Nach der 0:1-Blamage der deutschen Nationalmannschaft gegen Japan im WM-Viertelfinale gerät DFB-Bundestrainerin Silvia Neid in die Kritik.

Wolfsburg. Wieder hat Simone Laudehr am Ende aller Welt ihren muskulösen Bauch präsentiert. Nur hat die Fußballspielerin sich diesmal nicht enthemmt aus purer Freude und Begeisterung das Trikot über den Kopf gezogen wie noch im WM-Finale 2007 bei ihrem Jubellauf nach dem 2:0 gegen Brasilien. Am Sonnabend waren da nur Frust und Enttäuschung, und als Laudehr wie vor vier Jahren ihr Trikot lupfte, wollte sie einfach nur die Tränen verbergen, die nicht mehr aufzuhalten waren.

Weltmeisterinnen wollten sie wieder werden, zum dritten Mal in Serie. Diesmal obendrein im eigenen Land. Jäh und unerwartet ist der Traum geplatzt. "Was soll ich denn jetzt zu Hause machen, ich meine, ganz ehrlich?", stammelte Laudehr nach dem 0:1 nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Japan. Im Spiel der körperlich größten und der kleinsten Mannschaft im Turnier waren sich beide Teams auf Augenhöhe begegnet. Mag für den Champion der Jahre 2003 und 2007 auch kein Automatismus bestanden haben, erneut zu reüssieren, so ist ein Aus im Viertelfinale für den Titelverteidiger und WM-Gastgeber eine Blamage.

Eine solche Einschätzung wollten sie an der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) alle gern wegreden. Das ist verständlich, doch es zielt an dem Gedanken vorbei, von dem Deutschlands Fußballfrauen bislang beseelt waren: Gleichberechtigung mit den Männern. Es bedarf wenig Fantasie, um sich vorzustellen, welches öffentliche Echo ein Aus von Löws Mannen in einem WM-Viertelfinale nach sich ziehen würde. "In ein paar Wochen werden wir positiv über die WM denken", behauptete stattdessen Bundestrainerin Silvia Neid. Eher anzunehmen ist, dass in ein paar Wochen kaum noch jemand überhaupt an dieses "20elf von seiner schönsten Seite" denken wird. Es dürfte ein kurzfristiger Hype um das Thema Frauenfußball gewesen sein - erst recht nach diesem deutschen Abschneiden.

Zurück bleiben gefallene Heldinnen. "Surreal", fand Torfrau Nadine Angerer die Situation, weil da in ihrem Kopf an sich das Bewusstsein war, "dass ich ins Hotel gehen muss, meine Tasche packen, weil es morgen weitergeht". Mittwoch Halbfinale, das Endspiel vor Augen. Alles wie sonst immer eben. Mittelfeldspielerin Melanie Behringer hatte "das Gefühl, wir sind bei diesem Turnier nicht richtig dabei gewesen".

Die deutschen Frauen in Stollenschuhen empfanden es also schlichtweg als eine Beleidigung, ausgeschieden zu sein. Gescheitert waren sie zuallererst an sich selbst. Der Souverän der Vergangenheit hatte im Hier und Jetzt vom ersten Spiel an seinen Nimbus der Unverwundbarkeit eingebüßt. Kein einziger standesgemäßer, nämlich souveräner Auftritt gelang dem Champion in spe. Wie es letztlich um die angeblich "beste Mannschaft der Welt" (Angerer) bestellt war, verdeutlichte diese Zustandsbeschreibung von Neid: "Ich habe immer geglaubt, dass wir noch ein Tor reinwurschteln, aber wirklich reinwurschteln, das hatte nichts mit grazilem Spiel zu tun. Vielleicht hätten wir eine Japanerin anschießen müssen, damit der Ball ins Tor geht."

Wie konnte es so weit kommen? Auf diese Frage hatte kaum zufällig zuerst Chefkritiker Bernd Schröder eine Antwort. "Die Spielerinnen waren mental platt", urteilte der Trainer des deutschen Meisters Turbine Potsdam. "Nicht ausgezahlt" habe es sich, dass die Bundestrainerin ihre Auserwählten in insgesamt sieben Lehrgängen zweieinhalb Monate lang auf die bevorstehenden Herausforderungen hatte präparieren dürfen. Glänzend verliefen zwar noch die Testspiele mit ausnahmslos Siegen und 15:0 Toren. Als es zählte, war in den Spielen erstaunlich, ja erschreckend wenig Abstimmung erkennbar. Offensiv klappte mit Ausnahme des einen Torreigens beim 4:2 gegen Frankreich kaum etwas so, wie es sollte; und defensiv klafften Lücken, die versiertere Gegner ausgenutzt hätten. "Trotz der langen Vorbereitungszeit ist es nicht gelungen, eine mannschaftliche Einheit hinzukriegen", bemängelte Siegfried Dietrich, Manager des Rekordmeisters 1. FFC Frankfurt.

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Alles, wirklich alles hatte der DFB dem patriotischen Auftrag untergeordnet. Hatte das Saisonfinale samt Pokalendspiel auf einen rekordverdächtig frühen Termin noch im März platziert. Selbst Champions-League-Finalist Potsdam und mit ihm Trainer Schröder bekam seine Nationalspielerinnen erst wenige Stunden vor dem Endspiel gegen Olympique Lyon zur Verfügung gestellt. Bis dahin hatte er fünf Akteurinnen abstellen müssen. Jetzt herrsche "Erklärungsnot", sagte Schröder: "Wir sind bei der WM vorzeitig gescheitert und haben das Finale der Champions League verloren. Also haben wir alles falsch gemacht, der deutsche Frauenfußball steht mit leeren Händen da."

Ohne Ertrag blieb so manche Annehmlichkeit wie etwa die in den Teamquartieren errichtete Player's Lounge, die der DFB den Spielerinnen erstmals hat zukommen lassen. In der Retrospektive gerät das zum Eigentor. Erst recht gilt das für flotte Sprüche der Marke "Dritte Plätze sind was für Männer". Denn die sagen nun: Wir, liebe Damen, standen immerhin im Halbfinale ... Und dass nach dem WM-Aus nun auch Olympia 2012 in London verpasst wurde, ist nur die langfristigste Auswirkung des Desasters für die DFB-Frauen.

Nach dem K. o. gegen die Japanerinnen traten die Zerwürfnisse, die Zwistigkeiten und Zickenkriege zutage, von denen zuvor nur vermutet werden konnte, dass sie bestanden haben mussten. Der hervorstechendste von vielen Konflikten war der zwischen Silvia Neid und Birgit Prinz. Die nunmehr auch offiziell zurückgetretene Rekordnationalspielerin wurde von der Bundestrainerin in beispielloser Weise demontiert. In der deutlichen Mehrzahl ihrer 214 Länderspiele hatte Prinz durchgespielt, auch wenn Deutschland hoch führte oder sie einmal keinen guten Tag erwischt hatte. Im WM-Spiel gegen Nigeria war sie nur wenige Minuten nach der Pause ausgewechselt worden. "Damit", urteilt Neid-Kritiker Schröder, "wurde mitten im Turnier dokumentiert, dass Prinz der Mannschaft nicht mehr helfen kann. Das hätte man auch schon früher feststellen können und hätte damit viel Unruhe von der Mannschaft weggehalten."

Im Verlauf der 120 Minuten gegen Japan hatte sich die mit 128 Länderspieltoren durchaus erprobte Schützin Prinz als einzige deutsche Reservistin nicht einmal mehr warm machen dürfen. Sie hätte sich eine Einwechslung schon vorstellen können, sagte Prinz, "ich habe mich fit gefühlt, hätte gerne gespielt, aber die Trainerin hat anders entschieden". Die Trainerin! Nicht länger "die Silv", wie Prinz ihre frühere Mitspielerin Neid sonst nennt.

Doch war Prinz nicht der einzige Beleg für unsouveränen Umgang der Bundestrainerin mit den Ihren. Neid giftete nahezu gegen alles und jede(n). Wegen des Gegentreffers gegen Torfrau Nadine Angerer: "Der Ball darf bei so einem spitzen Winkel eigentlich nicht reingehen." Gegen Alexandra Popp: "Sie hat es nicht besser gemacht als die anderen." Inka Grings und Linda Bresonik schließlich hätten "nicht mehr frisch gewirkt".