Der Abendblatt-Kolumnist über die Perspektiven der Nationalelf. Der Schalke-Coach erwartet von Özil und Co. noch einige Geniestreiche.

Hamburg. Für eine Niederlage in einem WM-Halbfinale gibt es keinen Trost. Dicht vor dem Ziel zu scheitern, stürzt dich als Spieler und Trainer in ein tiefes Loch. Dennoch sage ich: Wir sollten nicht traurig sein. Diese Mannschaft hat Maximales erreicht und dem deutschen Fußball wieder Ansehen in der Sportwelt verschafft. Und: Die Zukunft gehört diesem Team. Es ist jung und lernwillig, für die meisten Leistungsträger war es das erste große Turnier. Wir dürfen von den Özils, Khediras, Neuers und Müllers noch einige Geniestreiche erwarten, wie von Podolski, Schweinsteiger oder Lahm, die zwar weit erfahrener sind, die ihren Reifeprozess aber längst nicht abgeschlossen haben.

Die Spanier sind die beste Mannschaft der vergangenen drei Jahre, technisch perfekt, ballsicher, eingespielt, und sie waren gegen uns hochmotiviert und engagiert, sie haben gearbeitet und sind gelaufen wie zuvor nie bei dieser WM. Unser 4:0 im Viertelfinale gegen Argentinien war in diesem Sinne kontraproduktiv. Im Gegensatz zu den Argentiniern haben uns die Spanier von der ersten Sekunde an ernst genommen. Gegen eine spanische Mannschaft in Bestform aber haben wir trotz aller Fortschritte noch keine Chance.

Wir haben im Rahmen unserer gewachsenen Fähigkeiten gespielt. Wir haben wieder gut verteidigt, auch wenn die Spanier ihre Möglichkeiten zum Torschuss hatten, hochkarätige jedoch nur zwei. Nach einer Standardsituation wie einem Eckball das entscheidende Gegentor zu kassieren ist immer ärgerlich, weil am leichtesten vermeidbar, doch die Überlegenheit der Spanier mag gegen Ende des Spiels Spuren in der Konzentration hinterlassen haben. Wer ständig unter Druck steht, macht irgendwann mal Fehler. Das ist die brutale Logik des Spiels.

Die Spanier haben uns auch unsere Defizite aufgezeigt. Wir sind spielerisch bisher zu selten in der Lage, gegen eine geordnete Defensive Chancen zu kreieren. Schon gegen Serbien (0:1) und Ghana (1:0) litten wir darunter. Wir haben nur in den drei Spielen geglänzt, gegen Australien (4:0), England (4:1) und Argentinien (4:0), in denen uns ein frühes Führungstor gelungen ist. Dennoch, und das ist Fußball, hätte Kroos gegen Spanien in der 69. Minute das 1:0 schießen können. Und dann wäre unsere größte Stärke zum Tragen gekommen: das Konterspiel. Das ist bereits Weltklasse. Unser Offensivspiel ist es nicht. Dazu fehlt auch die Durchschlagskraft im Strafraum.

Gegen Spanien kam hinzu: Özil ist in seiner Leistung noch nicht stabil genug, Podolski hat zwar einen guten Abschluss, nur zu dem kam er diesmal nicht. Klose fehlt die Sicherheit im Kombinationsspiel, Trochowski konnte Müller nicht ersetzen, auch weil er Mittelfeldspieler und kein Stürmer ist. Ihm fehlt der Müller'sche Zug zum Tor. Boateng ist auf der linken Abwehrseite keine Idealbesetzung, sein Platz ist im Deckungszentrum. Gegen eine Mannschaft wie Spanien waren das in der Summe zu viele Probleme. Ich bitte das nicht misszuverstehen: Wir reden über die kleinen, aber feinen Unterschiede zwischen einem WM-Halbfinalisten und einem potenziellen Weltmeister.

Den letzten Schritt kann diese deutsche Mannschaft in den nächsten Jahren machen. Sie ist auf einem exzellenten Weg, sie wird sich weiter entwickeln, Schwächen ausmerzen, an Sicherheit gewinnen. Die Perspektiven waren seit zwei Jahrzehnten nicht mehr ähnlich vielversprechend. Dazu trägt die Bundesliga entscheidend bei. Sie ist der Gewinner dieser Weltmeisterschaft. Die inzwischen systematische Nachwuchsarbeit des Deutschen Fußball-Bundes und der Vereine beginnt sich auszuzahlen, zudem wollen immer mehr ausländische Spitzenprofis, nicht nur niederländische, bei uns spielen. Das hebt das Gesamtniveau und fördert damit auch den Nachwuchs. Um den war es lange nicht mehr so gut bestellt, in Qualität und Quantität. Wir haben auf fast jeder Position Alternativen zu den 23 Spielern, die uns in Südafrika vertraten. Mein Fazit: Wir werden in nächster Zeit noch viel Spaß an der deutschen Nationalmannschaft haben. Diese WM war erst der Anfang.