Sportchef Kreuzer und Trainer Fink reden die HSV-Profis nach dem 0:4 von Dresden an die Wand. Für das Pokalspiel in Jena droht einigen Spielern die Ersatzbank.

Hamburg/Dresden. Die Aufgabe war undankbar. Wie sollte Hamburgs Bürgermeister, der den HSV zum ersten Mal zu einem Auswärtsspiel begleitet hatte, die 0:4-Klatsche beim Flutopfer-Spiel gegen Dynamo Dresden kommentieren? Olaf Scholz entschied sich bei der Wahl seiner Waffe für ein feines Florett: „Das war mir einen bisschen Freundschaft zu viel“, hob er an. „Ich hoffe, dass hinter diesem Auftritt ein Plan steckt. Den mir allerdings jemand erklären muss.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der neue HSV-Sportchef Oliver Kreuzer längst auf Spurensuche begeben. In der Kabine fragte er in die Runde der vielen ausdruckslosen Gesichter: „Hat jemand für diese Leistung eine Erklärung für mich?“ Aber niemand machte den Mund auf. Das erledigten dann Kreuzer und Trainer Thorsten Fink am nächsten Morgen, als beide der Mannschaft in einer 20 Minuten dauernden Sitzung mit deutlichen Worten mitteilten, was sie von diesem leblosen Auftritt hielten. Danach folgte eine knapp einstündige Laufeinheit, gewürzt mit Steigerungsläufen. „Straftraining in klein“, so konnte die Schicht wohl tituliert werden, die nach dem leblosen Auftritt in Dresden zusätzlich zur Nachmittagseinheit angesetzt worden war.

Die Angst vor einem Fehlstart geht um rund um die HSV-Arena. Wieder einmal. Noch lebhaft in Erinnerung sind Fink die Niederlagen zu Beginn der vergangenen Saison, als sich der Club gleich in der ersten Runde des DFB-Pokals beim damaligen Drittligisten KSC verabschiedete und in der Bundesliga dreimal punktlos blieb. Zwar müssen die Hamburger jetzt mit Schott Jena am Sonntag (16 Uhr, Sky) nur einen Fünftligisten ausschalten. Doch Kreuzer warnt: „Mit der Einstellung von Dresden werden wir auch dort Probleme bekommen.“ Und auch Fink ärgerte sich: „Ich bin stinksauer, in Spielen wie gegen Dresden erwarte ich mehr Cleverness. In Jena muss eine Reaktion kommen. Da müssen sie Gas geben, sonst wird es für einige Spieler eng im Hinblick auf das erste Spiel gegen Schalke.“ Bewährungsstrafen für die HSV-Spieler nach einem Benefizspiel – Alarmstimmung pur im Volkspark.

Euro-League-Platz fast utopisch

Klar ist: In diesem Zustand der Mannschaft scheint das angepeilte Erreichen eines internationalen Startplatzes fast utopisch, zumal sich noch kein eingespieltes Team gefunden hat. Während in der Innenverteidigung Johan Djourou (die Operationswunde hat sich entzündet) noch einige Wochen fehlen wird, offenbarte der talentierte Lasse Sobiech eklatante Schwächen, genau wie Dennis Aogo, der in Jena für den angeschlagenen Marcell Jansen spielen soll. Im Mittelfeld konnte Petr Jiracek die Erwartungen bislang nicht im Ansatz erfüllen, was die linke Seite endgültig zur Problemzone macht. Ob Milan Badelj seine krassen Formschwankungen in der Zentrale ablegen kann, erscheint zumindest fraglich. Und im Angriff wirkt Neuzugang Jacques Zoua wie ein Fremdkörper, er braucht noch Eingewöhnungszeit.

Bezeichnend, dass Fink den 17-jährigen Jonathan Tah, der in Dresden zum ersten Mal von Beginn an auflaufen durfte, noch als besten Akteur pries und indirekt dessen Mitspieler kritisierte: „Er hat zugehört, was ich gesagt habe.“ Doch auf den Jüngling kann der HSV-Trainer nur begrenzt zurückgreifen. Während seine Kollegen Strafrunden liefen, saß Tah im Gymnasium auf der Schulbank. Irgendwie typisch HSV.

Fink gibt sich trotzig. „Ich bleibe optimistisch und hartnäckig, bisher habe ich immer meine Ziele erreicht.“ Dass er nicht nur die fußballerischen Fähigkeiten seiner Spieler, sondern auch Werte wie Siegeswille und Leidenschaft pflegen muss, ist dem Trainer längst bewusst. Wie auch Kreuzer, der bereits nach dem ersten Testspiel gegen Innsbruck (0:2) gepöbelt hatte: „Eine unterirdische Leistung. Wir sind der HSV, da können wir uns nirgendwo so blamieren.“

Kreuzer fordert mit Hochdruck neuen Stürmer

Der Sportchef mag auf auf schnelle Besserung gehofft haben. In Dresden musste er aber eingestehen, dass der Auftritt das Innsbruck-Spiel „noch einmal getoppt“ habe. Mit Hochdruck forscht Kreuzer deshalb nach einer Verstärkung im Sturm. Doch zunächst müssen aussortierte Spieler wie Robert Tesche, Slobodan Rajkovic oder Paul Scharner abgegeben werden.

Und die Spieler? Sie hielten sich mit Kommentaren nach dem Minusauftritt merklich zurück. Mit einem Tag Abstand wollte auch Kapitän Rafael van der Vaart nichts beschönigen: „Eine solche Niederlage darf nicht passieren, wenn man für den HSV spielt. Bei uns passiert das leider viel zu oft. Das tut schon weh“, sagte der Niederländer. „Gegen Dresden hat nichts gestimmt, gegen Inter fast alles. Aber man ist immer nur so gut wie das letzte Spiel, und im Moment sind wir scheiße.“

Immerhin war die Stimmung während des Nachmittagstrainings schon wieder erstaunlich gut, es wurde mit mehreren Spielformen viel an Lösungen auf engstem Raum gearbeitet. Nach 80 Minuten war dann endgültig Feierabend – fast. Bevor die Mannschaft Richtung Umkleide verschwand, holte Fink noch einen Schornsteinfeger auf den Rasen, der allen Spielern die Hand schüttelte. „Ich wurde von einem Fan gefragt, ob ich nicht Lust auf diese Aktion hätte. Ist doch eine nette Geste“, sagte der Trainer. Warum auch nicht. Schließlich kann dem HSV in der derzeitigen Verfassung eine gehörige Portion Glück nicht nur nicht schaden. Sie ist dringend nötig.