Bagnols-en-Forêt. Hallo Hamburg,
nach einer Woche in Bagnols-en-Forêt lässt sich eine Überprüfung sämtlicher Frankreich- und Franzosen-Klischees nicht mehr weiter hinauszögern. Klischee Nr. 1: Franzosen essen fast ausschließlich Baguette. Stimmt! Und als manierlicher Gast passt man sich den Sitten an, weshalb es bei uns im Haus morgens, mittags, abends und nachts Baguette gibt. Klischee Nr. 2a: Franzosen sprechen kein Englisch. Stimmt auch! Aber: Klischee Nr. 2b: Franzosen lassen sich nicht auf eine Konversation im rudimentärem Schul-Französisch ein. Stimmt nicht! Mit den Worten oui (ja), non (nein), bière (Bier) und s’il vous plaît (bitte), die gerade noch aus vier Jahren Französisch-Unterricht haften geblieben sind, kann man très bien um die Runden kommen. Klischee Nr. 3: Alle Franzosen tragen Baskenmützen. Stimmt überhaupt nicht! Habe noch keine einzige Baskenmütze gesehen, was aber auch daran liegen kann, dass wir rund 800 Kilometer vom Baskenland entfernt sind. Klischee Nr. 4: Fran-zösinnen sind die besten Liebhaberinnen. Ein Klischee, dessen Überprüfung ich als anständiger Ehemann natürlich den Kollegen überlasse.

Klischee Nr. 5: Franzosen fahren sehr rasant Auto. Stimmt, wobei man die einfache Regel beachten muss, dass generell gerne dann beschleunigt wird, sobald ein Kreisverkehr auftaucht. Klischee Nr. 6: Frankreich ist das Land des Weins. Stimmt wahrscheinlich, aber weil ich mir besonders Klischee Nr. 2b zu Herzen genommen habe, bleibe ich lieber bei oui, bière und s’il vous plaît. Klischee Nr. 7: Franzosen fahren den ganzen Tag Rennrad. Stimmt auch. Alle 200 Meter kommen einem Hobby-Radler entgegen, die in der Regel auch meis-tens ein gelbes Trikot (Klischee Nr. 8) tragen. Klischee Nr. 9: Es gibt hier wirklich Menschen, die Gänsele-berpastete essen. Stimmt auch, was sogar den eigenen Kollegenkreis miteinschließt. Weit hinten im Kühlschrank habe ich dieses Teufelszeug schon gesehen, von dem ich mich aber fern halten werde. Klischee Nr. 10: Das Wetter ist immer trés bien. Stimmt nicht, aber dazu habe ich mich ja schon mehr als genug geäußert. Immerhin, gestern und heute hat auch mal die Sonne geschienen. Jetzt freue ich mich auf das Spiel.

In dem Sinne, à demain,

Kai Schiller

Abendblatt-Redakteur Kai Schiller begleitet die deutsche Nationalmannschaft vor und während der EM. Jeden Tag schreibt er einen Brief an Hamburg, derzeit aus dem Trainingslager in Südfrankreich