Ottmar Hitzfeld sieht die Bayern geschwächt. Noch schweigt Müller-Wohlfahrt zum Streit mit Guardiola und Bayern – aus gutem Grund.

München/Hamburg. Er geht sofort, er wirft nach einem mutmaßlichen Streit mit Trainer Pep Guardiola die Brocken beim FC Bayern München hin – und deshalb löst Mannschaftsarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt einen Eklat aus, der noch lange nachhallen wird. Denn hätte er nicht bis Saisonende warten können? Ist er so eitel, dass er Kritik nicht hören will? War er nicht schon einmal im Zorn mit Jürgen Klinsmann gegangen?

Da mag etwas dran sein. Aber da für "Mull", wie Müller-Wohlfahrt genannt wird, die ärztliche Schweigepflicht gilt, ist der sofortige Abgang offenbar seine einzige Möglichkeit mit einer Aktion etwas zu sagen. Und auch Pep Guardiola hielt sich nach dem Zerwürfnis mit Club-Ikone Müller-Wohlfahrt vornehm zurück. Dabei ist noch unklar, welche Rolle Karl-Heinz Rummenigge und Sportdirektor Matthias Sammer in dem üblen Stück um Ärzte, Profis und schwere Vorwürfe spielen. Haben sie noch nach der Niederlage in Porto bemängelt, dass die vielen Verletzten noch nicht zurück sind?

Von einem Machtkampf wollte der spanische Starcoach Guardiola am turbulenten Tag nach dem Schritt des Vereinsarztes nichts wissen. „Es war seine Entscheidung. Ich habe großen Respekt, ich kann diese Entscheidung nur respektieren“, erklärte der Bayern-Trainer in einer höflichen Stellungnahme. Gar nichts sei zwischen ihm und dem Arzt passiert. Viel mehr sagte Guardiola, der dem Eingangsstatement des Vereins mit Dank an den Mediziner mit regloser Miene lauschte, zur brisanten Personalie nicht.

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Mit Blick auf „extrem wichtige Tage“ mit der Liga-Partie bei 1899 Hoffenheim und der Herkulesaufgabe im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League gegen den FC Porto wollte der deutsche Fußball-Rekordmeister in seiner Stellungnahme „nicht irgendwo nachkarten“. Der Abgang mit Knalleffekt, für den der Vereinsarzt mit seinem Rücktritt nach fast vier Jahrzehnten am Vorabend gesorgt hatte, barg aber auch so genug Brisanz in sich.

Prominente Streitfälle mit Ärzten in der Bundesliga


Der langjährige Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und sein Stab haben die Zusammenarbeit mit dem FC Bayern München beendet. Vorausgegangen ist offenbar ein Zwist mit den Verantwortlichen des Clubs, vor allem Trainer Pep Guardiola.


Schalke 04: Zum 31. Oktober 2014 beendeten Schalke und sein langjähriger Team-Arzt Thorsten Rarreck die Vertragsbeziehungen einvernehmlich. Begründung: Der Club wünschte sich „im Zuge der Neuausrichtung seiner Lizenzspielerabteilung eine höhere ärztliche Anwesenheitszeit“. Das sah Schalke wegen einer anderweitigen Kooperation Rarrecks nicht mehr gewährleistet.


Hannover 96:  2009 trennen sich die Niedersachsen unerwartet vom langjährigen Vereinsarzt Wego Kregehr. Der Kniespezialist erhielt nach zwölf Jahren eine formale Kündigung. Nach Angaben des Vereins hatte Kregehr gebeten, den Vertrag aufzulösen. „Dem sind wir nachgekommen“, sagte der damalige Manager Jörg Schmadtke. Kregehr sieht das bis heute anders. „Das war der Hammer“, erklärte der Arzt im Vorjahr zu der Entlassung. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil an verletzten Profis soll der Grund für die Trennung gewesen sein.


Bayern München: Müller-Wohlfahrt zog sich in den fast vier Jahrzehnten beim FC Bayern schon einmal zurück, als Jürgen Klinsmann 2008 anheuerte. Klinsmann wollte einen Arzt am Vereinsgelände und bekam einen. Offiziell wurde Müller-Wohlfahrt die Doppelbelastung mit Bayern und seiner Praxis zu viel. Als das Kapitel Klinsmann nach zehn Monaten vorbei war, kehrte der Arzt unter Trainer Jupp Heynckes zurück.


Werder Bremen: Ivan Klasnic klagte 2008 gegen das damalige Ärzteteam von Werder Bremen um Dr. Götz Dimanski. Er wirft den Medizinern vor, dass sie seine bedenklichen Nierenwerte im Jahr 2002 hätten erkennen müssen und fordert Schmerzensgeld (1,4 Millionen Euro). Seit März 2007 lebt er mit der Spenderniere seines Vaters. Der Prozess dauert an, Dimanski war bis 2014 Werders Vereinsarzt.


Borussia Dortmund: Prellung oder Muskelbündelriss? Ein Streit um die Diagnose beim BVB-Profi Matthias Sammer sorgt in der neunziger Jahren zum Streit zwischen den Medizinern Achim Büscher und Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Um sein Untersuchungsergebnis zu untermauern, stellt Mediziner Müller-Wohlfahrt eines der Bilddokumente zur Verfügung, die den Muskelbündelriss bestätigen und das Urteil seines Dortmunder Kollegen anzweifeln sollen. Büscher trat ein paar Wochen später zurück.

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„Ich will noch nichts sagen, es ist noch zu früh. Ich werde mich noch äußern, aber nicht heute“, sagte Müller-Wohlfahrt am Morgen nach seinem via Pressemitteilung verkündeten Abschied. Der Mediziner beendete inmitten der Nachwehen des ernüchternden 1:3 in Porto eine Ära, in der die Spieler anfänglich noch Gerd Müller und Uli Hoeneß hießen und in der er knapp zwei Dutzend Trainerwechsel erlebte.

Auch Müller-Wohlfahrts Sohn Kilian geht

„Aus uns unerklärlichen Gründen“ sei die medizinische Abteilung für die Niederlage in Porto „hauptverantwortlich gemacht“ worden, hieß es in der Mitteilung. Man sehe das für eine erfolgreiche medizinische Arbeit notwendige Vertrauensverhältnis nachhaltig beschädigt. Müller-Wohlfahrt verabschiedete sich mit seinem Stab, in dem auch Sohn Kilian arbeitete. Spekuliert wurde auch über drohende Rücktritte aus dem Kreis der Physiotherapeuten. „Was auf dem Platz passiert, ist meine Verantwortung“, sagte Guardiola. Wenn man verliere, sei das die Schuld des Trainers und nicht die von Vorstand oder medizinischer Abteilung.

Ottmar Hitzfeld: Er ist ein genialer Arzt

Müller-Wohlfahrt sei ein „genialer Arzt, einer der besten der Welt. Dass er zurücktritt, schwächt das Team“, sagte der frühere Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld bei einer Veranstaltung des TV-Senders Sky. Die Entscheidung Müller-Wohlfahrts sei sicherlich nicht spontan gewesen. „Es muss einiges im Vorfeld passiert sein, so etwas entwickelt sich“, sagte der Routinier. Ob ein Arzt Schuld an einer Niederlage sein könne, beantwortete der erfahrene Hitzfeld mit einem klaren „Nein“. Die Trennung vor dem Porto-Spiel würde „die Aufgabe nicht erleichtern“.

Pep Guardiola zählt schwere Operationen auf

Vor neun TV-Kameras und rund 30 Journalisten referierte Guardiola am Tag vor dem nächsten Spiel auf dem Weg zum Meistertitel über seine „Helden“, wie er die vorhandenen Spieler nannte. Mit 13 Operationen und Muskelverletzungen hätte es die Mannschaft in zwei Jahren überragend gemacht, zählte Guardiola auf. An seinen persönlichen Zukunftsplänen würden die Vorkommnisse dieser Woche nichts ändern. „Ich bin sehr zufrieden“, sagte der Trainer, der einen Vertrag bis 2016 hat. „Ich will nächstes Jahr hier bleiben.“

Vor zwei Wochen sprach er noch von seiner schwierigsten Phase als Bayern-Trainer, nun muss er die Unruhe nach dem Arztwechsel moderieren. Pikant: Die Bayern-Stars vertrauen „Mull“ weiter, dürften „den Doc“ weiter in seiner Praxis im Herzen der Stadt aufsuchen.

Mitauslöser war die Verletzung von Peps Liebling Thiago

Das Verhältnis zwischen Guardiola und Müller-Wohlfahrt war schon lange weit mehr als nur angespannt. Vor allem bei der Behandlung des über ein Jahr verletzten Spaniers Thiago gab es hinter den Kulissen mächtig Ärger – allen Beteuerungen von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Sportvorstand Matthias Sammer zum Trotz.

Spekuliert wurde in Medien, dass es vor dem Rücktritt von Müller-Wohlfahrt im Rahmen des Porto-Spiels zu einer Diskussion mit Rummenigge gekommen sein soll. Bestätigt oder dementiert wurde das bei der Pressekonferenz am Freitag nicht. Weitere Fragen wurden nicht zugelassen. Nachfolger von Müller-Wohlfahrt wird zunächst Volker Braun, Arzt der zweiten Mannschaft.

Joachim Löw setzt weiter auf Müller-Wohlfahrt

Hoch im Kurs steht der von Stars und Sternchen aus allen Bereichen gerne aufgesuchte Müller-Wohlfahrt auch nach dem überraschenden Schritt in München weiter beim DFB. Joachim Löw setzt total auf den 72-Jährigen. Der Bundestrainer gibt seiner medizinischen Abteilung auch einen hohen Anteil am WM-Titel. Torwart Manuel Neuer und Kapitän Philipp Lahm wurden punktgenau zum ersten WM-Spiel in Brasilien fit. Das Risiko der Nominierung der lange verletzten Mittelfeldstrategen Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira zahlte sich auf dem Weg zum Triumph aus.

Schon einmal gab es ein Comeback von Müller-Wohlfahrt bei FC Bayern. Nach Ärger in der kurzen Amtszeit von Jürgen Klinsmann verließ der Sportmediziner vorübergehend den Verein, am Tag nach der spektakulären Trennung vom ehemaligen Bundestrainer kehrte er umgehend in das Amt des Teamarztes zurück. Damals übernahm auch Uli Hoeneß eine führende Rolle. Es wäre interessant zu wissen, wie der ehemalige Bayern-Präsident über die Causa von heute denkt. (dpa/HA)