Hamburg. Die Profiboxerin Dilar Kisikyol startet mit dem „projekt:tanz“ am 22. April eine Kooperation mit dem Ziel, Erkrankten besser zu helfen.

Einen Tanzkurs hat sie nie belegt. Aber wer sieht, wie Dilar Kisikyol auf flinken Beinen behände durch den Ring schwebt, während sie die Hände fliegen lässt, der kann erahnen, dass die Verbindung zwischen Boxen und Tanzen, die am 22. April geschlossen wird, eine erfolgversprechende ist. Auf Initiative der 31 Jahre alten Profiboxweltmeisterin der Verbände GBU und WIBF im Leichtgewicht fällt an jenem Sonnabend in zwei Wochen der Startschuss für ein Projekt, das Signalwirkung haben soll.

Kisikyol, eine ausgebildete Gymnastiklehrerin, die Sozialpädagogik und soziale Arbeit studiert hat und im Hamburger Amateurboxverband Beauftragte für Frauen und Inklusion ist, leitet seit gut einem Jahr einen Boxkurs für an Morbus Parkinson erkrankte Frauen. Im Herbst vergangenen Jahres wurde die in Leverkusen geborene Tochter türkischer Eltern mit kurdischen Wurzeln auf das Netzwerk „projekt:tanz“ aufmerksam.

Tanzen für Parkinson-Erkrankte gibt es seit 2016

Dort sind aktuell sechs Tanzpädagoginnen und -therapeutinnen zusammengeschlossen, die seit 2016 an verschiedenen Krankenhäusern, aber auch in der Tanzschule Heiko Stender in Niendorf Tanzkurse für Menschen anbieten, die an der oft als „Schüttellähmung“ bezeichneten Erkrankung des zentralen Nervensystems leiden.

In Gesprächen kamen die Boxerin und die Tanzschaffenden überein, dass sie ihre Angebote gern bündeln und ihrer jeweiligen Klientel vorstellen würden. Bislang gibt es nur eine 73 Jahre alte Dame, die beide Angebote wahrnimmt. Daraus entstand die Idee, anlässlich des Welt-Parkinson-Tags, der am Dienstag stattfindet, einen gemeinsamen Workshop anzubieten.

Und so wird es am 22. April in der Boxsporthalle am Braamkamp in der Zeit zwischen 10 und 13 Uhr ein kombiniertes Box- und Tanztraining geben, das sich nicht nur an die jeweils zehn Mitglieder der bestehenden Gruppen richtet, sondern an alle an Parkinson erkrankten Frauen. Wie viele das in Hamburg sind, ist nicht erhoben. Bundesweit sind rund 400.000 Menschen betroffen, in Hamburg dürfte die Zahl mindestens vierstellig sein.

Angebot ist besonders niedrigschwellig

Besonders wichtig ist den Projektleiterinnen der Hinweis, dass das Angebot in der barrierefreien Halle niedrigschwellig stattfindet. „Es geht bei uns nie um das Einüben von festen Tanzschritten, wir lehren keine Standard-, Latein- oder Modern-Dance-Inhalte, sondern kombinieren Elemente aus allen Richtungen so, dass Erkrankte sogar im Sitzen daran teilhaben können“, sagt Soi Anifantis-Scherb (34), eine von zwei Gründerinnen des Tanzprojekts.

Dilar Kisikyol achtet in ihrem Kurs, der jeden Mittwoch von 12 bis 13 Uhr stattfindet, penibel darauf „niemanden zu überfordern, aber auch niemanden zu unterfordern“. Es gehe nie um Wettkampf, sondern um gemeinsames Erleben sportlicher Betätigung, „und das sorgt dafür, dass alle frei von Ängsten oder Druck mitmachen können“, sagt Anifantis-Scherb.

Genau das ist im Umgang mit Parkinsonkranken ein entscheidendes Element, da die körperlichen Voraussetzungen der Patientinnen und Patienten stark differieren. „In meiner Gruppe ist die jüngste Teilnehmerin 43, die älteste 80 Jahre alt. Manche wissen seit Jahrzehnten von ihrer Diagnose, andere haben sie gerade erst erhalten“, sagt Dilar Kisikyol.

Erkrankten fehlt Vertrauen in eigene Stärke

Die höchste Hürde stellen für die meisten Erkrankten allerdings nicht die körperlichen Einschränkungen dar, sondern das mangelnde Vertrauen in die eigene Stärke. „Viele denken, dass sie mit Parkinson nicht in der Lage seien, Sport zu treiben. Dabei können selbst Menschen im Rollstuhl oder Erblindete tanzen oder boxen“, sagt Antonia Arboleda-Hahnemann (55), die gemeinsam mit ihrer Kollegin Malena Ortiz Pizarro (32) beim Workshop den Tanzkurs leiten wird. „Unser Motto lautet: Du kannst das, und wir zeigen dir, was du alles kannst.“

Warum Boxen und Tanzen viel mehr miteinander zu tun haben, als Menschen ohne Erfahrung mit diesen Sportarten glauben dürften, kann Malena Ortiz Pizarro einleuchtend erklären, auch wenn sie selbst, ebenso wie ihre Kolleginnen, noch nie geboxt hat. „In beiden Sportarten sind Koordination, Kombination, Gleichgewicht, Beinarbeit und das Zusammenspiel von Füßen, Händen und Kopf enorm wichtig, und das sind genau die Elemente, die bei Parkinson in Mitleidenschaft gezogen werden“, sagt die Tanzpädagogin.

Dass der für den Hamburger Profiboxstall P2M aktive Supermittelgewichtler Simon Zachenhuber bei der TV-Sendung „Let’s Dance“ eine gute Figur abgab, sei wenig überraschend. Und wer den vielleicht berühmtesten Parkinson-Patienten Muhammad Ali zu dessen besten Zeiten durch den Ring tanzen sah, versteht die Idee hinter dem Projekt gut.

Studien weisen Wirkung des Tanzens nach

Während es für die Auswirkung des Boxtrainings auf Parkinson-Erkrankte angesichts der Kürze des bestehenden Angebots noch keine wissenschaftlich fundierten Nachweise gibt, liegen diese Studien für das Tanzen vor. „Die typischen Symptome wie Zittern, versteifte Muskeln und instabile Körperhaltung werden gelindert, während des Trainings sogar manchmal vergessen“, sagt Antonia Arboleda-Hahnemann.

Malena Ortiz Pizarro erzählt mit Inbrunst von einem ihrer ersten Kurse. „Da kam eine Frau in den Raum, die am Stock ging und sich kaum bewegen konnte. Im Lauf der Übungen wurde ihre Körperhaltung immer aufrechter, am Ende hat sie den Stock weggeworfen und ist durch den Raum geschwebt. Das war unglaublich, und dieses Gefühl kann jeder an Parkinson Erkrankte erleben“, sagt sie.

Dass am 22. April nur Frauen diese Möglichkeit erhalten, liegt darin begründet, dass Dilar Kisikyol bislang nur Kapazitäten für einen Kurs hat. „Ich erhalte oft Anfragen, ob ich nicht auch Männer aufnehmen oder die Kurse in anderen Bundesländern anbieten kann. Aber ich möchte das, was ich tue, mit 100 Prozent Einsatz machen, deshalb kann ich neben meiner Profikarriere nicht zu viele Projekte annehmen“, sagt sie. Angedacht sei eine Ausweitung mittelfristig aber. Dafür brauche es jedoch qualifizierte Trainerinnen und Trainer – und mehr finanzielle Unterstützung.

HSB und Stadt finanzieren den Workshop

„Leider können sich viele Erkrankte Sportangebote nicht leisten, weil diese nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, obwohl der medizinische Nutzen belegt ist“, sagt Malena Ortiz Pizarro. Der Workshop am 22. April wird vom Hamburger Sportbund und der Active City finanziert und kann deshalb kostenfrei angeboten werden.

Er soll der Startschuss sein für eine Kooperation, die sich zu einem großen, sportartübergreifenden Netzwerk entwickelt. „Das Bedürfnis nach allem, was hilft, um die Symptome von Parkinson zu lindern, ist groß“, sagt Antonia Arboleda-Hahnemann. Am 22. April wollen sie versuchen, dieses Bedürfnis ein Stück mehr zu stillen.

Die Teilnahme am Workshop ist nur nach Anmeldung per E-Mail an boxen.tanz@gmail.com möglich. Informationen dazu gibt es im Internet unter projekttanz.com