Die Zuschauer quittierten nach Manuel Neuers Patzer jede Aktion des Schlussmanns wahlweise mit Pfiffen oder Klatschen. Einen besseren Abend als Neuer erlebte Dortmunds Star Ilkay Gündogan.

Nürnberg. Ausgelassener Jubel? Keine Spur. Bundestrainer Joachim Löw klatschte kurz mit seinem Co-Trainer Hans-Dieter Flick ab. Es war ja mehr ein Pflichtsieg. Mit 4:1 (3:0) bezwang sein Team in Nürnberg Kasachstan, die nächste erfolgreiche Etappe auf dem Weg zur WM nach Brasilien.

Die Entscheidung, ob er nun mit oder ohne Stürmer spielen sollte, musste Joachim Löw zwangsläufig bereits am Vormittag treffen. Nachdem die medizinische Abteilung einen Einsatz von Torjäger Mario Gomez, dem Letzten seiner Art, wegen dessen Zerrung ausschloss, war der Bundestrainer auch im zweiten Spiel gegen Kasachstan gezwungen, auf eine echte Sturmspitze zu verzichten. Wie bereits am Freitag beim wenig euphorisierenden 3:0-Sieg in Astana sollte auch in Nürnberg der 1,76 Meter kleine Fußballriese Mario Götze die Rolle des Tiki-Taka-Profis im Angriff übernehmen. Spanisch kam den 43.520 Zuschauern allerdings nur vor, wie uninspiriert die Deutschen die stürmerlose Taktik des Welt- und Europameisters zunächst interpretierten.

Es brauchte offenbar erst zwei fulminante Pfostenschüsse von Nürnberg-Heimkehrer Ilkay Gündogan (21.) und dessen Dortmunder Vereinskollegen Götze (22.), damit tatsächlich ein wenig heißblütige Olé-olé-Atmosphäre im eiskalten Nürnberg aufkam. Die logische Folge war, was sich in den folgenden nicht mal zehn Minuten abspielte: Erst das sehenswerte 1:0 durch Marco Reus (23.), dann Götzes 2:0 nach herrlichem Alleingang Philipp Lahms (26.) und als vorweggenommener Höhepunkt auch noch das umjubelte 3:0 durch Ilkay Gündogan (31.). Sturmspitze hin oder her - besser als das Dortmunder Tor-Trio hätte das nicht mal der FC Barcelona spielen können. Besonders Gündogan war die unbegrenzte Spielfreude in jeder Sekunde der Partie anzumerken.

+++ DER SPIELVERLAUF ZUM NACHLESEN +++

HSV-Trainer Thorsten Fink, der im Stadion saß, machte allerdings keinen großen Hehl daraus, dass er der Null-Stürmer-Taktik nach spanischem Muster nur wenig abgewinnen kann: "Um zu spielen wie der FC Barcelona, braucht man auch Spieler, wie sie eben fast nur der FC Barcelona hat."

Die Betonung am Dienstagabend dürfte aber ganz entschieden auf dem Wörtchen "fast" liegen. Löws Offensivabteilung um Götze, im Mittelfeld Thomas Müller (rechts), Mesut Özil und Marco Reus (links), sowie den beiden Dirigenten Sami Khedira und Gündogan zeigte phasenweise gegen die Nummer 139 der Welt, wie schön Fußball eines Kleinen gegen einen Großen anzuschauen ist. Dass aber auch Fußballzwerge Fehler bestrafen können, bewies Greuther Fürths Bundesligaprofi Heinrich Schmidtgal, der eine Unaufmerksamkeit Manuel Neuers wenige Minuten nach dem Wiederanpfiff eiskalt zum überraschenden Ehrentreffer ausnutzte. Neuer hatte nach einem Mertesacker-Rückpass den Ball vertändelt. "Ich wollte die Situation spielerisch lösen, ich kann mich nur entschuldigen", sagte Neuer kleinlaut. Der nur auf der Bank sitzende Hamburger René Adler dürfte mit einem Schmunzeln registriert haben, dass fortan jeder Ballkontakt Neuers mit Ahs und Ohs von den Zuschauern begleitet wurde.

Dies beeindruckte die deutschen Spieler zunächst, von Glanz war noch wenig zu spüren. Löw reagierte sichtlich genervt angesichts der vereinzelten Pfiffe. Auch nach dem Abpfiff hatte sich sein Unmut noch nicht gelegt: "Neuer gehört zu den besten Torhütern der Welt und hat mal einen Fehler gemacht. Dass er für den Rest des Spiels durch das Publikum mit Ironie begleitet wird, finde ich unsportlich."

Was dann folgte, war ein echtes Kuriositätenkabinett. Noch vier Mal klatschte der Ball an das Aluminiumgehäuse des Tores der Kasachen.

Beinah wäre die mangelnde Chancenverwertung sogar noch mit einer Zitter-Schlussphase bestraft worden, denn auch Korobkin traf nur den Außenpfosten. Am Ende war es Reus, der für das 4:1 sorgte. Er machte dann Marcell Jansen Platz, der damit sein 37. Länderspiel bestritt. Aus Hamburger Sicht war dies die beste Nachricht des Abends.

Das Schema

Deutschland: Neuer - Lahm, Mertesacker, Boateng, Schmelzer - Khedira, Gündogan - Müller, Özil, Reus (90. Jansen) - Götze.

Kasachstan: Sidelnikow - Gorman, Muchtarow, Dmitrenko, Kirow - Engel, Nurdauletow (45. Dscholtschijew), Korobkin - Konysbajew (76. Ulan), Schmidtgal - Ostapenko (64. Kukejew).

Tore: 1:0 Reus (23.), 2:0 Götze (26.), 3:0 Gündogan (31.), 3:1 Schmidtgal (46.), 4:1 Reus (90.)

Schiedsrichter: Özkahya (Türkei)

Zuschauer: 43.520