Piotr Trochowski steht nach dem 2:3 in Bremen beim HSV am Scheideweg. Obwohl er nur kurz spielte, ärgerte sich Veh über ihn sehr - zu sehr?

Bremen/Hamburg. Wie klein man mit knapp 1,70 Meter tatsächlich ist, konnten aufmerksame Beobachter besonders gut am späten Sonnabend im Bremer Weserstadion beobachten. Als dort Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer, 1,92 Meter groß, nach 92 abwechslungsreichen und vor allem nervenaufreibenden Minuten die unglückliche 2:3-Niederlage des HSV gegen Werder mit dem Schlusspfiff besiegelt hatte, baute sich HSV-Trainer Armin Veh, 1,81 Meter, umgehend vor Piotr Trochowski, 1,69 Meter, auf. Binnen Sekunden schien der tatsächliche, zwölf Zentimeter große Längenunterschied auf gefühlt einen halben Meter zu wachsen. Mit rotem Kopf und offenem Hemd redete Veh auf seinen Nationalspieler ein, gestikulierte und ließ auch nicht ab, als Trochowski für einen Moment überlegte, einen Einspruch zu wagen. Wie denn Trochowski geantwortet habe, fragte ein Medienvertreter. "Da braucht man keine Antwort", sagte Veh, der über den Rest des Monologs aus Jugendschutzgründen lieber nicht sprach.

Trochowski leitete mit einem Ballverlust den Treffer zum 2:3 ein

"Das hat mit Profifußball nicht mehr viel zu tun, so ein Fehler darf nicht passieren", sagte Veh wenig später, als sich seine Gesichtsfarbe normalisiert hatte und sein Kopf nicht mehr zu explodieren drohte. Gemeint war die 85. Spielminute, als der gerade erst eingewechselte Trochowski einen Ball in der Vorwärtsbewegung leichtfertig an Bremens ebenfalls eingewechselten Daniel Jensen vertändelt und so den Gegenangriff eingeleitet hatte, der schließlich zum 2:3 durch Hugo Almeida führte. "Ich habe mich maßlos geärgert. Wenn man gerade erst im Spiel und noch frisch ist, darf einem so ein Fehler nicht unterlaufen", kritisierte Veh, der seiner Enttäuschung vor und hinter den zahlreichen Fernsehkameras ungeschönt freien Lauf ließ.

Die Frage ist nur: Darf er das?

Ja, sagte ausgerechnet Trochowski. Genau genommen sagte er das zwar nicht, ließ es aber immerhin über die Presseabteilung des HSV übermitteln. "Es war ein blöder Fehler, ich kann die Reaktion vom Trainer nachvollziehen", wird der kleine Dribbler, der am Vortag wortlos zum Bus geschlichen war, nach dem Vormittagstraining am Sonntag zitiert. Ja, sagt auch Sportchef Bastian Reinhardt, stolze 1,94 Meter lang. Es sei nun mal ein emotionales Spiel gewesen, da könne man eine derartige Reaktion des Trainers nach dem Spiel verstehen. Und überhaupt: "Es war wirklich eine unglückliche Situation von Troche." Nein, sagen dagegen andere aus dem Verein, die sich allerdings nicht zitieren lassen wollen. Auch nicht von der vereinseigenen Presseabteilung.

Unstrittig dürfte dagegen sein, dass Piotr Trochowski auch nach fünf Jahren in Hamburg noch immer nicht seine Rolle gefunden zu haben scheint. Der 26-Jährige absolvierte 164 Bundesligaspiele für den HSV, schoss dabei 18 Tore. Er wurde in Hamburg Nationalspieler, darf sich Vize-Europameister und WM-Dritter nennen. Und doch gibt es keinen Trainer, der Trochowski - intern und extern - nicht hart kritisierte. Unter Veh-Vorgänger Bruno Labbadia, der Trochowski zunächst sogar eine Führungsrolle in der Nationalmannschaft attestierte, kam der Mittelfeldmann am Ende nur zu zehn Einsätzen in der Bundesliga über 90 Minuten, immer wieder warf Labbadia dem gebürtigen Polen vor, sich nicht an der Defensivarbeit zu beteiligen. Ein Vorwurf, den auch Labbadias Vorgänger Martin Jol und Huub Stevens teilten. Sprach man Trochowski auf die Kritik an, zeigte der sich meist uneinsichtig. Gerne betonte der Wahl-Eppendorfer, dass er sich beim HSV weiterentwickelt hätte, untermauerte das mit Statistiken und ärgerte sich über die seiner Meinung nach unberechtigte Kritik. "Ich werde zu wenig gewürdigt", hatte er in einem Abendblatt-Interview zu Anfang des Jahres gesagt, zwei Monate später in einem anderen Interview mit dieser Zeitung sogar nachgelegt: "Wenn es mal nicht so läuft, dann werde ich gerne kritisiert."

Wer Trochowski verstehen will, muss Roman Grill verstehen. Gerne lässt der Berater, der vor einem Jahr fast Sportchef des HSV wurde, seine Mandanten als selbstbewusste und moderne Profis darstellen. Interviews seiner Fußballer liest der ehemalige Mitarbeiter der Pressestelle des FC Bayern persönlich Korrektur, kritische Fragen werden ungern gesehen, selbstkritische Antworten noch viel weniger. Wer auf dem Platz keine Schwächen zeigen soll, darf sich auch abseits des Rasens keine Blöße geben. Seine Aufgabe als Berater sei es, dass sich seine Spieler entwickeln, sagte Grill in einem Interview.

Ob sich Trochowski in den fünf Jahren beim HSV tatsächlich entscheidend weiterentwickelt hat, ist eine Frage, die Grill nun gemeinsam mit den Verantwortlichen des HSV in Kürze beantworten muss. Trochowskis Vertrag läuft im Sommer aus, über eine mögliche Verlängerung wurde noch nicht verhandelt. Trochowski selbst will erst mal abwarten, wie sich seine persönliche Situation unter Neu-Trainer Armin Veh entwickelt. "Man muss auch berücksichtigen, was in den letzten Jahren passiert ist", sagte der WM-Teilnehmer vor drei Wochen, Hamburg sei zwar seine Heimat, aber auch einen Wechsel ins Ausland könne er sich vorstellen.

Zweifel an einer Zukunft Trochowskis in Hamburg scheinen angebracht

Gestern sprach Trochowski weder vom Ausland noch von einer Vertragsverlängerung. Der Nationalspieler, der trotz allem auf eine Einladung für die EM-Qualifikationsspiele in der kommenden Woche hofft, trainierte lieber statt zu reden. Die gute Nachricht: Veh und Trochowski gingen sich im Dauerregen nicht an die Wäsche. Die schlechte Nachricht: Zweifel, ob aus dem Kleinen wirklich noch ein Großer wird, scheinen angebracht.