Frankfurt. Bundestrainer Hansi Flick benennt seinen WM-Kader ohne ganz große Überraschungen. Viel Zeit bis zum Turnier in Katar bleibt nicht.

Hansi Flick lächelt, als er sich nach getaner Arbeit noch einen Kaffee holt und sich unter die Journalisten mischt. Der Bundestrainer wirkt regelrecht gelöst an diesem Donnerstagmittag in Frankfurt. Es liegen ja keine einfachen Tage hinter ihm: Gemeinsam mit seinen Assistenten hatte er sich mehrere Tage ins Frankfurter Hotel Kempinski zurückgezogen, hatte diskutiert, analysiert, geplant, Szenarien skizziert und wieder verworfen, bis endlich der 26-Mann-Kader für die Weltmeisterschaft in Katar stand. Mit dem Ergebnis ist der 57-Jährige sehr zufrieden: „Dieser Kader gibt uns viele Möglichkeiten“, sagt er, „Ich bin froh, dass wir so eine Qualität haben.“

Mats Hummels und Robin Gosens nicht im WM-Kader

Der Weg dorthin jedoch war anstrengend – aber dann muss man als Bundestrainer noch jene Spieler anrufen, die zwar berechtigte Hoffnungen hatten, es aber nicht ins Aufgebot geschafft haben. Und so klingelte am Mittwoch das Telefon bei Julian Weigl (27), Robin Gosens (28), Mats Hummels (33) und Maximilian Arnold (28). Am anderen Ende der Bundestrainer, der nun seine Beweggründe erklären musste – in dem Wissen, dass die Spieler vermutlich eh nicht mehr zuhören (können), wenn er ihnen erst einmal abgesagt hat. „Das war keine leichte Aufgabe für mich, weil für jeden einzelnen dieser Jungs ein Traum geplatzt ist“, sagt Flick.

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Mit am schwersten fiel der Anruf wohl bei Maximilian Arnold, weil der Bundestrainer bei dessen Spielweise und Persönlichkeit starke Ähnlichkeiten mit dem einstigen Spieler Flick sieht. Etwas prominenter aber sind zwei Dortmunder, die nicht im Kader stehen. Neben Hummels nämlich noch Marco Reus (33), der sich noch immer mit den Folgen einer Sprunggelenksverletzung plagt und zum dritten Mal vor einem großen Turnier vom eigenen Körper im Stich gelassen wird. „Ich habe schon oft gesagt, wie sehr ich Marco als Fußballer schätze“, erklärt Flick. „Aber so eine Verletzung braucht Zeit, wir mussten irgendwann entscheiden, ob wir das Risiko eingehen oder nicht.“ Letztlich senkte sich der Daumen, weil unklar war, wann Reus zur Mannschaft würde stoßen können – anders etwa als bei Thomas Müller (33), Antonio Rüdiger (29) oder Lukas Klostermann (26), bei denen die Klubärzte und -Trainer dem DFB eine verlässliche Perspektive übermitteln konnten, dass es für das erste und letzte Testspiel am Mittwoch gegen den Oman reichen sollte.

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Bei Hummels gab eine Mischung aus sportlichen und perspektivischen Gründen den Ausschlag: Einerseits habe er ja einige hervorragende Innenverteidiger, namentlich Antonio Rüdiger, Niklas Süle (27), Nico Schlotterbeck (22) und Matthias Ginter (28) – dessen Entwicklung in Freiburg den Bundestrainer nachhaltig beeindruckt hat und der wie die anderen drei deutlich schneller ist als Hummels, was der Bundestrainer so deutlich aber doch nicht sagt. Außerdem können Klostermann und Thilo Kehrer (26) innen verteidigen, die Flick wegen ihrer Vielseitigkeit vorzieht. Und deswegen ging der verbliebene Kaderplatz in der Abwehr an den 20 Jahre alten Armel Bella Kotchap, um dem für die Zukunft wertvolle Turniererfahrung zu verschaffen. Hummels‘ bisweilen eigenwilliges Auftreten habe keine Rolle gespielt.

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Das gilt auch für einen Spieler, den der Bundestrainer eher spät anrief, weil er seinen Tag gerne mit positiven Gefühlen beenden wollte: Youssoufa Moukoko, noch nicht ganz 18 Jahre alt und dennoch schon dabei. Und das nicht nur als Lehrling: „Youssoufa macht einfach eine gute Entwicklung“, begründet Flick die Entscheidung. „Er ist schnell, quirlig, hat einen guten Abschluss und gibt einer Mannschaft sehr viel.“

Moukoko ist so einer, den man mit gutem Willen als Überraschung bezeichnen könnte, dessen Nominierung zuletzt aber immer stärker diskutiert wurde – erst recht, nachdem die Mittelstürmer Timo Werner (26) und Lukas Nmecha (23) wegen Verletzungen wegbrachen. In die gleiche Kategorie fällt Mario Götze (30), der WM-Held von Rio kehrt nach mehr als fünf Jahren wieder ins Aufgebot zurück. Zudem rutschte Karim Adeyemi (20) trotz Formschwäche dank seiner Schnelligkeit ins Aufgebot.

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Und Niclas Füllkrug, mit 29 Jahren spätberufener Stürmer von Werder Bremen, der bei der Präsentation im Klubtrikot gezeigt werden muss, weil von ihm kein Bild im Shirt der Nationalmannschaft vorliegt. Weil er aber stark aufspielt aktuell und dem Angriffsspiel als echter Mittelstürmer eine zusätzliche Dimension verleihen kann, wird er dabei sein, wenn die Mannschaft am Montag ins Trainingslager im Oman aufbricht. Füllkrug war auch der Spieler, der sich am lautesten freute über den Anruf und allein damit dem Bundestrainer ein gutes Gefühl vermittelte.

DFB-Trainer Hansi Flick kritisiert WM-Botschafter Khalid Salman

Wie lange das anhält, ist offen. Die kommenden Tage werden intensiv. Montag der Flug in den Oman, Mittwoch das Testspiel gegen dessen Nationalmannschaft, am Donnerstag die Weiterreise nach Katar – ins WM-Gastgeberland, das zuletzt wenig tat, um seinen ramponierten Ruf aufzupolieren. Schwulsein sei ein „geistiger Schaden“, hatte WM-Botschafter Khalid Salman in der ZDF-Dokumentation „Geheimsache Katar“ verkündet. Flick geht das Thema offensiv an, erklärt gleich zu Beginn ungefragt: „Das macht uns sprachlos. Ich bin fassungslos, dass das in der heutigen Zeit so passiert.“ Auch der DFB sei gefordert, sich klar zu positionieren in Sachen Menschenrechte. „Wir wollen uns nicht wegducken, sondern auf Missstände aufmerksam machen.“ Aber: „Es ist auch wichtig, dass unsere 26 Spieler die Chance haben, sich auf den Sport konzentrieren.“

Es wird der nächste schwierige Drahtseilakt für Flick und sein Team.