53 Liter Regen pro Quadratmeter in nur 48 Stunden sorgten für die erste Absage des Stadtduells zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli.

Hamburg. Manchmal ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis nur winzig klein, aber doch entscheidend. So hatten sich die Verantwortlichen des HSV vor dem sprichwörtlich ins Wasser gefallenen Hamburg-Derbys gegen den FC St. Pauli entschieden, dem neuen Rollrasen eine Doppelseite in der Vereinszeitung "HSVLive" zu widmen. Und zumindest in der Theorie, so viel weiß man spätestens nach diesem eher ungewöhnlichen Bundesligawochenende, war das eine wohlüberlegte Wahl. Schließlich war der Rasen der unumstrittene Protagonist des Wochenendes. Nur die Praxis gestaltete sich um einiges problematischer als in dem Artikel erwartet. Denn die in der Theorie so reibungslose Verlegung des neuen Untergrunds, die in der Rasenreportage auf den Seiten 24 und 25 ("Der grüne Teppich ist ausgerollt") ausführlich beschrieben wurde, war mit der endgültigen Absage des Derbys am Sonnabend um 20 Uhr hinfällig.

Zu diesem Zeitpunkt war praktisch offiziell, was sich im Laufe des Sonnabends bereits theoretisch angedeutet hatte: Tief "Hans" und laut Wetteramt 53 Liter Niederschlag pro Quadratmeter in nur 48 Stunden hatten für die erste Absage eines Hamburg-Derbys überhaupt gesorgt. Zum Vergleich: In den vergangenen zehn Jahren regnete es durchschnittlich im gesamten Monat Februar 41 Liter Niederschlag pro Quadratmeter in Hamburg. "Gegen so ein Wetterphänomen ist man ganz einfach machtlos", sagte HSV-Greenkeeper Hermann Schulz, der am Sonnabend gemeinsam mit Stadionchef Kurt Krägel zähneknirschend vor den Wassermassen kapituliert hatte.

Gegen 14.45 Uhr hatte Krägel einen Anruf von HSV-Teammanager Jürgen Ahlert erhalten, der dem Stadionchef vom schlechten Zustand des Rasens berichtete, auf dem die Profis des HSV eigentlich um 15 Uhr ein letztes Mal vor dem Derby trainieren wollten. Und während HSV-Trainer Armin Veh kurzerhand auf den Trainingsplatz neben der Arena auswich, machte sich Krägel umgehend auf den Weg ins Stadion, um sich gemeinsam mit einem Kollegen der Deutschen Fußball-Liga DFL selbst ein Bild zu machen. "Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nicht mit einem derartigen Rasen gerechnet", sagte Krägel, der nach einer Platzbegehung umgehend Schiedsrichter Günter Perl kontaktierte. Um 19 Uhr wiederholten Krägel, der DFL-Vertreter und Perl die Rasenbegutachtung. Ihr einstimmiges Urteil: Das Spiel muss abgesagt werden. Nachdem auch noch St. Paulis Teammanager Christian Bönig den Platz begutachtet und der Unbespielbarkeit des Rasens zugestimmt hatte, informierte Krägel die DFL und anschließend HSV-Trainer Veh, der die Nachricht an seine Profis im Elysée-Hotel überbrachte. Um 20.17 Uhr war das Derbywochenende, das theoretisch noch gar nicht begonnen hatte, ganz praktisch beendet.

Den Vorwurf, den Rasen ganz einfach zu spät verlegt zu haben, wollte sich beim HSV allerdings niemand gefallen lassen. "Das Spiel wäre auch mit dem alten Rasen abgesagt worden. Irgendwann kann die Erde nicht mehr so viel Wasser abgeben, wie sie zuvor aufgenommen hat", konterte Krägel, der das lädierte Grün gestern Abend ein weiteres Mal mit Yves Kessler, einem staatlich geprüften Sportplatzbaugutachter, der eigens aus München eingeflogen wurde, überprüfte. Kesslers Fazit: Der Rasen wurde fachgerecht verlegt, den HSV trifft keine Schuld. Im Laufe des heutigen Tages soll sein Abschlussbericht vorliegen.

Tatsächlich hatte vor knapp zwei Wochen zunächst Frost im holländischen Venlo, von wo aus der HSV seinen Untergrund bezieht, einen frühzeitigen Rasentransport verhindert. Am vergangenen Montag hatte sich Greenkeeper Schulz persönlich von der Qualität des Rasens in den Niederlanden überzeugt, der ab Mittwoch nach Hamburg transportiert wurde. Nachdem auch noch ein Bombenalarm in der Arena am Donnerstag für eine Verzögerung gesorgt hatte, konnten die Arbeiten erst am Freitag abgeschlossen werden. Schulz betonte, dass es aber irrelevant sei, wann der Rasen verlegt wurde. Es sei ein Irrglaube, dass ein neuer Rasen anwachsen müsse. "Für den Spielabbruch spielt es keine Rolle, wann ein neuer Rasen verlegt wurde", sagte Schulz, der am Sonntag fachkundige Unterstützung erhielt. "Man kann dem HSV keinen Vorwurf machen. Bei so viel Regen ist es völlig egal, wie alt der Rasen ist und wann man ihn austauscht", sagte Michael Paletta, der Vorsitzende des Vereins Greenkeeper Nord.

Einig ist man sich auch, dass mit diesem Wochenende das Sprichwort "Wenn es regnet, wird es nass" eine ganz neue Bedeutung bekommen hat. Die Verantwortlichen des HSV und vom FC St. Pauli hoffen nun auf eine zügige Neuansetzung, bei der dann statt des Rasens mehr das Geschehen auf demselbigen in den Fokus rückt. "Der grüne Teppich liegt, die Vorstellung kann beginnen ...", heißt es im Schlusssatz der Rasenreportage in der "HSVLive". Ein Satz, dem man zumindest theoretisch nichts mehr hinzufügen muss.