Nach dem 2:3 beim Schlusslicht in Köln driften Anspruch und Wirklichkeit beim HSV wieder einmal weit auseinander. Das Team ist nur Mittelmaß.

Köln/Hamburg. Am Ende eines durch und durch verkorksten Arbeitstages konnte Armin Veh dann doch noch lachen. Der HSV-Trainer hatte am späten Sonnabend in den Katakomben des Kölner Rhein-Energy-Stadions einen alten Bekannten aus Augsburg erspäht, steuerte umgehend auf ihn zu und scherzte: "Das ist ja klar, dass du hier bist. Immer wenn du dabei ist, verlieren wir." Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht.

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Dabei war Veh nach der vorangegangenen 2:3-Niederlage beim 1. FC Köln zunächst alles andere als zum Scherzen zumute. Der HSV-Trainer hatte nach der enttäuschenden 1:5-Pokalpleite in Frankfurt am Mittwoch eine Trotzreaktion seiner Mannschaft beim Schlusslicht der Liga gefordert - und wurde bitter enttäuscht. "Wenn man den Anspruch hat, oben mitzuspielen, dann muss man so ein Spiel einfach gewinnen", sagte Veh trotz überstandener Grippe mit einem dicken Hals, "wenn man nicht gewinnt, dann muss man sich eingestehen, dass wir unseren eigenen Ansprüchen derzeit nicht genügen."

Tatsächlich deutete Vehs Mannschaft in den 90 Minuten zuvor nur selten an, was ihr eigentlicher Anspruch sein soll. Die Wirklichkeit wurde den Hamburgern durch Kölns Dreifach-Torschützen Milivoje Novakovic dagegen brutal vor Augen geführt. Ähnlich wie drei Tage zuvor in Frankfurt kam der ersatzgeschwächte HSV in der Offensive zwar zu einigen Möglichkeiten und sogar zu zwei Toren, lud die zuvor sechs Spiele in Folge sieglosen Kölner im Gegenzug aber förmlich zum Toreschießen ein. "Zumindest die erste Halbzeit erinnerte doch stark an unser Spiel in Frankfurt", sagte auch Piotr Trochowski, der erstmals in seiner Profikarriere als Sechser vor der Abwehr aushelfen musste. Die zahlreichen Ausfälle - darunter die potenziellen Stammspieler Ruud van Nistelrooy, Zé Roberto, Marcell Jansen, Frank Rost, Dennis Aogo und Eljero Elia - wollte dabei niemand als Alibi missbrauchen. "Uns hat ganz einfach der letzte Wille gefehlt", analysierte Sportchef Bastian Reinhardt treffend.

Seit 2003 schaffte der HSV nur einmal den Einzug in die Champions League

Warum dieser Wille den Hamburgern aber so häufig fehlt, konnte auch Reinhardt nicht beantworten. Dabei ist der 34-Jährige ein ganz vorzüglicher Kronzeuge auf der Suche nach Gründen, warum der HSV trotz bester Voraussetzungen nur selten einen gelungenen Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit schafft. Von 2003 bis 2010 spielte Reinhardt als Profi beim HSV. In dieser Zeit wurde seine Mannschaft je zweimal Achter und Siebter, je einmal Fünfter, Vierter und vor viereinhalb Jahren sogar Dritter. Ein Titel wurde nicht gewonnen. Der Anspruch des HSV war vor Saisonbeginn jeweils das Erreichen der Champions League, die Wirklichkeit hieß am Saisonende aber bis auf eine Ausnahme maximal Europa League beziehungsweise Uefa-Cup. In nahezu allen wichtigen Spielen, so schien es zumindest, fehlte den HSV-Profis der "letzte Wille", von dem Reinhardt auch jetzt spricht.

Vor dieser Saison, der ersten von Reinhardt als Sportchef, wurde bewusst kein konkreter Tabellenplatz als Saisonziel ausgegeben, die Qualifikation für den internationalen Wettbewerb sollte es aber schon sein. "Dieser HSV muss einfach einen hohen Anspruch haben", sagte Veh, der gemeinsam mit Reinhardt die Mannschaft für rund 15 Millionen Euro verstärken durfte - nur Wolfsburg und Schalke gaben noch mehr für Neuzugänge aus. Mit Gehaltsausgaben von jährlich mehr als 45 Millionen Euro gehört der HSV zur Top Drei der Liga, der "letzte Wille", der den Hamburgern zuvor auch in Bremen, gegen Wolfsburg und in Frankfurt gefehlt hat, konnte aber offenbar nicht verpflichtet werden.

Dabei hat der HSV einen virtuellen Transferwert von knapp 135 Millionen Euro (Quelle: transfermarkt.de), die Spieler des 1. FC Köln sind dagegen nur rund 55 Millionen wert. "Wenn man so dumme Fehler macht wie wir, dann ist es ganz egal, welche Spieler auf dem Papier stehen", sagte Trochowski, der bereits nach dem Pokalaus in Frankfurt kritisiert hatte, dass die Mannschaft in der Anfangsphase vom Kopf her nicht wirklich da gewesen sei. Einen ähnlichen Eindruck bekamen die Zuschauer auch in Köln, diesmal fehlte allerdings der Kopf - oder eben auch der "letzte Wille" - in der Schluss- statt in der Anfangsphase. Das entscheidende Gegentor zum 2:3 (84.) fiel nach einer Verkettung von Fehlern, an denen nahezu jeder Akteur der Viererkette beteiligt war. "Über höhere Ziele brauchen wir vorerst nicht zu reden", bilanzierte Joris Mathijsen. Willkommen im Mittelmaß!

Trainer Veh zieht ein ernüchterndes Fazit nach zehn Spieltagen

Mit Platz acht in der Bundesliga dürfte allerdings in Wahrheit niemand zufrieden sein. "15 Punkte aus zehn Spielen sind ganz eindeutig zu wenig", gibt Veh ehrlich zu. Was bis zum nächsten Auftritt gegen Hoffenheim, das gestern mit 4:0 Hannover 96 deklassierte, besser werden soll, konnte Veh aber auch nicht sagen. Ein wenig Hoffnung auf Besserung darf sich der Neu-Hamburger aber in jedem Fall machen. Sein Bekannter aus Augsburger Tagen hat jedenfalls nicht angedeutet, am Sonnabend auch nach Hamburg zu kommen.