all diesen unterstützenden Maßnahmen darf aber nicht vergessen werden: Der leichteste Weg, einen Fußballer mit viel Selbstvertrauen und Sicherheit auf den Platz zu schicken, bleibt ein gutes Training. Wenn er gelernt hat, wie er sich in welcher Spielsituation zu verhalten hat, ist das immer noch wertvoller als ein aufmunternder Spruch, weil er vor dem Anpfiff mit dem klaren Gedanken den Platz betritt: „Ich weiß, dass ich es kann, ich habe es schon viele Male geübt, und mit großer Wahrscheinlichkeit kann ich mein Potenzial auch heute wieder abrufen.“