Mentaltrainer Olaf Kortmann kritisiert, dass der HSV öffentlich betont, für einen internationalen Wettbewerb noch nicht bereit zu sein.

Hamburg. Der HSV dieser Tage ist schon kurios. Während andere Teams in der Regel einen klaren Trend erkennen lassen, spielt die Elf von Trainer Thorsten Fink an einem Wochenende überragend, am nächsten katastrophal, dann wieder durchschnittlich. Trotz dieser Schwankungen liegt die Mannschaft in der Tabelle auf Platz sieben nur einen Punkt vom internationalen Wettbewerb entfernt. Doch von europäischen Zielen, das machte Fink bereits am vergangenen Wochenende deutlich, wolle er nach dem enttäuschenden 1:1 gegen den Tabellenletzten aus Fürth so schnell jedenfalls nichts mehr hören. "Unter dem Strich sind die Jungs noch nicht reif dafür", sagte er.

Aber stimmt das denn überhaupt? Sollte ein Trainer öffentlich sagen, dass die eigene Mannschaft nicht reif für Europa sei, obwohl sie nach mehr als zwei Dritteln der Saison nur eine Winzigkeit davon entfernt ist? "Nein", sagt Olaf Kortmann entschlossen. Der Hamburger Mentaltrainer, der bereits mit einer Vielzahl von Profisportlern zusammengearbeitet hat, hält nichts von solch einer Zurückhaltung. "Finks Strategie, den Druck von der Mannschaft fernzuhalten, geht nicht auf, weil diese Strategie nicht leistungsfördernd ist. Das Schlimmste, was man als Trainer sagen kann, ist, dass die Mannschaft für ein bestimmtes Ziel noch nicht so weit sei. Das ist ein Persilschein für schlechte Leistungen. Damit gibt man der Mannschaft unbewusst ein Alibi, dass sie tatsächlich noch nicht so weit ist." Kortmann betont, dass ein Trainer seiner Mannschaft den Druck ohnehin nicht nehmen könne, weil dieser im Leistungssport immer vorhanden sei: "Es geht viel mehr darum, diesen Druck offensiv anzunehmen und in positiven Druck zu verwandeln. Das ist die Aufgabe des Trainers."

Der frühere Volleyballbundestrainer, der sich vor zwei Jahren als HSV-Aufsichtsratskandidat beworben hatte, arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Managementcoach und verfolgt in dieser Funktion besonders interessiert das psychologische Feingefühl von Führungskräften im Spitzensport. Im Profifußball, der mehr als andere Sportarten in der Öffentlichkeit steht, sollten sich die Übungsleiter nach Kortmanns Meinung eine Doppelstrategie zurechtlegen. Intern müsse man dem Team das Gefühl vermitteln, dass es gut genug sei, um entsprechende Ziele auch zu erreichen, extern sollte man diese Ziele nie negieren, sie aber auch nicht von sich aus betonen. "In der Bundesliga setzt niemand diese Doppelstrategie so gut um wie Dortmunds Jürgen Klopp", sagt der 57-Jährige, der einen in Dortmunds Umkleide an die Wand gemalten Kabinenspruch für exemplarisch hält: "Wir spielen unser Spiel, unabhängig vom Spielstand und vom Gegner."

Dieses Vorhaben betont auch Fink vor nahezu jeder Begegnung - einzig an der Umsetzung hapert es des Öfteren. Deshalb verteidigt der Coach auch seine öffentliches Zurückhaltung: "In manchen Spielen haben wir die Europa-League-Reife, in manchen aber leider auch nicht. Auf Dauer können wir diese Klasse noch nicht abrufen, das ist unser Problem. Deswegen haben wir auch von Anfang an Europa nicht als unser Ziel ausgegeben, auch wenn mich die Leute damit jede Woche konfrontieren. Wenn mir vor der Saison jemand gesagt hätte, wir werden Siebter, dann hätte ich das angenommen."

Dennoch hätte der Thorsten Fink, der vor fast eineinhalb Jahren voller Optimismus den Job in Hamburg übernahm, heute wohl aggressivere Töne gespuckt. Damals ließ er keinen Zweifel an der Begabung seiner Kicker aufkommen, redete sie vor jedem Spiel öffentlich stark - und wurde dafür ebenfalls kritisiert. "Ich habe schon mitbekommen, das sich damals mit meiner forschen Art angeeckt bin", sagte Fink unlängst im Abendblatt.

Die richtige Vorgehensweise gleicht offenbar einem Vabanquespiel. Kortmanns Vorschlag: "Man kann doch als Trainer sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, oben mitzuspielen da ist, sofern die Mannschaft auch im nächsten Spiel wieder ihre bestmögliche Leistung abruft. Man muss die Chance auch ergreifen wollen. Der Trainer muss seiner Mannschaft Visionen vermitteln. Die Spieler müssen selbst die Lust verspüren, in der kommenden Saison in Europa dabei zu sein, dann hat man es als Trainer geschafft."

Diese Lust sollte eigentlich jeder HSV-Profi verspüren. Und die Spieler sind in ihren Ausführungen mitunter mutiger als ihr Coach. "Grundsätzlich sehe ich ab Platz vier keinen, der von der Qualität des Kaders her stärker ist als wir", sagte Torwart René Adler unlängst. Auch sein Kollege Marcell Jansen pflichtete ihm bei: "Natürlich haben wir andere Ansprüche, als nicht abzusteigen. Diese Diskussion, ob Europa oder nicht, ist ja mittlerweile auch ein kleines Spielchen geworden."

Wenn der HSV seinem "Nicht-Trend" folgt, müsste nach dem schlimmen Auftritt in Hannover und dem durchwachsenen gegen Fürth nun eigentlich wieder ein erstklassiger in Stuttgart folgen. Drei Punkte, und der HSV stände vermutlich wieder auf einem Europa-League-Platz. Klar ist dann: Das "Spielchen", von dem Jansen spricht, wird weitergehen.