Als Krisenmanager muss der HSV-Sportchef gemeinsam mit Trainer Fink Lösungen finden. Arnesen hält nichts von populistischen Sofortmaßnahmen.

Hamburg. Frank Arnesen hatte Redebedarf an Tag 3 nach der Blamage von München. Bereits um 8.30 Uhr bat der HSV-Sportchef Trainer Thorsten Fink zur anderthalbstündigen Vieraugenanalyse der 2:9-Pleite gegen die Bayern, um 10 Uhr ging es mit einer Vorstandssitzung weiter. Gegen 12.45 Uhr unterbrach Arnesen die interne Diskussionsrunde, um für eine halbe Stunde den Medien Rede und Antwort zu stehen. Ohne Mittagspause ging der Gesprächsmarathon für den Dänen um 13.30 Uhr in die Verlängerung, als der vierköpfige Vorstand den Mannschaftsrat (Heiko Westermann, René Adler, Dennis Aogo, Marcell Jansen und Rafael van der Vaart) in den ersten Stock der Arena hinzubat. "Ich bin seit 37 Jahren im Profifußball aktiv, aber so eine schlimme Niederlage habe ich noch nicht erlebt", sagte Arnesen, "darüber mussten und müssen wir reden."

Arnesen ist ein besonnener Mann. Er hält nichts von populistischen Sofortmaßnahmen, drakonischen Strafen oder opportunistischen Aktionen: "Mir war es wichtig, im Gespräch mit den Spielern zu ergründen, was es für Gründe für diese schlimme Niederlage in München gegeben haben kann." Arnesen ist klug, meist fröhlich und stets höflich. Am Dienstagmittag wirkte der 56 Jahre alte Wahl-Hamburger allerdings erstmals auch ein wenig ratlos. "Das Spiel in München wird uns das ganze Leben verfolgen, aber wir müssen jetzt auf den Kurs zurückfinden, auf dem wir vorher waren", sagte der gebürtige Kopenhagener, der in dem Moment offenbar vergessen hatte, dass seine Mannschaft bereits in den beiden Heimspielen vor dem historischen Bayern-Desaster gegen Fürth (1:1) und Augsburg (0:1) gestolpert war.

Also: Was nun, Herr Arnesen? Die Fragen nach der kurzfristigen Zukunft versuchte der vierfache Familienvater zunächst zu umgehen. "Ich glaube an den Dialog", sagte Arnesen lediglich. Mit Fink habe er besprochen, dass es vorerst keine Stammplätze mehr geben werde. Die Mannschaft solle nun hart arbeiten, und überhaupt: Freiburg, der kommende Gegner, sei eben nicht Bayern München. Aber wie er und Fink die Mannschaft konkret bis zum Wochenende wieder aufrichten wollen, konnte der Vorstand Sport eben auch nicht beantworten: "Wir müssen diese Niederlage ganz einfach vergessen."

Dabei hat Arnesen als Hamburgs Krisenmanager reichlich Erfahrung vorzuweisen. Seit der frühere Chelsea-Sportchef am 23. Mai 2011 beim HSV seinen Dienst antrat, eilt der Bundesligaclub von einer Krise zur nächsten. Besonders im kräftezehrenden Abstiegskampf seiner ersten Saison musste der smarte Bundesliganeuling so manchen Brandherd eindämmen, ehe im vergangenen Sommer ein wahrer Flächenbrand drohte. Im August 2012 musste sich Arnesen, immer freundlich, immer nett, nicht mehr schützend vor die Mannschaft stellen, nach drei Pflichtspielniederlagen zu Saisonbeginn und einigen kritischen Berichten über seine Arbeitsweise war vielmehr der eigene Job in akuter Gefahr.

"Kurz nach Saisonbeginn war ich ja fast schon weg, das weiß ich auch", gab Arnesen unlängst in einem Gespräch mit dem Abendblatt offen zu. Sowohl die eigenen Vorstandskollegen als auch ein Teil des Aufsichtsrats, der laut Satzung für die Bestellung und Entlassung des Vorstands zuständig ist, hatten sich ganz konkret mit einer möglichen Demission des Dänen beschäftigt. Nach Informationen des Abendblatts wurden sogar bereits Gespräche mit möglichen Nachfolgern geführt. Doch Krisenmanager Arnesen meisterte auch die Krise um seine eigene Person, ging zunächst sogar gestärkt aus der Misere hervor.

Nach dem Wechselbad der Gefühle in der laufenden Saison weiß allerdings auch Arnesen, dass eine Verlängerung seines im Sommer 2014 auslaufenden Vertrags alles andere als ein Selbstläufer wird. Spätestens im Herbst dieses Jahres, wenn ein erster Trend über den Erfolg oder Misserfolg der neuen Transferaktivitäten erkennbar ist, will sich der Aufsichtsrat mit der wichtigsten Personalentscheidung des Jahres beschäftigen. Schon jetzt scheint klar, dass der am drittbesten bezahlte Manager der Liga bei einer möglichen Verlängerung mit erheblichen Einbußen rechnen müsste. Der teuerste Sportchef der HSV-Geschichte wird kein zweites Mal ein Gehalt von rund zwei Millionen Euro angeboten bekommen.

Ob er sich nach der geschichtsträchtigen Niederlage in München denn auch selbst hinterfragen würde? Arnesen überlegt, zögert, atmet einmal ein und wieder aus. Er hinterfrage sich fast jeden Tag selbst, aber eben nicht an so einem Tag. Arnesen fühlt, dass er gebraucht wird. Er möchte helfen. Er will die Mannschaft, die er selbst zusammengestellt hat, wieder aufrichten.

"Es ist doch wie bei einem Boxkampf", sagt Arnesen, "wir sind in der fünften Runde ausgeknockt worden, aber wir haben noch sieben Runden, um aufzustehen." Tatsächlich hat der HSV noch sieben Spieltage, um die Fans ein wenig zu versöhnen. Nur: Wer beim Boxen erst mal ausgeknockt worden ist, der kann eben nicht mehr aufstehen.