Der Viertligaklub Holstein Kiel will heute gegen den deutschen Meister Borussia Dortmund erstmals in das Halbfinale des DFB-Pokals vorstoßen.

Kiel. Holstein Kiel ist geflohen. Allerdings nicht, weil die neu erwachte Fanliebe der Kieler vor dem Spiel des Jahrhunderts zu bedrohlich wurde. Natürlich: Für das DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Borussia Dortmund am Dienstag (20.30 Uhr/ARD) hätte der Klub 50.000 Karten verkaufen können. 40 Anhänger hatten gar über Nacht trotz der Kälte vor dem Ticketschalter campiert, um eine der 11.500 Karten zu bekommen, von denen ohnehin nur 2500 in den freien Verkauf gelangten. Der Rest ging an Sponsoren und Dauerkarteninhaber. Doch zu Tumulten kam es nicht, auch wenn am Tag des Vorverkaufsstarts viele Fans mit leeren Händen wieder nach Hause gehen mussten. Dass die Kieler Pokalhelden, die im Dezember Erstligaklub Mainz aus dem Wettbewerb warfen, nun das Land verließen, hatte andere Gründe.

Tief verschneit sind die Trainingsplätze der KSV Holstein auf ihrem supermodernen Trainingsgelände. Und im Stadion schützt ein Zelt den neu verlegten Rollrasen bis kurz vor Anpfiff vor Eis und Schnee. Zu einer Rasenheizung hatte es weder hier noch da gereicht, und so machte sich die Mannschaft von Trainer Thorsten Gutzeit auf ins dänische Lügumkloster, wo es beheizbare Kunstrasenplätze gibt. Es soll nichts unversucht bleiben, um jene winzige Chance zu erhalten, die sich der Viertligist gegen den deutschen Meister ausrechnet. Sogar einen Spion hat der Klub noch einmal ausgesandt, um die Dortmunder beim Auswärtsspiel gegen den 1. FC Nürnberg zu beobachten. Carsten Wehlmann, früher Schlussmann unter anderem beim FC St. Pauli und heute Chefscout und Torwarttrainer in Personalunion bei Holstein Kiel, hatte die wichtige Aufgabe, das Spiel des Bundesliga-Spitzenreiters zu entschlüsseln.

+++ Kein Public Viewing beim Pokalhit Kiel gegen BVB +++

"Natürlich ist unsere Chance viel geringer als in den bisherigen Spielen", sagte Trainer Gutzeit, dessen Team zuvor die Zweitligisten Cottbus und Duisburg sowie die Mainzer ausgeschaltet hatte, "Dortmund spielt derzeit den attraktivsten und erfolgreichsten Fußball Deutschlands." Doch freiwillig ergeben werden seine Kieler sich natürlich nicht. "Vielleicht unterschätzen sie uns ein bisschen", hofft Stürmer Fiete Sykora. Die kühnsten Träume hat der Verein ohnehin schon übertroffen. Seit 1952 erreichten die "Störche" nur viermal das Pokal-Achtelfinale.

Zwei Millionen Euro bringen DFB-Prämie und TV-Einnahmen ein - das entspricht ziemlich genau dem Spieleretat eines ganzen Jahres. "Das ist für uns natürlich ein nettes Zubrot", lächelt Geschäftsführer Schwenke. Durchdrehen werde nun aber niemand im Verein, das verspricht er den Fans: "Irgendwelche alternden Zweitligastars werden wir bestimmt nicht verpflichten." Vielmehr wollen die Kieler versuchen, endlich auch einmal bundesweit auf sich aufmerksam zu machen. 175 Medienvertreter haben sich für das Spiel akkreditiert. Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte wird ein Spiel live im Free-TV übertragen. Und natürlich haben die Kieler auch den Fanshop neu bestückt. Derzeit der Verkaufsschlager: T-Shirts mit dem Aufdruck "Pokalschreck".

+++Kiel hat keine Angst vor dem deutschen Meister+++

Doch bei aller Vorfreude ist das Viertelfinale nur die Ouvertüre zu einem weitaus wichtigeren Projekt. Seit 1981 dümpeln die Norddeutschen zwischen Dritt- und Viertklassigkeit herum. In der Regionalliga Nord stehen die Kieler in dieser Saison auf Rang zwei, einen Punkt hinter RB Leipzig. Nur der Tabellenerste wird im Sommer in die Dritte Liga aufsteigen, und das sollen die Kieler sein. "Die Erfolge im DFB-Pokal sind eine tolle Sache. Aber für den Weg des Klubs ist die Liga viel wichtiger. In der Dritten Liga sind die finanziellen Voraussetzungen weitaus besser", sagt Geschäftsführer Schwenker. Trainer Thorsten Gutzeit geht noch weiter: "Ich würde am Tag des Pokalfinales lieber vor dem Fernseher sitzen, statt selbst in Berlin zu spielen, wenn wir dafür den Aufstieg feiern könnten."

Das misslungene Experiment mit dem ehemaligen Bundesligatrainer Falko Götz und dem anschließenden Sturz in die Viertklassigkeit hat die Verantwortlichen schlauer gemacht. Sie investierten in Strukturen. 4,5 Hektar Trainingsgelände haben sich die Kieler in der Peripherie erschlossen, um den Klub endlich nachhaltig nach vorne zu bringen. Die Holsteiner wollen aus dem langen Schatten des THW Kiel treten. Der Handball-Rekordmeister absorbiert seit Jahren Ruhm und Sponsorengelder in der Landeshauptstadt. "Ich glaube aber, dass die Norddeutschen sich nach Profifußball sehnen. Den gibt es hier ja nicht. Sollte es uns gelingen, irgendwann in die Zweite Liga aufzusteigen, können wir dem THW Konkurrenz machen", sagt Roland Reime, Präsident der KSV Holstein.

Als langjährigen Vorstandschef der "Provinzial Nord"-Versicherung finanzierte er als Hauptsponsor den kometenhaften Aufstieg des THW. Seit 2007 ist er der starke Mann bei den Fußballern. "Ich bin absolut sicher, dass hier genug Platz für zwei Profivereine ist", sagt der 66-Jährige. "Ich könnte mir sogar vorstellen, mit dem THW zusammenzuarbeiten: einen gemeinsamen Sponsorenpool zu gründen, gemeinsame Einrichtungen nutzen."