Vor dem Heimspiel gegen den FC Augsburg spricht Nationalspieler Dennis Aogo über Phasen der Verzweiflung und neue Hoffnung beim HSV.

Hamburg. Dennis Aogo schaut stets nach vorne. Unter der Woche verkündete der 24-Jährige, mit dem HSV in der Rückrunde noch die Europa-League-Ränge angreifen zu wollen. Erste Voraussetzung dazu wäre aber ein Sieg gegen den FC Augsburg (Sa., 15.30 Uhr, Liveticker auf abendblatt.de). Zuvor schaute der Nationalspieler aber auf ein bewegtes Jahr zurück.

Hamburger Abendblatt:

Herr Aogo, drei neue sowie zwei Übergangstrainer, neuer Vorstand, neuer Sportchef, dazu die sportliche Talfahrt und jetzt der Aufschwung. 2011 war ein unheimlich ereignisreiches, aufwühlendes Jahr, oder?

Dennis Aogo:

Schade, dass man das so bilanzieren muss, aber in den vergangenen Jahren war es ständig unruhig. Es gab viele Trainingswechsel, Höhen und Tiefen. Neu war die sportliche Brisanz, weil wir total hinterherhingen. Es war auch für mich als Spieler eine neue und ganz schwierige Phase, die mich emotional unheimlich belastet hat. Ich bin ein Typ, der sich einbringen will und versucht, nach Lösungen zu suchen. Die Lage gestaltete sich aber so zerfahren, dass nur ein kleines Licht am Ende des Tunnels zu sehen und es schwierig war, dorthin zu kommen.

Wie näherten Sie sich denn an?

Aogo:

In der Phase habe ich kaum Lösungen gefunden. Anfang der Woche versuchst du aufzustehen und neuen Mut zu fassen. Du willst mehr arbeiten, damit der Erfolg zurückkehrt. Und am Ende fliegt man wieder auf die Schnauze. Das war erschöpfend, bei mir persönlich machte sich ein Gefühl der Leere breit, der Hilflosigkeit, man steckt in einer Negativspirale. Da herauszukommen, klappt nur mit Erfolgserlebnissen. Wenn diese aber Woche für Woche ausbleiben, wird es schwierig. Aber aus dieser Phase habe ich viel gelernt.

Mit solchen Ereignissen künftig besser zurechtzukommen?

Aogo:

Exakt. Man darf das an sich ranlassen, aber nicht zu nahe, nicht alles mit nach Hause nehmen und alles an sich selbst aufhängen. Einige können das isoliert als Teil des Jobs sehen, ich aber habe die Schuld auch bei mir selbst gesucht, weil ich mich sehr verantwortlich gefühlt habe.

Wird man mit solchen Problemen als Fußballer nicht generell alleine gelassen? Ist das nicht noch ein großes Defizit in Vereinen, verglichen mit der psychologischen Betreuung beim DFB?

Aogo:

Wir haben ja jemanden. Die Frage ist aber, wie offen man ist. Unter Michael Oenning hatten wir einen Psychologen, der mit uns auch in der Gruppe gearbeitet hat. Wir haben durchaus vieles versucht, wurden nicht alleine gelassen. Die Nationalmannschaft heranzuziehen ist einfach, weil wir ja in den vergangenen Jahren auch extrem erfolgreich waren. Man sieht so was ja erst, wenn der Karren richtig an die Wand gefahren ist.

Was klappt jetzt mit Trainer Fink besser als mit den Trainern Veh und Oenning?

Aogo:

Unabhängig davon, dass ein Vergleich grundsätzlich schwer ist, ist das eine Frage, die ich nur so beantworten kann: Ich weiß es nicht! Das ist genau das, was mich so belastet hat. Auch Oenning hatte seine Stärken und versuchte, mit seinem ganzen Wesen Einfluss auf die Situation zu nehmen. Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er nicht alles versucht hat oder dass er nicht offen war. Er hat mit uns oft geredet, im Spielerrat haben wir häufig versucht, Sachen zu verändern und zu verbessern. Vielleicht hat es zwischen Mannschaft und Trainer einfach nicht gefunkt.

Oenning wurde oft vorgeworfen, ihm fehle die nötige Ausstrahlung, um dem Team den Glauben an die Stärken zu vermitteln. Ihre Aussagen klingen anders.

Aogo :

So etwas sagt sich so einfach. Im Fußball ist am Ende alles vom Erfolg abhängig. Gewinnst du, ist das Umfeld ruhig, wird der Sportchef gefeiert, weil er richtig eingekauft hat. Verlierst du, sucht man immer nach Gründen, dann ist auch alles am Trainer schlecht. Aber von mir werden Sie nicht hören, dass er ein schlechter Trainer war. Michael ist gelernter Lehrer, er hat auch auf pädagogische Art und Weise versucht, Einfluss zu nehmen. Er hat vielleicht den einen oder anderen in gewissen Situationen nicht erreicht.

Inwiefern hat sich der Machtwechsel im Vorstand negativ ausgewirkt?

Aogo:

Überhaupt nicht, intern war das kein großes Thema. Die Gleichung, Unruhe im Verein ist gleich schlechtere Leistung, stelle ich nicht auf, das hatte absolut nichts miteinander zu tun. Wenn ich auf dem Platz stehe, denke ich nicht an irgendein Präsidium oder an einen fehlenden Sportdirektor, sondern dann will ich das Spiel gewinnen. Das Einzige, was man erreichte, war, der Mannschaft ein Alibi zu geben.

Hatte Thorsten Fink einfach das Glück, die ersten Spiele nicht zu verlieren?

Aogo:

Als Glück würde ich das definitiv nicht bezeichnen. Ich glaube schon, dass er der richtige Mann zur richtigen Zeit war. Er passte perfekt in die Situation, um der Mannschaft einen frischen Wind zu geben. Ich hätte mir keinen besseren Trainer vorstellen können.

Als es nicht lief, hieß es oft, dass der HSV keine Mannschaft habe, der Charakter wurde angezweifelt. Wie wurde diese Kritik aufgenommen und verarbeitet?

Aogo:

Das hat uns sogar geholfen! Wir profitieren noch heute davon. In den Gesprächen mit Mitspielern habe ich das Gefühl, und zwar unabhängig von der Serie von nicht verlorenen Spielen, dass wir jetzt als Mannschaft gut funktionieren. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb. Seit ich in Hamburg bin, habe ich es noch nie erlebt, dass wir als Team so zusammen sind, dass viele Spieler auch privat etwas unternehmen und sich in großen Gruppen zum Essen treffen oder auch mal feiern gehen. Ich habe das Gefühl, dass jeder für den anderen kämpft.

Es ist also auch für Profis wichtig, dass man sich menschlich gut versteht?

Aogo:

Sehr wichtig. Wenn man den Vergleich machen will: Genau das sieht man auch in der Nationalmannschaft. Ohne diese gute Stimmung wäre das deutsche Team sicher nicht so erfolgreich, für mich ist das ein großer Schlüssel zum Erfolg.

Funktionierte die Nationalmannschaft als Trostspender während der schwierigen HSV-Phase?

Aogo:

Auf jeden Fall. Ich war Anfang der Saison einmal nicht für den DFB nominiert, was auch nicht gerade schön war. Als ich aber wieder von Bundestrainer Joachim Löw eingeladen wurde, habe ich mich umso mehr gefreut und kehrte mit einem anderen Selbstbewusstsein zum HSV zurück. In einer Mannschaft mit guter Stimmung fühlt man sich selbst anders und kann sich entsprechend besser entfalten.

Wie kann sich das Team verbessern, wo sehen Sie das größte Potenzial?

Aogo:

Das Schöne ist: überall! Ich sehe uns in einer ordentlichen Entwicklung, aber es gibt noch so viele verbesserungsfähige Dinge, das fängt beim Spielaufbau an und geht weiter zum Thema Positionierung, dem Spiel über Außen. Der Trainer hat ein Muster vorgegeben, das es noch zu verfeinern gilt. Über Mangel an Arbeit müssen wir nicht reden.

Was wünschen Sie sich für die nähere Zukunft beim HSV?

Aogo:

Dass es so bleibt, wie es jetzt ist. Wir haben ein gutes Gefühl, was die Vereinsführung anbelangt, mit Frank Arnesen einen sehr positiven Sportdirektor und einen Trainer, der sehr gut mit dem Sportdirektor zusammenarbeitet. Man bemerkt ein anderes Miteinander. Wir haben ein junges, lernwilliges Team. Hier kann etwas entstehen. Das stimmt mich sehr positiv.