Kaltenkirchen. Die 22-Jährige aus Kaltenkirchen will in diesem Jahr Ringrichterin werden – und wäre einzige Frau in dieser Position in Deutschland.

Karoline Pütz kennt diese Frage schon. Sie hört sie oft, und sie versteht, warum sie gestellt wird. „Ich weiß nicht, ob ich ohne Papa überhaupt Berührungspunkte mit dem Boxen gehabt hätte. Ohne ihn wäre es mit Sicherheit schwer geworden, aber ich mache es nicht seinetwegen. Es ist längst meine eigene Leidenschaft geworden, und wenn er heute aufhören würde, würde ich trotzdem weitermachen“, sagt die 22-Jährige und schaut dabei so entschlossen, wie es nur ein Mensch tun kann, der sich mit Haut und Haaren einem Ziel verschrieben hat.

Ihr Ziel, das ist, im Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) noch mehr zur Exotin zu werden, als sie es ohnehin schon ist. Karoline Pütz ist aktuell eine von drei Frauen unter den 32 aktiven Kampfrichtern im BDB, und wenn alles glatt läuft, dann wird sie noch in diesem Jahr ihr Debüt als Ringrichterin geben.

Im deutschen Profiboxen gibt es keine Ringrichterin

Seitdem die Münchnerin Diana Drews Milani im vergangenen Jahr in den Schweizer Verband wechselte, gibt es im deutschen Berufsboxen keine Ringrichterin mehr. „Warum das so ist, weiß ich auch nicht. Es ist schon ein Ansporn für mich zu zeigen, dass Frauen das auch können“, sagt Karoline Pütz.

In einer „Blut, Schweiß und bloß keine Tränen“-Männerdomäne, die der Faustkampf in Deutschland noch immer ist, mag es niemanden überraschen, dass sich Frauen nicht in Scharen darum reißen, als Entscheiderin im Ring ins Rampenlicht zu treten. Viele glauben deshalb, dass der eingangs erwähnte Vater in der Entscheidungsfindung seiner Tochter eine gewichtige Rolle gespielt hat.

Thomas Pütz, der das in Kaltenkirchen ansässige Sicherheitsunternehmen Pütz Security AG mit fast 1000 Mitarbeitenden leitet, den BDB seit April 2010 als Präsident anführt und sich an diesem Sonnabend zur Wiederwahl stellt, sagt: „Natürlich habe ich Karo mit dem Boxen in Berührung gebracht. Aber die Entscheidung, sich im Sport zu engagieren, hat sie allein getroffen. Sie ist richtig tough, ich bin stolz auf sie.“

Mit neun Jahren begann sie mit Boxtraining

Als Neunjährige war Karoline Pütz in der Kaltenkirchener Turnerschaft erstmals zum Boxtraining gegangen. Ihre beiden großen Brüder hatten für den Kampfsport keinerlei Interesse entwickelt, sie aber fing sofort Feuer. „Ich habe zwar nie Kämpfe gemacht, aber Sparring schon. Bis heute finde ich, dass Boxen der beste Sport ist, um Körper und Kopf in ihrer Gesamtheit zu trainieren“, sagt sie.

Als Jugendliche schaute sie so viele Kämpfe wie möglich. Vor vier Jahren besuchte sie mit ihrem Vater eine Veranstaltung des Hamburger Promoters „Boxen im Norden“. Weil der eingeplante Zeitnehmer kurzfristig ausfiel, sprang sie ein. Es war ihr Einstieg am Ring – und der Moment, in dem sie spürte: Das ist mein Ding.

Sie begann, Fortbildungen in Regelkunde zu besuchen, punktete als Zeitnehmerin zur Übung fleißig mit und wurde, als die Corona-Pandemie auch den BDB dazu zwang, möglichst lokale Kräfte einzusetzen, 2020 erstmals offiziell als Punktrichterin gebraucht.

Bei 200 Kämpfen war sie Punktrichterin

Seitdem hat Karoline Pütz, die von allen möglichen Kriterien der Punktvergabe die Zahl der klaren Treffer am stärksten gewichtet, bei rund 200 Kämpfen ihr Urteil abgegeben. Längst ist sie nicht mehr nur national unterwegs, sondern wird regelmäßig von den Weltverbänden IBF und WBA eingeplant. Dass sie dafür viele Wochenenden opfert und keine Zeit für eine Partnerschaft findet, nimmt sie in Kauf.

Die Chance, andere Länder und deren Boxszene kennenzulernen, ist ihr Antrieb, denn reich wird man als Punktrichterin nicht. Reise- und Hotelkosten werden übernommen, die Aufwandsentschädigung liegt zwischen 80 Euro bei nationalen und einer mittleren dreistelligen Summe bei internationalen Kämpfen.

Ihr bisheriges Highlight war die Titelverteidigung von Leichtgewichtsweltmeisterin Katie Taylor (36/Irland) im Oktober 2022 in der Londoner Wembley Arena gegen die Argentinierin Karen Elizabeth Carabajal (32). „Boxen in England ist immer ein Erlebnis, und Katie Taylor live zu sehen ist für jeden, der Boxen liebt, etwas ganz Besonderes“, sagt sie.

Gewissenskonflikte versucht sie zu vermeiden

Wobei ihr selbstverständlich klar ist, dass Sympathien in ihrem Job keinen Platz haben dürfen. Deshalb hat sie sich ausbedungen, niemals bei Kämpfen der Hamburger Leichtgewichtsweltmeisterin Dilar Kisikyol (31) eingesetzt zu werden. „Dilar und ich sind gut befreundet, deshalb will ich keinerlei Gewissenskonflikte riskieren. Ansonsten habe ich aber keine Boxerin und keinen Boxer, von denen ich Fan bin“, sagt sie.

Dass es für ausländische Gäste oft schwierig ist, auswärts zu gewinnen, ist eines der Probleme im Boxen, die ihrem Gerechtigkeitssinn widerstreben. „Ich würde niemals ein Urteil fällen, das gegen meine Überzeugung ist“, sagt sie. Versuche, sie zu bestechen, habe es noch nie gegeben. „Vielleicht auch, weil alle wissen, dass ich so etwas sofort Papa melden würde“, sagt sie und lacht.

Die Rolle ihres Vaters wird weiterhin thematisiert werden, auch wenn die beiden mittlerweile so selten wie möglich auf denselben Veranstaltungen präsent sind. „Ich habe Karo immer gewarnt, dass sie besonders im Fokus stehen wird. So etwas muss man auch aushalten können – und wollen. Aber sie kann das“, sagt Thomas Pütz.

Soziale Medien empfindet sie als Last

Ja, sagt die Tochter, sie sei durchaus ein Mensch, der die Kontrolle übernehme und Stärke ausstrahlen könne, wenn diese gefordert sei. Einen Shitstorm in den sozialen Netzwerken auszuhalten, der nach dem umstrittenen Urteil im Oktober 2021 beim deutschen Duell zwischen Robin Krasniqi und Dominic Bösel über sie hereinbrach, das sei schon eine Last.

„Aber das hat mein Selbstvertrauen auch gestärkt. Man wächst an so etwas“, sagt sie. So sehr, dass sich die 1,76 Meter große Studentin der Personalwirtschaft, die im dualen System in der Personalabteilung des väterlichen Unternehmens arbeitet, nun den Schritt in den Ring zutraut.

Eine spezielle Ausbildung ist dafür nicht nötig, wohl aber regelmäßige Fortbildungen, die die Verbände jedes Jahr anbieten. Wer sich beim Punktrichten bewährt, wird bei Interesse zunächst bei Kleinringveranstaltungen als Ringrichter(in) eingesetzt. „Ich habe mir immer vorgenommen, zunächst im Punkten totale Sicherheit zu erlangen, bevor ich in den Ring steige. Jetzt glaube ich, dass der Zeitpunkt gekommen ist, es zu versuchen“, sagt sie.

Ihr Traum: Einen Kampf von Katie Taylor zu leiten

Ihr Traum wäre, einen Titelkampf von Katie Taylor leiten zu dürfen. Aber auch WM-Kämpfe von Männern traut sie sich zu. Sicherlich nicht im Schwergewicht, da braucht es eine andere Körperlichkeit, um als Ringrichter durchgreifen zu können. „Aber ich traue mir schon zu, mit der richtigen Mischung aus Selbstbewusstsein und Zurückhaltung auch Männerkämpfe leiten zu können“, sagt sie.

Eine gewisse Dominanz müsse man als Ringrichterin mitbringen, „aber wer mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen ist und im väterlichen Unternehmen als Führungskraft ernst genommen wird, der hat gelernt, sich zu behaupten“, sagt Thomas Pütz.

Sie wolle, sagt die Tochter, niemals aus Gefälligkeit eingesetzt werden, sondern aus Überzeugung. „Und ich werde versuchen, so wenig wie möglich im Mittelpunkt zu stehen.“ Das dürfte zwar nicht ganz einfach werden angesichts ihrer Geschichte, aber Karoline Pütz hat bewiesen, dass Beharrlichkeit ihre große Stärke ist.