Der frühere Nürnberger Ilkay Gündogan soll gegen Kasachstan Schweinsteiger ersetzen. Entdecker Oenning wollte ihn zum HSV holen.

Herzogenaurach. Joachim Löw hat die Angewohnheit, ihm wichtige Dinge durch Wiederholungen zu unterstreichen. Mal ist sein Team "sehr gut, sehr gut" vorbereitet, mal steht der Gegner "defensiv kompakt, defensiv absolut kompakt". Am Montagmittag in der Adidas World of Sports in Herzogenaurach war es also Ilkay Gündogan, der laut Löw "viel, viel an Wertschätzung gewonnen" habe. Doch die einfache Wiederholung reichte dem Bundestrainer diesmal nicht aus. "Ilkay hat einen Riesensprung gemacht, er ist auf einem internationalen Topniveau", lobte der Coach den Mittelfeldmann, den er vor dessen "Heimspiel" an alter Wirkungsstätte in Nürnberg gegen Kasachstan (20.45 Uhr/ARD) sogar als Ersatz des gesperrten Bastian Schweinsteigers eine Einsatzgarantie aussprach: "Ilkay wird von Beginn an spielen. Er hat alle Voraussetzungen, alle Voraussetzungen, ein Weltklassespieler zu sein."

Mit so einem Lob, sogar in doppelter Hinsicht, muss man erst mal zurechtkommen. Doch um Ilkay Gündogan, der von seinen Mitspielern liebevoll "Ily" gerufen wird, muss sich wohl niemand Sorgen machen. Der 22 Jahre alte Fußballer ist nett, höflich, zurückhaltend, hat Abitur gemacht, kann sich gut ausdrücken, kurzum: der perfekte Schwiegersohn. "Bei ihm besteht nicht die Gefahr, dass er mal abheben könnte. Er ist ein verdammt guter Fußballer und auch ein kluges Köpfchen", sagt Michael Oenning, der Gündogans Werdegang maßgeblich geprägt hat.

Der frühere HSV-Coach hatte das Talent vor knapp sechs Jahren in der A-Jugend des VfL Bochum entdeckt, gefördert und im Januar 2009 zum 1. FC Nürnberg gelotst. Was aber kaum einer wusste: Fast hätte Oenning, der von 2010 an für den HSV zunächst als Co-Trainer von Armin Veh und später als Chefcoach arbeitete, den heutigen Weltklasseprofi auch nach Hamburg geholt. "Wir hätten Ilkay gut gebrauchen können", sagt Oenning, der mit seinem Vorhaben aber an den damaligen Umständen beim HSV scheiterte.

Tatsächlich stand Gündogan Anfang des Jahres 2011 unmittelbar vor einer Vertragsunterzeichnung in Hamburg. Oenning, Veh, der damalige Sportchef Bastian Reinhardt und Gündogans früherer Agent Thies Bliemeister, der heute noch Heung Min Son berät, hatten sich ausgerechnet in der Woche vor dem Rückrundenspiel des HSV in Nürnberg (0:2) im Hause Gündogan mit Ilkay und dessen Familie getroffen. Der Umworbene soll nach dem von Mama Ayten zubereiteten Abendessen nur gefragt haben, wo er denn unterschreiben müsste. Das Problem: Reinhardt war ein Sportchef und Veh ein Trainer auf Abruf, der damalige Vereinschef Bernd Hoffmann hatte genug mit der internen Opposition zu tun. "Niemand hatte in dem Moment die Prokura, diese zukunftsweisende Millionen-Entscheidung beim HSV zu fällen", erinnert sich Oenning, der zwei Monate später zum Cheftrainer befördert wurde.

Doch auch in der neuen Funktion sollte es Oenning nicht gelingen, seinen Wunschspieler zum HSV zu lotsen. Denn nachdem Reinhardt durch Frank Arnesen ausgetauscht wurde, galt es nun also, den Dänen von Gündogans großem Talent zu überzeugen. Arnesen war allerdings nicht nur mäßig von den Qualitäten des gebürtigen Gelsenkircheners überzeugt, er hatte darüber hinaus auch nicht die rechtliche Möglichkeit, in Verhandlungen einzutreten. Denn bis Ende Mai 2011 stand der Skandinavier noch bei FC Chelsea unter Vertrag, durfte laut Fifa-Statut kein Transfers für HSV abwickeln.

Der schon fast perfekte Kauf Gündogans entwickelte sich zur Hängepartie. Denn auch der Noch-Nürnberger spürte, dass der HSV vor unruhigen Zeiten stand. Längst hatte sich in der Bundesliga herumgesprochen, dass die Hamburger im Sommer einen radikalen Neustart wagen müssten. Doch noch immer wäre der Transfer möglich gewesen. Bliemeister, der Gündogan für stark genug hielt, Aushängeschild des neuen HSV zu werden, verhandelte weiter mit den Hamburger Verantwortlichen, hörte sich aber parallel auch das zu diesem Zeitpunkt noch lose Interesse von Borussia Dortmund an. Doch von einem auf den anderen Moment beendete Gündogan die Zusammenarbeit mit Bliemeister, ließ sich von seinem Onkel und seinem Vater vertreten.

Und der HSV? Arnesen zögerte weiter, Dortmund machte plötzlich ernst. "Erst gegen Ende der Saison zeigte Dortmund so richtig Interesse", sagt Oenning, der seinem früheren Zögling genau wie Löw eine Karriere als Weltklassespieler zutraut, "für uns war es dann leider zu spät. Leider." Gündogan wechselte für etwa fünf Millionen Euro zum BVB. Sein aktueller Marktwert laut tranfermarkt.de: 20 Millionen Euro.