Doha. Nach dem WM-Aus der deutschen Mannschaft will DFB-Präsident Bernd Neuendorf Fragen stellen. Ein “Weiter so“ soll es nicht geben.

Wenn DFB-Präsident Bernd Neuendorf nach dem passenden Schlussakt einer völlig vermasselten Dienstreise gesucht hat, dann hat er das perfekte Topf-Deckel-Ende am Morgen nach dem blamablen WM-Ausscheiden der deutschen Mannschaft gefunden. Via Twitter-Meldung hatte Neuendorf die Medien um 11.45 Uhr zum Hamad International Airport gebeten, um dort kurz vor dem Rückflug einen Ausblick auf den weiteren Fahrplan der Verbandsspitze nach dem historischen Scheitern zu geben. Das Problem: Zwar hatte der DFB noch in der Nacht nach dem letztendlich bedeutungslosen 4:2-Sieg gegen Costa Rica das Einverständnis der Fifa für dieses Vorgehen erhalten, allerdings fehlte die Genehmigung des katarischen Innenministeriums. Mehr als 30 Minuten ließen die Katarer Neuendorf zappeln, ehe man doch eine Ausnahmegenehmigung für die improvisierte Presserunde am Abflugterminal erteilte. Viel schlechter kann eine Dienstreise nicht enden.

DFB-Krisensitzung auch mit Watzke

„Herzlich willkommen, meine Damen und Herren“, sagt also Neuendorf kurz vor dem Abflug. „Der Verlauf des gestrigen Tages ist für uns eine herbe Enttäuschung“, erklärt der 61-Jährige und kündigt „ein geordnetes Verfahren“ an. Bereits in der kommenden Woche werden sich DFB-Manager Oliver Bierhoff, Bundestrainer Hansi Flick, DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke und er in Frankfurt am Main zusammensetzen. „Meine Erwartung an die sportliche Leitung ist, dass sie eine erste sportliche Analyse dieses Turniers vornimmt, aber auch Perspektiven entwickelt für die Zeit nach dem Turnier im Hinblick auf die Europameisterschaft im eigenen Land“, sagt Neuendorf und wird noch einmal deutlich: „Und diese Analyse muss auch die Entwicklung der Nationalmannschaft und unseres Fußballs seit 2018 umfassen.“ Neuendorf will nach dem dritten frühzeitigen Turnier-Aus in Folge Antworten. Fragen will der frühere SPD-Politiker am Flughafen aber keine mehr beantworten. Auch nicht die zentrale: Wie konnte das alles passieren?

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Dabei scheint die Antwort auf diese Frage gar nicht so schwer. Denn anders als vor vier Jahren in Russland kam das erneute Aus der deutschen Mannschaft in der WM-Vorrunde diesmal nicht aus heiterem Himmel. Bereits vor der WM war man in der Nations League gescheitert, konnte nur eins von sechs Spielen gewinnen und verlor sogar gegen Ungarn. Und dann gab es noch die schwache Generalprobe gegen den Oman, das 1:0 gegen den 75. der Weltrangliste. Trotzdem blickte Flick vor dem Abflug nach Doha optimistisch: „Wir gehen mit dem Ziel ins Turnier, Weltmeister zu werden.“

Nach der Landung in Katar ging nahezu alles schief

Doch nach der Landung in Katar ging so ziemlich alles schief, was schiefgehen konnte. Erst Neuendorfs Ankündigung, die One-Love-Binde auf jeden Fall als Zeichen für Menschenrechte zu tragen, dann der Rückzieher nach veritablen Drohungen der Fifa. Vor dem Start der Weltmeisterschaft wurde in Fußball-Deutschland über so ziemlich alles diskutiert – nur nicht über Fußball. Das änderte sich auch nicht, als der Ball rollte. Deutschlands Fußballer verloren ihr Auftaktspiel gegen Japan mit 1:2. Gegen Japan! Es folgte ein übellauniger Pressekonferenz-Auftritt Flicks, bei dem er die internationalen Medienvertreter brüskierte, weil er nicht den Regeln entsprechend einen Spieler mitbrachte. Damit soll er auch seinen eigenen Präsidenten verärgert haben. Immerhin: Das 1:1 gegen Spanien im Zusammenspiel mit Costa Ricas überraschendem 1:0-Sieg gegen Japan schürte kurzzeitig Hoffnungen und Träume, die am späten Donnerstagabend platzten wie eine Seifenblase.

Es war bereits weit nach Mitternacht im Al-Bayt-Stadion von Al-Chaur, als Flick erneut auf dem Pressepodium Platz nahm und den Medienvertretern oberflächlich das erklären sollte, was er in der kommenden Woche auch DFB-Präsident Neuendorf im Detail erklären muss. „Mit einem 3:0 oder 4:0 hätten wir den Druck auf das andere Spiel erhöht. Das haben wir nicht geschafft“, sagte Flick. „In der Halbzeit war ich richtig sauer.“

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Doch dann schweifte der konsterniert wirkende Fußballlehrer vom Costa-Rica-Spiel ab und wurde allgemein: „Wir reden seit Jahren über Neuner, spielstarke Außenverteidiger. Wir brauchen die Basics in der Ausbildung“, sagte Flick. Was er nicht sagte: Elf der vergangenen 16 DFB-Jahre hatte Flick direkt als Co-Trainer, Sportdirektor und schließlich Bundestrainer mitzuverantworten. Besonders nach dem WM-Titel 2014, als er drei Jahre lang als DFB-Sportdirektor wirkte, hatte er einen großen Gestaltungsraum. Seinerzeit stellte er das Zukunftskonzept „Unser Weg – Erfolg entwickeln“ vor, das nach seinem Ausscheiden 2017 aber wieder verworfen wurde. In der Nacht von Al-Chaur sagt Flick: „In den nächsten zehn Jahren ist es sehr wichtig, dass wir jetzt die richtigen Schritte machen.“

Rücktritte von Flick und Bierhoff sind ausgeschlossen

Ganz so lange will DFB-Präsident Neuendorf nicht warten. Nicht einmal zehn Tage. Dabei haben sowohl Flick als auch Bierhoff bereits zu Protokoll gegeben, dass sie beim Neuaufbau mit Blick auf die Heim-EM in gerade einmal anderthalb Jahren dabei sein wollen. Flick sagte: „Von meiner Seite gibt es keinen Grund, nicht weiterzumachen.“ Bierhoff antwortete auf die Frage, ob er einen Rücktritt ausschließen könne? „Ja, das schließe ich aus.“

DFB-Direktor Oliver Bierhoff am Tag nach dem Ausscheiden.
DFB-Direktor Oliver Bierhoff am Tag nach dem Ausscheiden. © dpa

Ein paar Stunden Zeit zum Reden hätten Neuendorf, Bierhoff und Flick auch schon am Freitag gehabt. Als Neuendorf sein Presse-Statement unter erschwerten Bedingungen beendet, muss der DFB-Präsident aber erst einmal zur Chartermaschine. Für die Verantwortlichen des DFB ist es ein Flug ins Ungewisse – und das endgültige Ende einer völlig verpatzten Dienstreise.