Hamburgs Curler wollen bei der WM beweisen, dass sie bei Olympia unter Wert geschlagen wurden.

Hamburg. Als seine Teamkollegen am Sonnabendnachmittag die Halle des Curling-Clubs Hamburg betreten, hat John Jahr die lästige Arbeit bereits erledigt. Mit einem Spezialgerät hat er die kleinen Unebenheiten abgetragen, die die Nachwuchsspieler am Vormittag auf der Bahn hinterlassen haben. Aber egal wie viele Runden er auch dreht: So spiegelglatt wie bei Olympia in Sotschi wird er das Eis ja doch nicht hinbekommen. „Wir sind davon schon ein bisschen verwöhnt“, sagt Jahr.

Auch das mag ein Grund sein, warum es dem Skip und seinen Mitspielern zuletzt nicht immer leichtfiel, sich für das Training aufzuraffen. Wenn es sich auf die Einheiten auf dem Eis beschränkte, würde man es ja hinbekommen. Aber vorher noch eine Stunde lang das Eis zu bereiten, dazu hätten sie alle nicht so richtig Lust gehabt.

Es wird eine Erfahrung sein, wie sie jeder Olympiateilnehmer auf die eine oder andere Weise macht. Jahr drückt es so aus: „Die Flamme ist ein bisschen heruntergeregelt.“ Aber das sei auch ganz gut so, schließlich hätte man die Spannung unmöglich noch acht Wochen länger aufrechterhalten können, bis zur Weltmeisterschaft in Peking, die am Sonnabend beginnt (Eurosport berichtet live). „Sonst wären wir da völlig überspielt angetreten“, sagt Jahr.

An der Motivation dürfte seine Mannschaft aber nicht scheitern. Wie Jahr, 48, sind auch Sven Goldemann, 44, Christopher Bartsch, 34, Felix Schulze, 33, und Peter Rickmers, 34, in einer Zeit groß geworden, in der die WM im Curling das Höchste der Gefühle war – zum olympischen Programm gehört das Spiel erst seit 1998 wieder. Vor allem aber dürfte es der letzte große Auftritt sein für dieses Erfolgsteam, das erst vor vier Jahren zueinandergefunden hat. In der kommenden Saison wollen alle sportlich kürzertreten und sich wieder ihrem Beruf widmen. Das sei auch nötig, findet Bartsch: „Mein Arbeitgeber hat schon geschluckt, dass ich schon wieder weg bin. Dabei habe ich noch nicht einmal den Berg abgearbeitet, der sich bei Olympia aufgestaut hat.“

Was sollte nach Sotschi auch noch an Herausforderungen kommen? In Deutschland ist die Hamburger Wisch- und Schiebgesellschaft unangefochten. International aber ist man in Sotschi an die eigenen Grenzen gestoßen. Von den neun Vorrundenspielen gingen acht verloren. Ob es ganz anders gelaufen wäre, hätte Schulze im zweiten Spiel gegen den späteren Silbermedaillengewinner Großbritannien die Siegchance genutzt hätte? Wahrscheinlich nicht. Der Formhöhepunkt, das haben sie später ermittelt, lag nun einmal im Spätherbst, als der Wiederaufstieg in die europäische A-Gruppe und die Olympiaqualifikation auf der Agenda standen.

Bundestrainer Martin Beiser sieht dennoch keinen Grund, Olympia nachzutrauern: „Selbst wenn wir die angestrebte Präzision von 85 Prozent dort gebracht hätten, hätten wir nicht besser als auf Platz sieben abgeschnitten.“ Wer mehr will, müsse so professionell arbeiten, wie es die Hamburger in dieser Saison getan haben – nur eben über Jahre.

In Peking treten nur drei weitere Nationen mit ihrer Olympiabesetzung an: Norwegen, Dänemark und Gastgeber China. Aber das macht die Aufgabe für Schulze nicht leichter: „Vielleicht hätten wir gegen die Olympiateams sogar bessere Chancen gehabt, weil auch sie nach den Spielen vermutlich in ein Leistungstief gefallen sind.“

Bartsch geht trotzdem fest davon aus, dass es in den elf Vorrundenspielen „mehr Siege gibt als in Sotschi“. Dort immerhin habe man gesehen, dass die Weltspitze gar nicht so weit weg sei wie befürchtet. „Die anderen kochen alle mit Wasser“, sagt Jahr, „diese Erkenntnis war wichtig.“ Der Verlegerenkel hat als Einziger bereits einmal eine WM-Medaille gewonnen: 1987 Silber in Vancouver. Für seinen Sport aber sei Sotschi womöglich noch wertvoller gewesen: „Wir haben so viel Aufmerksamkeit bekommen, dass jetzt wohl keiner mehr sagt: ‚Curling? Das sind doch die komischen Leute mit Besen‘.“