Nach dem Erfolg über den FSV Mainz 05 darf der Regionalligaklub im Viertelfinale des DFB-Pokals nun gegen Meister Dortmund spielen.

Kiel. In den letzten Minuten der Partie hatte Roland Reime immer wieder nur den Kopf geschüttelt. Gestützt auf ein eisernes Geländer auf der Haupttribüne, schaute der Präsident der Kieler Sportvereinigung Holstein stumm auf den gefrorenen Platz. Die vielen Fans, die ihm in diesen Momenten hart auf die Schulter schlugen und ihm Worte wie "Sensation" ins Ohr brüllten, oder "unfassbar" oder "Wahnsinn", nahm Reime nicht wirklich wahr. Wie in Trance verfolgte er, wie Holstein Kiel den 2:0 (1:0)-Sieg im DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Mainz nach Hause brachte. 11 000 Kieler johlten.

Später, als der 66-Jährige die Fassung zurückgewonnen hatte, sagte er: "Die Leistung dieser Mannschaft war gewaltig." Von der Millioneneinnahme, der der Einzug in die Runde der letzten acht dem Regionalligisten mit dem schmalen Etat (2,3 Millionen Euro) sicherte, wollte er nicht reden. "Das Geld ist schön", sagte Reime. "Aber für mich persönlich ist viel wichtiger der große Imagegewinn, den wir durch diesen tollen Auftritt haben, in Deutschland, aber auch hier in der Region." Das werde sich auszahlen für den Klub, der aktuell mit dem Brause-Klub RB Leipzig um den Aufstieg in die Dritte Liga kämpft.

Nicht nur das Ergebnis, auch die Art und Weise das Auftritts der "Störche" war eine Sensation. Verblüffend die Chuzpe, mit der sich der Klub den Eintrag in die Geschichtsbücher des Pokals sicherte - Holstein ist nach dem 1. FC Magdeburg erst der zweite Viertligist in einem Viertelfinale. Wie schon bei den Erfolgen gegen die Zweitligisten Cottbus (3:0) und Duisburg (2:0) setzte Holstein spielerische Akzente. "Wenn ich anders spielen lassen würde, entspräche das nicht unserer Philosophie", rechtfertige Trainer Thorsten Gutzeit seine mutige, offensive Ausrichtung.

Es hatte aber wirklich alles gepasst an diesem Abend, es wirkte wie ein Geschenk zum 100. Geburtstag des Stadions am Westring. "Natürlich kam uns die Spielentwicklung entgegen", sagte der Sportliche Leiter des Klubs, Andreas Bornemann. Aber der ehemalige Freiburger sah seine Spieler auch mental im Vorteil, da sie sich optimal auf den Raureif auf dem Spielfeld eingestellt hatten. "So ein Thema muss man erst mal richtig annehmen", sagte Bornemann. Belohnt wurde der Sieg mit einer Party, die für einige länger als 24 Stunden dauerte, da der Klub Donnerstagabend zur offiziellen Weihnachtsfeier geladen hatte. "Ich hoffe, dass es morgen nicht allzu viele Ausfälle gibt", schmunzelte Trainer Gutzeit.

Amateure im DFB-Pokal

Kieler Pokal-Wahnsinn geht weiter: Mainz das nächste Opfer

Fortgesetzt wird das norddeutsche Pokalmärchen nun am 7. oder 8. Februar 2012 gegen Borussia Dortmund. "Das ist ein Traum aller Fußballer, einmal gegen den Deutschen Meister zu spielen", sagte Coach Gutzeit. Der Gegner stellt die Spieler der Störche auch vor eine neue mentale Aufgabe, sich überhaupt eine Chance gegen den siebenmaligen Meister auszurechnen. Bevor das Los gezogen war, hatte Regisseur Fiete Sykora daran noch gezweifelt. "Ob das gegen die Bayern oder Dortmund auch reicht, das glaube ich eher nicht", meinte er. Gut sechs Wochen haben die Underdogs nun Zeit, sich an den großen Namen des Gegners zu gewöhnen. Ein Umzug in eine andere Arena wie das Millerntor-Stadion ist nicht geplant.

Egal wie diese Partie aber ausgeht: Die rauschhaften Zustände im Pokal werden nichts am Konzept des kontinuierlichen Aufbaus ändern. Im Sommer 2010 war die KSV Holstein aus der Dritten Liga, die doch nur Zwischenstation sein sollte, in die Regionalliga Nord abgestiegen. Und das, obwohl mit den Besitzern der Warenhäuser Famila und Citti zwei der reichsten Familien Schleswig-Holsteins enorme Summen in den Klub gesteckt hatten.

Daher ist die Infrastruktur, die der Klub in den vergangenen Jahren aufgebaut hat, sehr professionell. Das Areal des Klubs im Kieler Stadtteil Projensdorf, nur einen Steinwurf vom Nord-Ostsee-Kanal gelegen, ziert eine brandneue Geschäftsstelle, eine Trainingshalle, akkurat gepflegte Kunstrasenplätze, perfekt ausgestattete Räume für das Krafttraining und die Physiotherapie. Alles schlicht, modern und funktionsgerecht. "Wir arbeiten hier auf 4,5 Hektar, es ist ein wirklich tolles Gelände", sagt Geschäftsführer Wolfgang Schwenker.

Die medizinische Versorgung schließe auch ein Angebot für die Familienmitglieder der Profis mit ein, erklärt Schwenke, "das machen wir alles, damit sich für alle ein Familiengefühl Holstein entwickeln kann". Elementarer Teil dieses Konzepts ist auch die Besetzung des Trainerpostens. Auf die große Fußballwelt verzichteten die Holstein-Verantwortlichen nach den schlechten Erfahrungen (Falko Götz, Andreas Thom, Christian Wück). Die Wahl fiel stattdessen auf den 45-jährigen Gutzeit, der zwar keine Trainerstationen wie Hertha BSC vorweisen konnte, aber als U19- und U23-Coach die Jugend des Klubs bestens kannte. Als Co-Trainer fungiert Jan Sandmann, ein ehemaliger HSV-Spieler.

Pokalviertelfinale (7./8.2.): Hoffenheim - Fürth, Hertha - Mönchengladbach, Stuttgart - Bayern München, Kiel - Dortmund