Hamburg. Er ist Brückenfahrer bei der HHLA und und seit 2014 Boxprofi. Nun erhält Sebastian Formella Unterstützung von renommiertem Boxstall.

Für diese Aussicht auf den Hafen, auf die vielen Tausend Container, die aus mehr als 40 Metern Höhe aussehen wie bunte Bauklötze, und auf den gegenüberliegenden Övelgönner Elbstrand, an dem Sonnenhungrige im Sand liegen, würden viele Menschen Geld bezahlen. Sebastian Formella hat dafür kaum einen Blick, und das nicht, weil ihn die Schönheit seiner Heimatstadt unberührt ließe, nein: Er muss arbeiten. „Ich kann es mir nicht leisten, auch nur eine Sekunde unkonzentriert zu sein“, sagt er.

Sebastian Formella an seinem Arbeitsplatz, einer Containerbrücke am Terminal Burchardkai im Hamburger Hafen
Sebastian Formella an seinem Arbeitsplatz, einer Containerbrücke am Terminal Burchardkai im Hamburger Hafen © Roland Magunia | Roland Magunia

Formella ist Brückenfahrer für die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) auf dem Container-Terminal Burchardkai. Wenn er in seiner Kanzel Platz genommen hat, muss jeder Handgriff sitzen. Schließlich gilt es, die 20 bis 45 Fuß langen Großraumbehälter so vorsichtig zu bewegen, dass die darin befindliche Ladung nicht beschädigt wird.

„Ich weiß ja nie, was in einem Container ist.“ Manchmal ist der Inhalt mehrere Millionen Euro teuer. Es hat seinen Grund, dass Brückenfahrer nicht länger als vier Stunden am Stück arbeiten dürfen, weil sonst die Konzentration nicht gewährleistet wäre.

Im März kämpfte Formella erstmals für Sauerland-Stall

Das zweite Leben des Sebastian Formella spielt im Boxring, wo jede Sekunde Abwesenheit mit einem Knock-out bestraft werden kann. Und weil der Sport, mit dem er als 14-Jähriger im TV Fischbek begann, längst mehr ist als nur ein Hobby, muss der Superweltergewichtler nun versuchen, den Beruf, den er liebt, und den Sport, den er braucht, bestmöglich unter einen Helm zu bekommen.

Sportlich steht Formella, 28, am Scheideweg seiner Karriere. Seit Mai 2014 ist er als Profiboxer aktiv, doch nachdem er sich zunächst in Alleinregie durchzuschlagen versuchte, war zu Jahresbeginn dank der Hilfe seines Managers Steffen Soltau der Berliner Sauerland-Stall aufmerksam geworden.

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Am 12. März kämpfte der 1,74 Meter große Athlet erstmals auf einer Sauerland-Veranstaltung in Neubrandenburg, am vergangenen Sonnabend durfte er in der Hamburger Barclaycard Arena Argumente für eine Zusammenarbeit liefern.

Warum Formella Publikumsliebling ist

Und das tat er nicht nur mit seinem technischen K.-o.-Sieg in Runde vier gegen den Ungarn Gyula Vajda, sondern vor allem durch seine Präsenz auch außerhalb des Rings. 600 Fans begleiteten „Hafen-Basti“ lautstark, obwohl er bereits um 19 Uhr kämpfte, als die meisten der später 7000 Besucher noch die Sonne genossen.

Und während viele Boxer ihre Siege auf VIP-Partys oder an Hotelbars begießen, feierte der in nun zwölf Profikämpfen unbesiegte Heimfelder seinen Triumph im „Shuttle-Imbiss“, den sein Trainer Mark Haupt am S-Bahnhof Stellingen betreibt.

Es ist diese Bodenständigkeit, die Formella zu einem potenziellen Publikumsliebling macht. Auf seiner Boxhose ist neben der deutschen auch die polnische Fahne gestickt. Seine Herkunft ist dem in Polen geborenen und 1989 nach Hamburg gekommenen Kämpfer wichtig.

Seine Familie ist sein großer Rückhalt, der Vater hat mehr als 100 seiner 140 Amateurkämpfe und alle seine Profifights besucht und auf Video aufgenommen; für die Mutter, die aus Angst um die Gesundheit des Sohnes nie einen Kampf live besuchen würde – und auch nur die Duelle im Nachhinein anschaut, die er gewonnen hat.

Training neben der Achtstundenschicht

Trainiert wird mit seinem besten Freund Mark Haupt, der als Aktiver in Fischbek boxte, im Sportline-Studio in Neugraben, das extra für ihn ein Boxgym eingerichtet hat. Und wer mit ihm durch den Hafen schlendert, der spürt, wie viel Sympathie ihm allerorten entgegenschlägt.

Weil ihn alle kennen als normalen Kollegen, der trotz seines anstrengenden Programms mit zwei täglichen Trainingseinheiten neben der Achtstundenschicht – entweder von 7 bis 15 oder von 15 bis 23 Uhr – keinerlei Sonderbehandlung für sich beansprucht, sondern Urlaub nimmt, wenn die Vorbereitung zu hart ist.

Formella nicht zu mögen, ist fast unmöglich. Das war schon zu Amateurzeiten so, wenn er seine Hamburger Meistertitel im Ring mit einem Salto aus dem Stand feierte. Als ehemaliger Gerätturner – sein Abitur am Harburger Lessing-Gymnasium bestand er auch dank einer perfekten Bodenkür im Leistungskurs Sport – beherrscht er dieses Kunststück immer noch. Seit er Profi ist, hat er aus Angst vor einer Verletzung bislang darauf verzichtet.

Große Titel nicht um jeden Preis

Sein Traum ist, einen großen Titel zu gewinnen, am liebsten in Hamburg vor seinen Fans. Aber er will dieses Ziel nicht um jeden Preis verfolgen. Natürlich wäre es einfacher mit einem Promoter wie Sauerland im Rücken. Als Gastboxer erhält er keine Kampfbörse, er muss auch noch seinen Gegner bezahlen.

Dank seiner treuen Sponsoren und einer Beteiligung an den Ticketverkäufen verdiente er am vergangenen Wochenende immerhin mehr, als er investieren musste. Auf Dauer ist dieses Geschäftsmodell aber nicht lukrativ.

Umso glücklicher ist das Bewegungstalent, das im Ring mit Geschmeidigkeit und Variabilität zu begeistern weiß, über den Job bei der Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft. „Ich kann mir nicht vorstellen, woanders als im Hafen zu arbeiten.“ Temporär verlassen, um sich aufs Boxen zu konzentrieren, würde er seine Kanzel nur, wenn ihm sein Arbeitgeber eine Rückkehrmöglichkeit garantierte. „Es gibt ja auch ein Leben nach dem Sport, und ich sehe meins auf jeden Fall hier.“

Natürlich wäre es toll, Europameister zu werden oder sogar in die Weltspitze vorzudringen. Aber Sebastian Formella braucht keinen Titel zu seinem persönlichen Glück. Er weiß ja auch so, wie die Welt von oben aussieht.