Hamburg. Der Bulgare Kubrat Pulev schlägt den rüden Haudrauf Dereck Chisora. Die Diskussionen drehten sich um andere brisante Themen.

Auch wenn der Grund für seine Absenz kein schöner war: Wahrscheinlich musste man glücklich darüber sein, dass Dereck Chisora die abschließende Pressekonferenz nicht besuchen konnte. Als sein bulgarischer Bezwinger Kubrat Pulev im Medienraum der Hamburger Barclaycard Arena erklärte, was ihm den EM-Titel im Schwergewicht eingebracht hatte, war der Brite auf dem Weg in eine Augenklinik. In Runde acht hatte er Pulevs Daumen unabsichtlich ins rechte Auge bekommen, das von Minute zu Minute so arg anschwoll, dass er in der Kabine nichts mehr sehen konnte.

Trainer CJ Hussein gab zwar noch in der Nacht zu Sonntag Entwarnung, die Vorsichtsmaßnahme aber konnte jeder nachvollziehen. Und nach einer Woche mit einer Reihe an unschönen Zusammenkünften zwischen den beiden Kontrahenten war es vielleicht wirklich besser, dass ein letztes Verbalduell nicht möglich war. Schließlich hatten der schwache Ringrichter Manuel Oliver Palomo aus Spanien, der auf beiden Seiten viel zu viele Unsauberkeiten durchgehen ließ, und der Schweizer Punktrichter Beat Hausammann, der mit seiner Entscheidung überraschte, 115:113 für Chisora zu werten, dem britischen Haudrauf Ansatzpunkte geliefert, um den keinesfalls fragwürdigen Kampfausgang infrage zu stellen.

Ein Punktrichter lag völlig daneben

„Ich musste heute gegen zwei Leute kämpfen“, klagte Chisora im Ring, nachdem er von Pulev ausgelacht worden war, weil er mit dem Schlussgong die Arme zum Jubel gehoben hatte. Pulev lachte durchaus zu Recht. 118:110 und 116:112 lauteten die Wertungen der anderen beiden Punktrichter zugunsten des 34-Jährigen, und das vollkommen verdient, weil Chisora in einem durchaus ansprechenden Schwergewichtsduell zu selten einen Weg gefunden hatte, Pulevs Führhand in den Griff zu bekommen. Mit seinem linken Jab diktierte der 1,94-Meter-Mann aus Sofia, angefeuert von rund 2500 Landsleuten unter den 7000 Fans, das Tempo des Kampfes und schaffte es über weite Strecken, seinen wütend anrennenden Herausforderer damit auf Distanz zu halten.

„Ich habe Kubrats Führhand noch nie so gut gesehen. Überhaupt war es die beste Leistung seiner Karriere“, lobte Promoter Kalle Sauerland. Es spricht für den Sportler, dass er die Worte seines Managements in die richtige Relation zu setzen imstande war. „Ich hätte noch viel besser boxen können. Leider war die Pause nach meinem letzten Kampf im Dezember etwas zu lang, deshalb war ich zu fest“, sagte Pulev selbstkritisch.

Ulli Wegners Traum vom Schwergewichts-Weltmeister

Trainer Ulli Wegner, der die Betreuung des Bulgaren nach dessen bislang einziger Niederlage im WM-Kampf gegen Wladimir Klitschko im November 2014 übernommen hatte, wollte ebenfalls nicht allzu euphorisch werden. „Nach den Trainingseindrücken war ich sehr überrascht, wie gut Kubrat unsere Taktik umgesetzt hat. Dennoch gibt es viel zu tun. Die WM-Reife müssen wir uns erarbeiten, denn wenn er wieder eine Chance bekommt, dann wollen wir siegen“, sagte der 74-Jährige, der in seiner Karriere noch nie einen Schwergewichtsweltmeister formte.

Klitschko-Schreck Tyson Fury am Ring in Hamburg

Tatsächlich offenbarte die „Kobra“, wie sich Pulev aufgrund seiner Schnelligkeit nennen lässt, die bekannten Schwächen in der Deckung, die Sportler von der Klasse Klitschkos oder der amtierenden Weltmeister Tyson Fury (WBO/WBA), der als Freund Chisoras nach Hamburg gereist war und den Kampf recht gleichgültig kommentierte („ Ich habe nichts Überraschendes gesehen, Pulev hat so geboxt wie immer“), Anthony Joshua (IBF/beide England) und Deontay Wilder (WBC/USA) auszunutzen verstehen.

Auch Chisora, trotz seiner bulligen Erscheinung kein allzu schlagstarker Boxer, kam mehrere Male mit schweren rechten Haken zum Kopf durch. Zudem fehlt dem Bulgaren trotz guter Amateurschule ein Schuss Raffinesse, er boxt mit Jab und nachgezogener rechter Gerade zum Kopf zu eindimensional. Den Aufwärtshaken, für den Chisora beim häufigen Klammern im Infight ein offenes Ziel bot, schlug Pulev viel zu selten. Wegners Andeutung, bis zu einer erneuten WM-Chance lieber noch ein oder zwei EM-Titelverteidigungen zu absolvieren, dürfte deshalb die sicherste Variante sein, will Pulev tatsächlich irgendwann in der Weltspitze landen.

Promoter Sauerland konnte nur gewinnen

Am wahrscheinlichsten erscheint auf dem Weg dorthin derzeit ein Duell mit Joshua. Der IBF-Delegierte Lindsey Tucker bestätigte, dass Pulev den Sieger des am 21. Mai geplanten Duells zwischen Joseph Parker (Neuseeland) und Carlos Takam (Kamerun) boxen darf, um den nächsten Herausforderer für Joshua zu ermitteln. „Wir werden für Kubrat sicherlich einige tolle Angebote bekommen“, sagte Kalle Sauerland, der auch dem Unterlegenen eine gute Zukunft mit lukrativen Kämpfen gegen dessen britische Landsleute David Price oder Dillian Whyte prophezeite.

„Dereck braucht Zeit mit seinem neuen Coach, vielleicht kam dieser Kampf etwas zu früh. Aber mit 32 Jahren ist er noch im besten Alter, um im Schwergewicht etwas zu erreichen“, sagte er. Da sowohl Pulev als auch Chisora bei Sauerland unter Vertrag stehen, hatte der Promoter vor dem Stallduell gefeixt, gar nicht verlieren zu können. „Nach dem Kampf muss ich sagen, dass der größte Gewinner die Boxfans waren“, sagte er. Dem war nach einem unterhaltsamen Abend zuzustimmen.