Erleichterung über den Auftaktsieg der Fußball-Frauen gegen Kanada. Doch die Kulisse von fast 74 000 Fans hat die Mannschaft eher gehemmt.

Berlin. Am Tag danach hatte sich der Stress gelegt. Die gesammelten Eindrücke vom WM-Eröffnungsspiel machten die deutschen Nationalspielerinnen mit dem Abstand einer Nacht noch fröhlicher als in der Woche vor dem Spiel. Denn beim 2:1 gegen Kanada hatte das Weltmeister-Team von 2003 und 2007 eine wahre Feuertaufe überstanden.

Die Riesenkulisse von fast 74 000 Zuschauern hatte die deutschen Frauen mehr gehemmt, als es auf den Tribünen des Olympiastadions zu sehen oder zu spüren war. "Es war schon extrem, beim Aufwärmen haben wir es sehr wahrgenommen", sagte Celia Okoyino da Mbabi. "Als wir vor dem Anstoß im Tunnel standen, habe ich gedacht: Wow, das darf nicht wahr sein", erklärte die Torschützin zum 2:0-Zwischenstand. Im Bundesliga-Alltag kickt sie in aller Regel für den SC Bad Neuenahr vor 500, maximal 1000 Zuschauern.

"Es war eine Grenzerfahrung", sagte Kapitänin Birgit Prinz. 213 Länderspiele hat sie bestritten, in Berlin hat die 33-Jährige oft mit dem 1. FFC Frankfurt das Vorspiel vor dem Männer-Pokalfinale bestritten und erlebt, dass viele Zuschauer dem Geschehen auf dem Rasen den Rücken zukehrten oder erst im Laufe der Partie ihre Plätze einnahmen. Große Zuschauerzahlen kennt die Rekordtorschützin (128 Treffer) des DFB aus ihrer 16-jährigen Länderspiel-Karriere durchaus. Aber dieser 26. Juni 2011 wird ihr immer in Erinnerung bleiben. "Das war sehr schön, eine coole Kulisse. Wenn es dann so weit ist, ist es doch ein komisches Gefühl", sagte die Frankfurterin. Am Donnerstag (20:45 Uhr, ARD live) folgt Teil zwei des realen Traums. In ihrer Heimatstadt tritt die deutsche Mannschaft im zweiten WM-Gruppenspiel gegen Nigeria an, vor einem Publikum, das den Frauenfußball besser kennt als das in Berlin, wo die weibliche DFB-Auswahl erstmals ein Länderspiel austrug.

Dass der siebenmalige Europameister nicht die Sterne vom Himmel spielte und nach dem Gegentreffer von Christine Sinclaire (82.) unter Druck geriet, lag auch an der Lärmkulisse in der Arena. "Auf dem Platz hat man kaum etwas verstanden. Alle mussten brüllen. Es war permanent laut, fast alle haben uns angefeuert", sagte Celia da Mbabi. "Aber die Zuschauer waren sensationell. Das hat alle Erwartungen noch übertroffen. Besonders am Ende haben sie uns sehr geholfen", sagte Silvia Neid. Als sie gestern erfuhren, dass in der Spitze mehr als 18 Millionen Zuschauer die Live-Übertragung in der ARD verfolgt hatten, reagierten die Spielerinnen mit großem Stolz.

Aber beide Mannschaften agierten vor der ungewohnt großen Zuschauerzahl sehr nervös. Taktische Anweisungen weiterzugeben, war fast unmöglich oder dauerte viel länger als normal. Aber davon war auch der Gegner betroffen. Auch die Kanadierinnen hatten ihre liebe Mühe, sich vor der Europarekord-Kulisse für ein Frauenfußballspiel zu sortieren. "Vor dem Spiel dachten wir nur, das ist ja der Wahnsinn", erzählte Sophie Schmidt, die defensive Mittelfeldspielerin des Ahornblatt-Teams. Dazu kam, dass die deutschen Spielerinnen ihr und den Kolleginnen mächtig zusetzten. "Die Deutschen sind physisch einfach Giganten", sagte Silvia Schmidt. Aber auch sie spürte, dass die Giganten sich lange recht klein vorkamen vor den riesigen Tribünenwällen.

Selbstkritik war denn auch nach dem Abpfiff die Losung der Stunde. "Wir müssen und werden uns steigern", versprach Kerstin Garefrekes, die trotz ihrer vergebenen Großchance von der Fifa zur besten Spielerin der Partie gekürt wurde. Die Spielerinnen fanden es schließlich normal, dass sie vor der unglaublichen Kulisse eine Stressreaktion gezeigt hatten. "Wir haben uns aber auch wahnsinnig gefreut, dass so viele Leute für uns ins Stadion gekommen sind", sagte Kerstin Garefrekes.

Freuen durfte sich denn auch Jubilarin Célia Okoyino da Mbabi, die gestern 23 wurde. Es gab Torte - und als Präsent einen Schlüsselanhänger. Auch hier können sich die kleinen, fröhlichen Giganten noch steigern.