Hamburg. Abgewogenes Porridge und Duschen im Bus: Die Abläufe rund um die Hamburger Cyclassics sind beim Profiteam Bora-hansgrohe immer gleich.

Besondere Aufregung spüre er nicht, ein natürlicher Druck sei aber immer vorhanden, sagt Christian Pömer. „Die Cyclassics sind eines der attraktivsten Eintagesrennen im Weltradsport. Als deutsches Team will man da natürlich liefern“, sagt der sportliche Leiter von Bora-hansgrohe.

Das deutsche Profiteam steht am Sonntag (11.10 Uhr) unter besonderer Beobachtung, nachdem Pömers österreichischer Landsmann Marco Haller (32) im vergangenen Jahr den Hamburger Radklassiker im Bora-Trikot gewonnen hatte.

„Für mich ist es dieses Jahr ein Jubiläum in Hamburg. Vor genau zehn Jahren waren die Cyclassics mein erstes World-Tour-Rennen, das ich als sportlicher Leiter begleitet habe“, sagt Pömer, der in seiner Funktion unter anderem für die Renntaktik verantwortlich ist. Das Abendblatt fragte den 45-Jährigen, der am Freitag aus seiner Heimat Linz mit dem Zug nach Hamburg reiste, wie das Eintagesrennen für Bora-hansgrohe abläuft.

Cyclassics in Hamburg: So ist der Ablauf bei Bora-hansgrohe

Sonnabendvormittag: Die Fahrer, die bei World-Tour-Rennen immer zwei Nächte zuvor anreisen, treffen sich im Teamhotel Holiday Inn zum Frühstück. Danach geht es auf eine Trainingsfahrt auf die Rennstrecke, die Fahrer konzentrieren sich dabei auf die entscheidende Schleife zwischen Innenstadt und Waseberg. Teamchef Pömer fährt die gesamten 204 Kilometer noch einmal mit dem Auto ab.

Sonnabendnachmittag: Nach der Trainingsfahrt warten zwei Sponsorentermine. Fahrradausstatter Specialized und Namenssponsor hansgrohe haben jeweils zu einem Event geladen. Dort nehmen allerdings nur Teile des Teams teil.

Sonnabendabend: Die Fahrer haben etwas Freizeit, viele gehen früh schlafen. Die Teambesprechung findet standardmäßig erst am nächsten Tag statt. „Als Mentalcoach weiß ich, dass schon die bloße Beschäftigung mit dem Rennen den Stressfaktor erhöht. Weil wir bei den Fahrern Stress vor dem Einschlafen vermeiden wollen, findet die Taktikbesprechung erst am Renntag statt“, sagt Pömer.

Der Ablauf am Renntag bei den Cyclassics

Sonntag, 7 Uhr: Die ersten Wecker klingeln. Bei einem Rennstart um 11 Uhr sollen die Fahrer frühestens vier Stunden vor dem Rennen aufstehen, um die maximale Leistungsfähigkeit zu erreichen.

7.15 Uhr: Die Fahrer frühstücken in einem abgetrennten Bereich des Hotels. Die Vorgabe des Teams ist, bis spätestens drei Stunden vor dem Rennstart fertig gegessen zu haben. Die meisten Fahrer wählen Porridge mit etwas Obst. Die Portionen werden dabei genau abgewogen, damit jeder die Menge an Proteinen und Kohlenhydraten zu sich nimmt, die der Ernährungsberater des Teams errechnet hat.

9 Uhr: Der Teambus fährt am Hotel ab.

9.30 Uhr: Während die ersten der 12.500 Amateurfahrer über 60 und 100 Kilometer im Ziel an der Mönckebergstraße ankommen, fahren die 21 Teambusse nacheinander am Ballindamm vor. Zunächst steigen die Techniker aus, sperren eine Zone rund um den Bus ab, nehmen letzte Handgriffe an den Rädern vor.

Was passiert, wenn die Vorhänge zugezogen werden?

9.40 Uhr: An den Fenstern der Teambusse werden die Vorhänge zugezogen. Manche Fahrer nutzen die Gelegenheit für einen letzten Kaffee oder einen Gang auf die Toilette, dann beginnt die Konzentrationsphase. Im Bus hängt ein großer Fernsehbildschirm, Pömer gibt einen Überblick über die Strecke und die Teamtaktik. Obwohl Bora-hansgrohe im Iren Sam Bennett (32) einen Sprinter dabei hat, wählt das Team eine andere Taktik. „Die anderen Teams können sich an unserem personellen Aufgebot ausrechnen, dass wir am Sonntag wohl nicht auf einen Massensprint warten werden, sondern versuchen, wegzufahren oder andere Mannschaften unter Druck zu setzen“, sagt Pömer.

10 Uhr: Die Besprechung ist beendet, Sportdirektor Pömer lässt die Fahrer kurz allein im Bus. Unterdessen richtet der Busfahrer, der bei Bora-hansgrohe auch für den Rennfunk zuständig ist, die Technik ein. Über kleine Kopfhörer und einen Sender sind die Fahrer während des Rennens ständig mit Pömer in Kontakt.

10.30 Uhr: Die Teams rollen nacheinander auf ihren Rädern vom Ballindamm in Richtung Jungfernstieg, wo die offizielle Einschreibung und Teampräsentation stattfindet. Viele Fahrer sind fokussiert, manche noch offen für Interviews oder einzelne Fotowünsche der vielen Fans.

11 Uhr: Die Fahrer sind zurück am Teambus, setzen den Helm auf. Dann gibt es den letzten Funkcheck mit dem sportlichen Leiter.

Die Zeit bis zum Start kann knapp werden

11.05 Uhr: Funktioniert alles, rollen die Fahrer zurück zum Startbereich auf dem Jungfernstieg. Die Stimmung ist noch locker, wie üblich erfolgt ein neutralisierter Start hinter einem Auto des Veranstalters.

11.10 Uhr: Die Fahrer rollen kontrolliert los, erst außerhalb der Innenstadt wird das Rennen offiziell freigegeben. Es geht durch Eimsbüttel und Stellingen, raus nach Schleswig-Holstein. Bei Schenefeld, Wedel und bei der Durchfahrt am Jungfernstieg warten Zwischensprintwertungen, die die Teams jedoch in der Regel vernachlässigen. „Wenn man wie wir das Ziel hat, das Rennen zu gewinnen, spielen die Sprintwertungen eine untergeordnete Rolle. Manchmal entstehen an diesen Punkten der Strecke aber Dynamiken, die man im Rennen nutzen kann“, sagt Pömer.

In Schleswig-Holstein geht es ohne nennenswerte Steigungen darum, die Sprinter aus dem Wind zu halten. „In der ersten Hälfte des Rennens ist vor allem das Wetter entscheidend. Für Sonntag sind Windspitzen mit bis zu 30 km/h aus westlicher Richtung vorhergesagt“, weiß Pömer. Als selektive Herausforderung dienen die drei Überquerungen des Blankeneser Wasebergs, der Steigungen von bis zu 16 Prozent aufweist. Bei der Einfahrt gilt es, vorne im Feld dabei zu sein. Danach wenden viele Fahrer die sogenannte „Sickertaktik“ an, bei der sie sich etwas durch das Feld zurückfallen lassen, um Belastungsspitzen am Berg zu vermeiden.

Gegen 15.30 Uhr: Die Fahrer befinden sich auf den letzten Kilometern, auf der Elbchaussee formieren sich bereits die Teams, bringen ihre Sprinter in Position. Nachdem die im vergangenen Jahr wegen mehreren Baustellen noch sehr verwinkelte Strecke eine Ausreißergruppe ermöglichte, sind die letzten elf Kilometer in diesem Jahr wieder fast gerade. Fast alle rechnen mit einem Massensprint im Ziel. So wurden 19 der vergangenen 25 Ausgaben entschieden.

Gegen 16.15 Uhr: Für die ersten drei Fahrer geht es zur Siegerehrung und Pressekonferenz, andere Teambusse fahren bereits 30 Minuten nach Zielankunft wieder ab. Die Fahrer duschen im Bus, viele werden zum Flughafen oder Hauptbahnhof gebracht. Der Bora-hansgrohe-Teambus fährt direkt weiter nach Süddeutschland. Am Mittwoch startet im saarländischen St. Wendel die Deutschland Tour – der Radsportzirkus zieht weiter.