Nach dem 2:9-Debakel sind keine Proteste geplant. Aber die Stimmung bleibt angespannt. Die Fans fordern “Herz und Leidenschaft“.

Hamburg. Am vergangenen Sonntagmorgen war Christian Bieberstein vor allem eines: verdammt müde. Der kommissarische Supporterschef war um kurz nach 7 Uhr mit dem Sonderzug der HSV-Fans aus München am Hauptbahnhof eingerollt, nachdem er sich gemeinsam mit 700 anderen Anhängern 27 Stunden zuvor, in der Nacht zum Sonnabend um 4.10 Uhr, zur "schlimmsten Niederlage, die ich je in meinem Leben erlebt habe", auf den Weg gemacht hatte. Etwas mehr als 100 Euro hat der Osterausflug insgesamt gekostet, den Bieberstein so schnell nicht vergessen wird: "Ich kann nicht verstehen, dass man sich so gehen lässt."

Wie Bieberstein, der an diesem Sonnabend auch ganz offiziell zum Abteilungsleiter der Supporters gewählt werden dürfte, erging es am Wochenende vielen. Knapp 8000 HSV-Fans waren am Ostersonnabend in München Zeuge der historischen 2:9-Niederlage gegen die Bayern. Es war eine Pleite, daran gibt es selbst vier Tage danach keinen Zweifel, die Narben hinterlassen wird. "Die Stimmung ist jetzt natürlich angespannt", sagt Bieberstein, "es sind keine Protestaktionen geplant, aber es ist Druck auf dem Kessel."

Oliver Scheel, Vorstand für Mitgliederbelange, kann das bestätigen. Bis zum Mittwoch waren 55 Kündigungen von bisherigen HSV-Mitgliedern eingegangen, mehr als 200 Anhänger ließen ihre Wut per E-Mail freien Lauf. "Selbstverständlich sind unsere Fans enttäuscht", sagt Scheel, der daran erinnert, dass die Leidensfähigkeit der Anhänger bereits in der jüngeren Vergangenheit mehr als ausgereizt wurde.

Dabei schien die Verbindung zwischen Fans und Mannschaft trotz der zahlreichen Enttäuschungen in den vergangenen Jahren stets ein echtes Pfund des HSV zu sein. Anders als beispielsweise in Köln oder Frankfurt, wo es nach sportlichen Rückschlägen immer wieder zu Gewaltausbrüchen kam, reagierten die Hamburger Anhänger in der vergangenen Saison, der schlechtesten Spielzeit aller Zeiten, mit einer "Jetzt erst recht!"-Kampagne. "Selbst im Abstiegskampf standen die Fans bis zum Ende hinter der Mannschaft. Das war ein großes Plus von uns", sagt Bieberstein, und warnt: "Wenn keine Besserung eintrifft, dann kann der Schuss schnell nach hinten losgehen. Blamiert sich der HSV auch gegen Freiburg, droht die Stimmung hitzig zu werden."

Auch Markus Limpert ist Kummer als HSV-Fan gewohnt. Der Sozialpädagoge hat seit 1985 eine Dauerkarte, war Mitte der 90er-Jahre ein sogenannter Allesfahrer, ist Mitgründungsvater des Supporters Club und war 2004 für ein halbes Jahr Fanbeauftragter. Und der Super-Fan kann sich gut an die dramatischen Werder-Wochen 2009 erinnern, an das verpatzte Heim-Europafinale 2010, an die schmerzhafte Niederlage gegen den FC St. Pauli 2011 und an den Abstiegskampf der vergangenen Saison. Eine historische Pleite wie in München hätte er bis zum Wochenende aber nicht für möglich gehalten: "Ich hätte nie gedacht, dass so etwas tatsächlich passieren kann."

Die Entschuldigungsaktion der Spieler, die am Tag nach dem Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf (Sa, 20. April) zu einem Grillfest laden, empfindet der 43-Jährige nur bedingt als Wiedergutmachung: "Ich finde es gut, dass sich die Spieler überhaupt mal Gedanken machen", sagt Limpert, "aber die wirklichen Fans, die immer auswärts mit dabei sind, werden nur wenig von der Idee haben." Er erwartet, dass viel mehr Familienväter mit ihren Kindern das Grillfest zum Sonntagsausflug nutzen, die Aktion so aber verpuffen würde. Seine Idee: "Ich hätte es mir gewünscht, dass einige Spieler einfach mal im Sonderzug mit den Fans zurückfahren. Dann bekommen die Profis mal ein Gefühl für den Aufwand, der von den Anhängern betrieben wird."

Die Frage, ob das angespannte Verhältnis zwischen Fans und Mannschaft noch zu kitten sei, ist für Limpert schnell beantwortet: "Echte Wiedergutmachung funktioniert nur auf dem Platz. Ein Sieg alleine gegen Freiburg reicht da aber nicht." Trotzdem werde er sich die Partie gegen den Siebten der Liga aber selbstverständlich auch am Sonnabend (18.30 Uhr) live im Stadion anschauen. Mehr als 50.000 Anhänger, die sich bereits eine Karte gesichert haben, werden es Limpert gleichtun. "Die Mannschaft ist jetzt in der Pflicht, die Fans mit einem engagierten Spiel gegen Freiburg wieder mit ins Boot zu holen", sagt Supporterschef Bieberstein.

Was genau die Anhänger von der Mannschaft gegen Freiburg erwarten, stand auf einem Transparent, das am Mittwoch am Trainingsgelände angebracht war: "Wir pfeifen auf Wurst und Bier, wir wollen Herz und Leidenschaft dafür!" Klingt doch ganz simpel.