Bei der EM setzt der Nationalcoach nicht nur auf Trainer- und Betreuerstab. Wichtig sind ihm drei Vertraute, die ihn schon lange begleiten.

Für ein paar Minuten schien Joachim Löw das ganze Drumherum zu vergessen: die Kamerateams, die Fotografen, die Journalisten. Auch die 23 Spieler, seine wichtigsten Assistenten, seine Experten. Wie ein kleiner Junge stand der Bundestrainer auf einem Bein im Mittelkreis des hoteleigenen Trainingsplatzes in Oliwski und jonglierte einen Ball mit dem anderen Bein. Während seine Spieler intensiv von einer Armada an Assistenten für die Trainingseinheit warm gemacht wurden, beschäftigte sich Löw mit seinem Lieblingsspielzeug: einem Fußball. Mal nahm er den Kopf zu Hilfe, mal den Oberschenkel. Wenn ihm der Ball vorsprang, hüpfte er schnell hinterher, zog ihn mit der Sohle auf seinen Fuß und kickte ihn wieder in die Luft. Knapp zehn Minuten ging das so, dann hatte der Chef vorerst genug.

Wenige Tage vor dem Start der Fußball-Europameisterschaft in Polen und in der Ukraine scheint ausgerechnet der Mann, auf den ganz Deutschland so erwartungsvoll schaut, die Ruhe selbst zu sein. Auch der spontane Besuch von Kanzlerin Angela Merkel gestern Nachmittag brachte ihn nicht aus dem Konzept. "Jetzt, wo wir loslegen können, spüre ich keinen Stress mehr, sondern nur Spaß", sagt Löw, von dem die Nation nicht mehr und nicht weniger als den ersten Titel einer Nationalmannschaft seit 16 Jahren fordert. Der dritte Platz bei der WM 2006 hat das Land begeistert, der zweite Platz bei der EM 2008 überrascht, der dritte Platz bei der WM 2010 gefreut. Doch nun, bei der EM 2012, ist ein zweiter oder dritter Platz nicht mehr genug. "Die Erwartungshaltung ist riesig, aber mit diesem Druck muss man eben umgehen können", sagt Löw, der bereits vor Monaten mit seinen engsten Assistenten Hansi Flick, Andreas Köpke und dem Schweizer Chefscout Urs Siegenthaler jeden einzelnen Tag dieser Europameisterschaft detailliert vorbereitet hat.

Badener Familienmensch

"Bei Jogi Löw wirkt immer alles so leicht, so entspannt. Was aber nur wenige sehen, ist, wie viel Arbeit hinter all dem steckt", sagt Roland Eitel, der Löw als Berater seit 17 Jahren begleitet. Es war der 1. Juli 1995, das weiß Eitel noch ganz genau, als er und Löw sich erstmals über den Weg liefen. Für den Schwaben Eitel war es der erste Arbeitstag als Pressesprecher des VfB Stuttgart, für den Badener Löw der erste Arbeitstag als Assistenztrainer. Drei Jahre arbeiteten die beiden zusammen in Stuttgart, ehe Löw quasi im Vorbeigehen erfuhr, dass beim VfB kein Platz mehr für ihn sei. Als auch Eitel davon erfuhr, verließ er Stuttgart aus Solidarität und gehört seitdem zu den wenigen Menschen, denen Löw vertraut. "Löw und sein Trainerteam sind während eines Turniers wie in einem Tunnel. Sie haben keine Außensicht der Dinge mehr. Deshalb ist es wichtig, die Innensicht, die Löw und Co. 24 Stunden am Tag haben, mit der Außensicht zu kombinieren", sagt Eitel im Gespräch mit dem Abendblatt. Er ist für die Außensicht verantwortlich.

Früher, als es noch einen Libero gab, die Engländer keine Elfmeter schießen konnten und Vokuhila-Frisuren auf dem Fußballplatz noch schick waren, da war der Kosmos der Nationalmannschaft noch relativ leicht zu überschauen. Es gab einen Bundestrainer, einen Co-Trainer, der in den Halbzeitpausen im Fernsehen sagte, dass die Mannschaft genau so weiterspielen müsse, und einen Pressesprecher. Heute ist das anders. Gemeinsam mit Jürgen Klinsmann, der nach der desaströsen Europameisterschaft 2004 die DFB-Auswahl für die Heim-WM 2006 übernommen hatte, baute Löw die Nationalmannschaft zu einer eigenen Firma um. Aus der Ansammlung von ein paar Fußballern wurde ein richtiges Unternehmen, das von Klinsmann und später von Löw als Chef der Firma geleitet wurde. Auf dem Platz setzt Löw neben Assistent Flick und Torwarttrainer Köpke auf ein vielköpfiges Trainerteam, zu dem auch ein Kinesiologe, der alternativmedizinisches Diagnose- und Behandlungskonzept lehrt, ein Yogatrainer, ein Psychologe und zwei US-Amerikaner, die sich Athletic-Coaches nennen, gehören. Und abseits des Platzes vertraut der 52-Jährige auf eine Dreierkette, zu der neben Eitel auch der Berater Harun Arslan und der Rechtsanwalt Christoph Schickhardt gehören. "Jogi Löw hat vor allem vom Jürgen Klinsmann gelernt, zu delegieren. Früher hat auch er gedacht, als Trainer müsse er alles alleine machen", sagt Eitel, der sich offiziell um Medienanfragen und Werbeauftritte des Bundestrainers kümmert und inoffiziell einfach den Schutzschild gibt, der zwischen Löw und der Öffentlichkeit platziert ist.

Während sich Eitel für die Zeit der Europameisterschaft unweit des Nationalmannschaftshotels Dwor Oliwski einquartiert hat, gerne mal hier und da auftaucht und auch gestern im Medienzelt neben dem Trainingsplatz vorbeischaute, wird der 56-jährige Arslan in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dabei gilt der gebürtige Türke als der Mann, so schrieb es das "Handelsblatt", dem Löw seine Karriere zu verdanken habe. Man kann das so sehen, man kann es aber auch genau umgekehrt sehen. Fakt ist, dass sich beide in einem Moment vor 14 Jahren gesucht und gefunden haben, als keiner von beiden auf der Sonnenseite des Lebens stand.

Es war kurz nach Löws Entlassung beim VfB im Sommer 1998, als Arslan, der als Selfmademan gerade erst ein eigenes kleines Sportmarketing-Unternehmen in Hannover gegründet hatte, sein Glück am Telefon probierte. Der einstige Restaurantbetreiber, der nun sein Hobby zum Beruf machen wollte, hatte gelesen, dass Löw beim VfB in Ungnade gefallen war, und, wie es der Zufall nun mal so wollte, dass just in diesem Moment Fenerbahce Istanbul einen Trainer suchte. Arslan rief bei Löw an, dann bei Fenerbahces Präsidenten. Einfach so. Der Deal, der nicht gelingen konnte, gelang - und Joachim Löw blieb sein Klient.

Bastian Schweinsteiger: Chef oder Chefchen?

"Ich schätze Harun Arslan menschlich und fachlich außerordentlich", sagt Löw, "er gehört mittlerweile zu meinen besten Freunden." Tatsächlich vertraut der Bundestrainer Arslan wie keinem Zweiten. Als die Beziehungen zwischen Löw und dem DFB wegen der zunächst geplatzten Vertragsverlängerung vor der WM 2010 ins Stocken gerieten, war es Löw-Freund Arslan, der zwischen beiden Parteien vermittelte. Erfolgreich vermittelte.

Finalisieren musste die nach Monaten ausgehandelte Vereinbarung damals der Dritte im Bunde. Christoph Schickhardt, der wie Eitel in Ludwigsburg aufgewachsen ist und durch sein Volontariat bei den "Stuttgarter Nachrichten" ebenso wie Löw auf eine Vergangenheit im Ländle zurückschauen kann, ist für alle Vertragsfragen des Bundestrainers zuständig. "Jogi mag es beständig, deshalb bleibt er seinen Beratern auch seit vielen Jahren treu und lässt nicht zu, wenn sich einer dazwischendrängeln will", sagt der wohl renommierteste Sportrechtler Deutschlands, der den Wahl-Freiburger seit Anfang der 90er-Jahre kennt und schätzt. Genauso wie mit Arslan und Eitel duzt sich Schickhardt mit dem Bundestrainer: "Eigentlich sage ich Jogi zu ihm, nur wenn es ernst wird, Joachim." Und ernst wurde es in den Jahren vor Löws Zeit bei der Nationalmannschaft mehr als nur einmal. Mal gab es Ärger bei einer Vertragsauflösung in Karlsruhe, mal einen Verein in Österreich, der plötzlich kein Geld mehr hatte. Auch bei Löws Engagements in der Türkei hatte Schickhardt immer gut zu tun, was im Hier und Jetzt wie vor einer gefühlten Ewigkeit scheint.

"Löw hat mittlerweile viele gute Leute um sich herum versammelt, deren Rat ihm sehr wichtig ist", sagt einer, der das Leben des gebürtigen Schönauers wie kein Zweiter in den vergangenen Monaten ausgeleuchtet hat. Der Journalist und Buchautor Christoph Bausenwein hat Ende des vergangenen Jahres die Biografie "Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel" veröffentlicht. Das 350 Seiten dicke Werk zeichnet detailliert den Weg Löws vom gescheiterten Bundesligaprofi über seinen holprigen Start als Trainerneuling bis zum unangefochtenen Liebling der Nation nach der berauschenden WM 2010 nach. Bausenwein betont, wie wichtig für die Firma Löw dessen Weggefährten an seiner Seite sind und wie sehr das Selbstbewusstsein des einst mit dem Karlsruher SC in die dritte Liga abgestiegenen Trainers mit den Erfolgen der vergangenen Jahre gewachsen ist: "Löw lässt sich durch nichts mehr erschüttern. Er hat eine innere Konsequenz, mit der er seine Sache durchzieht."

So gesehen ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Fußballlehrer, der nach eigenen Angaben sogar beim Elfmeterschießen im WM-Viertelfinale gegen Argentinien vor sechs Jahren einen Puls von 60 gehabt hat, sich auch vor dem Auftaktspiel gegen Portugal am Sonnabend überhaupt nicht aus der Ruhe bringen lassen will. Löw, der aus Überzeugung auf ein eigenes Facebook-Profil verzichtet, ist sich sicher, dass er als Firmenchef das Unternehmen Nationalmannschaft bestmöglich aufgestellt hat. Auf sein Drängen wurde eigens für den DFB für über 200 000 Euro ein neuer Trainingsplatz angelegt, nicht mal einen Freistoß vom Teamhotel entfernt. Jeden möglichen EM-Gegner ließ er mindestens zweimal von der Scoutingabteilung begutachten, 16 Studenten der Sporthochschule Köln haben allein Auftaktgegner Portugal bis ins kleinste Detail seziert. "Damit ich mich noch mehr auf die Mannschaft konzentrieren kann, gebe ich viel Verantwortung an meine Mitarbeiter ab", sagt Löw, der den gesamten Trainer- und Mitarbeiterstab zu einem vorzeitigen Dankeschön im Trainingslager ins schicke Le France im südfranzösischen Fayence einlud.

Läuft in den kommenden drei Wochen tatsächlich alles so, wie es Löw seit knapp zwei Jahren akribisch geplant hat, dürfte die nächste Einladung bereits nach dem Endspiel am 1. Juli in Kiew folgen. Und wenn nicht? Wenn Bastian Schweinsteiger doch nicht richtig fit ist oder Manuel Neuer einmal zu viel vorbeigreift? Wenn das große Ganze infrage gestellt wird, weil das kleinste Etwas nicht gepasst hat? "In einem Konfliktfall hat er mir mal gesagt: Bevor ich das und das mache, werde ich lieber D-Jugendtrainer beim FC Freiburg", erinnert sich Schickhardt, "beim FC wohlgemerkt, nicht beim großen Sportclub."

Doch noch braucht sich Mario Hohwieler, der Trainer der Freiburger U13/U12, keine Sorgen zu machen. Löws Vertrag beim DFB läuft bis zur WM 2014, und "ein Titel", so Löw, "sollte bis dahin schon drin sein". Mindestens.

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