Der Leverkusener vertrat den Münchner gegen Dänemark bravourös. Vor dem Viertelfinale hat Löw jetzt die Wahl: Bender oder Boateng?

Danzig/Lwiw. Lars Bender legte beim Zuhören die Stirn in Falten. Nervosität? Unsicherheit? Unmöglich. Es war doch nur ein Fußball-Spiel, das er da gerade gemacht hat. So ging der 23-Jährige von Bayer Leverkusen mit seinem traumhaften ersten Einsatz von Beginn an in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft um. So recht glauben wollte man ihm das nicht – schließlich gab er nicht nur einen hervorragenden Vertreter von Rechtsverteidiger Jerome Boateng, sondern erzielte in seinem neunten Einsatz für das DFB-Team auch noch das Siegtor zum 2:1 gegen Dänemark.

„Ich habe mich super gefühlt. Da war nichts von Nervosität zu spüren. Ich hatte nichts zu verlieren. Ich musste ja auch niemandem etwas beweisen. Es war für mich eine ganz tolle Aufgabe, und ich bin da ganz relaxed herangegangen“, sagte Bender und schaute fast lässig aus glasklaren Augen in die Runde der Medienvertreter am Tag danach.

Eine „große Ehre“ war es für Lars Bender, der bei der Nominierung des EM-Kaders seinem acht Minuten jüngeren und für Doublegewinner Borussia Dortmund spielenden Zwillingsbruder Sven vorgezogen worden war. Für ihn sei zunächst das Ziel gewesen, überhaupt in das 27 Spieler umfassende, vorläufige Aufgebot zu kommen. Lars schaffte das und dann auch den Sprung auf den EM-Zug. Das Erlebnis Europameisterschaft sei schon großartig. Aber, „als der Bundestrainer mir sagte, 'Junge, du spielst', war ich überglücklich“.

Löw wusste genau, was er tat. Wenn er über den einen spricht, in diesem Fall Lars, dann nimmt er den anderen meist mit ins Boot. „Die Mannschaft hat sich mit Lars und Sven auch gefreut. Das sind Siegertypen. Sie haben keine Angst, sie zeigen keinen überzogenen Respekt vor dem Gegner, auch wenn sie vor eine völlig neue Aufgabe gestellt werden“, sagte Löw, als er eigentlich nur Lars loben sollte.

Als Löw Anfang Mai in Rastatt den EM-Kader nominierte, zuckte Fernsehzuschauer Lars Bender kurz daheim auf der Couch. Schon da hatte der Bundestrainer den Mittelfeldspieler erstmals als mögliche Alternative für die rechte Verteidigerposition aufgezählt.

Heimisch will der Turnierdebütant da nicht werden – schon gar nicht im Vereinsalltag bei Bayer Leverkusen. „Das hat mir mein Trainer gleich geschrieben. Ich habe geantwortet. Das kommt nicht infrage. Ich spiele im Mittelfeld. Wenn sie Bedarf haben, sollen sie sich um einen Rechtsverteidiger bemühen“, sagte Bender – bierernst.

Die Heimatposition ist im Mittelfeld

„Ich habe bei der Bekanntgabe des EM-Kaders erfahren, dass ich dafür infrage komme“, erklärte der 23-Jährige, der bei Bayer einmal ganze 16 Minuten als Rechtsverteidiger aushalf. „Ich habe jahrelang im Mittelfeld gespielt, das ist meine Position. Aber es war eine interessante und lustige Aufgabe.“

Sein großes Talent und seine läuferischen Qualitäten ließen Löw auf die Idee kommen, es mit ihm als rechter Verteidiger zu versuchen. 11,34 Kilometer lief Bender im Spiel gegen Dänemark, 80 Meter davon im Sprint zu seinem Siegtor. „Gottseidank habe ich getroffen. Wenn ich dem Torhüter in die Arme geschossen hätte, hätte ich die 80 Meter zurück rennen müssen“, sagte Bender. „Kompliment! Vor diesem Jungen muss man einfach den Hut ziehen“, lobte Teamkollege Sami Khedira.

Doch ganz so selbstverständlich war dieses Tor nicht, wie auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach anerkennend feststellte. „Riesenrespekt, Du hast hinten am eigenen Strafraum den Ball geholt, dann der Sprint über das ganze Feld und in der entscheidenden Sekunde warst Du da“, sagte er auf dem Rückflug von Lwiw nach Danzig vor versammelter Mannschaft.

Die Frage zu sportlichen Vorbildern auf dieser Position konnte Lars Bender überhaupt nicht beantworten, weil er sich nie darüber Gedanken gemacht habe. Er wählte da den kürzesten Weg und nannte Kapitän Philipp Lahm, von dem er sich einiges „abschauen“ kann. In der Jugend bewunderte er für seine Stammposition Weltmeister Gennaro Gattuso oder Liverpools Kapitän Steven Gerrard.

In den Stunden nach dem Dänemark-Spiel sei laut Bender das „Handy explodiert“, so viele Glückwünsche aus der Heimat seien eingegangen. Er antwortete zunächst nur auf die von Bruder Sven, ansonsten hätte er nicht in den Schlaf gefunden. Während des Trainingslagers entstand an einem Punkt noch der leise Verdacht, dass auch der Bundestrainer mit der verblüffenden Ähnlichkeit der beiden Probleme und Sven, ebenfalls Mittelfeldspieler, anstatt Lars als Rechtsverteidiger im Auge hatte. „Er wird sich nun relativ sicher sein, dass ich es bin“, sagte Lars Bender.

Ob er im Team bleiben darf als Stammkraft, ist aber ungewiss. Auf die Frage, ob er eine dauerhafte Option als rechter Außenverteidiger sei und auf das Viertelfinale gegen Griechenland hoffen dürfe, sagte Löw: „Jerome Boateng hat in den ersten beiden Spielen auch gut gespielt.“

Große Ansprüche will Bender trotz des Tores jetzt nicht stellen. Der Trainer wisse, „dass er auf mich setzen kann. Ich tue aber gut daran, kleine Brötchen zu backen. Das Team geht vor.“ Er meinte damit, dass er auch nicht murren wird, wenn er im Viertelfinale gegen Griechenland wieder ins zweite Glied zurück muss. Am Freitag ist der gegen die Dänen gesperrte Boateng wieder einsatzbereit. Man dürfe aber auch nicht vergessen, sagte Lars Bender ganz verschmitzt: „Ich habe ein Tor mehr als Jerome.“

Die deutschen Spieler in der Einzelkritik

Manuel Neuer: Hatte zunächst wenig Arbeit, war aber stets hochkonzentriert. Musste den ersten gefährlichen Ball passieren lassen, war beim 1:1 aber machtlos. Hatte das Glück des Tüchtigen, als Jakob Poulsen in der 51. Minute nur den Außenpfosten traf.

Lars Bender: Zahlte in seinem ersten Länderspiel reichlich Lehrgeld. Konnte die Nervosität in der für ihn ungewohnten Rolle nie ablegen. Über die Seite des Boateng-Vertreters ging die meiste Gefahr aus, hatte vor allem gegen Nicklas Bendter große Probleme. Wurde mit seinem ersten Länderspieltreffer in der 80. Minute aber noch zum Held des Abends.

Holger Badstuber: Nicht so souverän wie gegen Portugal und die Niederlande. Hatte gegen Bendter ebenfalls einige Male das Nachsehen. Zudem einige Schwächen im Aufbauspiel.

Mats Hummels: Erneut eine ordentlich Vorstellung in der Innenverteidigung. Klärte einige Male in höchster Not, die Abstimmung mit Badstuber kann aber noch besser werden.

Philipp Lahm: Stark verbessert gegenüber den ersten beiden Spielen. Ließ auf seiner Seite nichts anbrennen und schaltete sich immer wieder geschickt in das Offensivspiel ein.

Sami Khedira: Äußerst unauffällig ohne große Ausschläge nach oben oder unten. Vergab in der 41. Minute eine sehr gute Gelegenheit. Bei weitem nicht so präsent wie in den vorangegangenen beiden Spielen.

Bastian Schweinsteiger: Konnte nicht an seine starke Leistung gegen die Niederlande anknüpfen. Seine Pässe fanden selten einen Abnehmer. War um Ordnung bemüht, konnte dem Spiel aber nicht seinen Stempel aufdrücken.

Thomas Müller: Vergab in der 6. Minute eine Tausendprozentige. War am 1:0 beteiligt und mühte sich auch der rechten Seite, rieb sich aber zumeist in den Zweikämpfen auf. Sucht nach wie vor seine EM-Form.

Mesut Özil: Ließ immer mal wieder seine Genialität aufblitzen, der letzte Pass kam aber viel zu selten an. Wurde von der dänischen Defensive gut aus dem Spiel genommen. Leitete dann mit einem Geistesblitz das 2:1 ein. Kann dennoch deutlich mehr.

Lukas Podolski: Besser kann ein Jubiläum kaum verlaufen. Erzielte in seinem 100. Länderspiel mit seinem schwächeren rechten Fuß seinen 44. Treffer. Defensiv erneut sehr ordentlich, präsentierte er sich zunächst auch wieder in der Offensive von seiner besseren Seite. Fiel nach der Pause deutlich ab und wurde in der 64. Minute durch Andre Schürrle ersetzt.

Mario Gomez: Das gestiegene Selbstbewusstsein war bei jeder Aktion zu spüren. Bereitete das 1:0 per Hackentrick vor. Sah beim 1:1 allerdings gegen den viel kleineren Michael Krohn-Dehli nicht besonders gut aus. Vergab in der 33. Minute eine gute Möglichkeit. Machte in der 74. Minute für Miroslav Klose Platz.

Andre Schürrle: Kam in der 64. Minute für Podolski und hatte nur drei Minuten später das 2:1 auf dem Fuß. Sein Schuss war aber zu schwach, um Stephan Andersen zu bezwingen.

Miroslav Klose: Ersetzte ab der 74. Minute Mario Gomez, konnte sich aber nicht mehr großartig in Szene setzen.

Toni Kroos: Erneut nur ein Kurzeinsatz für den Münchner, der seine Situation beklagt hatte. Konnte keine Eigenwerbung mehr betreiben.

Statistik

Dänemark: Andersen/FC Evian TG (30 Jahre/13 Länderspiele) - Jacobsen/FC Kopenhagen (32/53), Kjaer/AS Rom (23/27), Agger/FC Liverpool (27/49), Simon Poulsen/AZ Alkmaar (27/21) - Kvist/VfB Stuttgart (27/31) - Eriksen/Ajax Amsterdam (20/26), Jakob Poulsen/FC Midtjylland (28/24) ab 82. Mikkelsen/FC Nordsjaelland (25/6), Zimling/FC Brügge (27/14) ab 79. Christian Poulsen/FC Evian TG (32/92), Krohn-Dehli/Bröndby IF (29/24), Bendtner/FC Sunderland (24/51). - Trainer: Olsen

Deutschland: Neuer/Bayern München (26/29) - Bender/Bayer Leverkusen (23/9), Hummels/Borussia Dortmund (23/17), Badstuber/Bayern München (23/23), Lahm/Bayern München (28/89) - Khedira/Real Madrid (25/30), Schweinsteiger/Bayern München (27/93) - Müller/Bayern München (22/30) ab 84. Kroos/Bayern München (22/29), Özil/Real Madrid (23/36), Podolski/1. FC Köln (27/100) ab 64. Schürrle/Bayer Leverkusen (21/15) - Gomez/Bayern München (26/55) ab 74. Klose/Lazio Rom (34/119). - Trainer: Löw

Schiedsrichter: Carlos Velasco Carballo (Spanien)

Tore: 0:1 Podolski (19.), 1:1 Krohn-Dehli (24.), 1:2 Bender (80.)

Zuschauer: 32.990

Gelbe Karten: -

Torschüsse: 10:13

Ecken: 5:3

Ballbesitz: 41:59

Mit Material von dapd, dpa und sid