Das 0:5 in München war eine erschreckende Kopie des 0:6-Debakels im März. Oenning versprach Besserung, das Gegenteil ist eingetreten.

München. Die frühmorgendliche Krisensitzung am Tag nach dem Debakel in München dauerte nicht lange. Um 8.30 Uhr am Sonntag hatte sich der gesamte Hamburger Vorstand in der Geschäftsstelle im Volkspark versammelt, und nach nur 15 Minuten stand fest, was sich in den Wochen zuvor längst angedeutet hatte: Der Verein trennt sich mit sofortiger Wirkung von seinem Trainer. "Der HSV stellt sich erbärmlich und unwürdig dar", schrieb Günter Netzer in seiner Kolumne für die "Bild am Sonntag" - und ging in der Generalabrechnung mit seinem frühren Klub noch rücksichtsvoll ins Gericht.

Passiert ist das alles am 13. März dieses Jahres, am Tag nach der demütigenden 0:6-Niederlage des HSV in München. Keine 15 Stunden später wurde Armin Veh entlassen, und noch einmal drei Tage später endete auch noch die achtjährige Amtszeit des Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann. Die einzige Hoffnung, die der HSV an jenen dunklen März-Tagen hatte, sprach Michael Oenning, der damalige Interimsnachfolger Vehs, laut aus: "Es kann nur besser werden."

Etwas mehr als fünf Monate später steht nun fest: Oenning irrte.

Hamburgs 0:5 an diesem Wochenende in München fiel zwar um ein Tor geringer als damals aus, in der Art und Weise war die "erschreckende Niederlage" (Oenning) aber noch sehr viel schmerzhafter. "Am meisten Sorgen macht mir, dass wir plötzlich wegbrechen, dass wir überhaupt kein Selbstvertrauen mehr haben", bilanzierte Hamburgs Trainer nach der 90-minütigen Demütigung, die ihm im Gegensatz zu seinem Vorgänger zumindest nicht den Job kosten wird. "Ich stehe hinter der Mannschaft und hinter Michael Oenning", sagte Sportchef Frank Arnesen unmittelbar nachdem er im Anschluss an das Debakel in die Mannschaftskabine geeilt war.

Selten zuvor in der 124-jährigen Vereinsgeschichte wurde eine Hamburger Mannschaft derart vorgeführt wie der neue HSV an diesem schwarzen Sonnabend. Die Statistik-Übersicht, die Oenning während der Pressekonferenz nach dem Spiel ausgiebig studierte, wies 25:4 Torschüsse für die Bayern aus, 62:38 Prozent Ballkontakte und 59:41 Prozent gewonnene Zweikämpfe. "Bayern war zwei Klassen besser als wir", sagte der frühere Münchner Marcell Jansen, der dabei noch deutlich untertrieb. Es grenzte fast an ein Wunder, dass es der Rekordmeister trotz einhundertprozentiger Torchancen im zweistelligem Bereich bei den Treffern durch Daniel van Buyten (13.), Franck Ribéry (17.), Arjen Robben (34.), Mario Gomez (56.) und Ivica Olic (80.) beließ.

Nach 270 alles in allem beängstigenden Minuten in der Bundesliga und 90 nicht viel besseren Minuten im Pokal muss bereits vor dem vierten Spieltag bilanziert werden, dass diese Hamburger Mannschaft derzeit nicht bundesligatauglich ist. "Wir müssen jetzt schnell eine Elf finden, die in der Lage ist, etwas dagegenzusetzen", sagte Oenning, "möglichst schon bis zum kommenden Wochenende."

Es darf als Laune des Schicksals bezeichnet werden, dass am kommenden Sonnabend ganz Fußball-Deutschland auf das Kellerduell zwischen den punktgleichen Schlusslichtern 1. FC Köln und HSV, die sogar die gleiche Tordifferenz (minus sieben) aufweisen, blickt. "Für mich beginnt die Saison mit dem Spiel gegen Köln erst so richtig", sagt Aufsichtsratschef Otto Rieckhoff, der auf den längst überfälligen ersten Sieg hofft. "Wir müssen uns mit Gegnern messen, die in der Tabellenregion bei uns sind - und das wird am nächsten Wochenende sein", sagte auch Jansen, "bis dahin wird es jetzt überall knallen."

Potenzial zum großen Knall gibt es in allen Mannschaftsteilen. Mit zehn Gegentoren stellt der verjüngte HSV nach drei Spielen die schlechteste Abwehr der Liga. Ob Oenning auch gegen Köln an den völlig überforderten Michael Mancienne und Jeffrey Bruma in der Innenverteidigung festhalten wird, wollte der Coach noch nicht beantworten. Wahrscheinlich ist allerdings, dass er den im zentral-defensiven Mittelfeld unglücklich agierenden Heiko Westermann wieder in die Viererkette zurückzieht. Die gegen Bayern bitterlich enttäuschenden Außenverteidiger Dennis Aogo (links) und Dennis Diekmeier (rechts) bleiben dagegen alternativlos gesetzt.

Im Mittelfeld dürfte sich - mal wieder - einiges ändern, im Sturm wird der vor dem Bayern-Spiel erkrankte Mladen Petric zurückerwartet. "Unser einziger Vorteil ist, dass wir nach dieser Niederlage gegen Bayern ganz genau wissen, was die Stunde geschlagen hat", sagte Oenning, der das Feld trotz der aufkommenden Unruhe nicht kampflos räumen will: "Der Job ist zurzeit nicht einfach, aber er bringt mir noch Spaß. Der Verein bleibt ruhig."

Bleibt zu hoffen, dass sich Hamburgs Trainer diesmal nicht irrt.