Schweinsteiger, Gündogan und jetzt Khedira: Bundestrainer Löw hat auf der strategisch bedeutsamen „Doppel-Sechs“ plötzlich Richtung WM eine Not- statt Luxussituation. Bereits am Sonnabend wurde Khedira operiert.

Mailand/London. Der Schock traf Bundestrainer Joachim Löw mit voller Wucht: Die Verletzung von Sami Khedira drängte alle positiven Eindrücke aus dem Italien-Spiel zur Seite und dämpfte am Sonnabend noch vor der Weiterreise der Fußball-Nationalmannschaft nach London die Vorfreude auf den nächsten Länderspiel-Hit gegen England. „Wir waren alle richtig niedergeschlagen“, berichtete Löw. Dem 26-jährigen Khedira droht jetzt das Aus für die WM im kommenden Sommer in Brasilien.

Schon am Sonnabend ist Khedira wegen eines Innenbandrisses und eines Risses des vorderen Kreuzbands in Augsburg operiert worden. Der Eingriff wurde im Beisein von Nationalmannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt durchgeführt, teilte der DFB mit. „Die Operation ist gut verlaufen. Nun hoffen wir, dass Sami zur WM in Brasilien wieder fit sein wird“, wurde Müller-Wohlfahrt zitiert.

Khediras Verein Real Madrid hatte auf seiner Internetseite mitgeteilt, dass Doktor Ulrich Boenisch in der Augsburger Hessingpark-Clinic bei Khedira den Eingriff vornehmen werde. Zwei Ärzte der Madrilenen sollten dabei sein. „Bei Sami Khedira muss man abwarten, das wird etwas länger dauern“, erklärte Bundestrainer Löw in der ARD: „Ich habe irgendwo immer noch einen kleinen Funken Hoffnung, dass es reichen könnte.“

„Er ist auf und neben dem Platz eine ganz große Kämpfernatur und Persönlichkeit“, beschrieb Löw die besondere Stellung von Khedira im DFB-Team. Plötzlich ist die WM-Teilnahme für einen seiner wichtigsten Spieler in akuter Gefahr. Zwar betonte auch Müller-Wohlfahrt die Chance, dass Khedira bis zum WM-Start in sieben Monaten wieder fit sein könnte. Garantien aber gibt es angesichts einer geschätzten Ausfallzeit von einem halben Jahr nicht.

Eigentlich war Löw „schon zufrieden“ nach seinem 100. Länderspiel als DFB-Chefcoach, auch wenn gegen Italien der Lohn für eine taktisch reife Leistung zu gering ausfiel. „Dass es kein Freundschaftsspiel war, hat man gesehen. Es ist sehr intensiv und kampfbetont zur Sache gegangen“, resümierte der Jubilar nach dem 1:1 (1:1). Das Warten auf einen Sieg gegen den Angstgegner hätte nach fast 18 Jahren eigentlich angesichts von drei Aluminiumtreffern von Khedira, André Schürrle und Benedikt Höwedes enden müssen.

Auch wenn in Khedira, Schweinsteiger und Gündogan die drei Top-Leute auf der wichtigen Sechser-Position aktuell verletzt sind, sieht Löw schon noch „Möglichkeiten“. Er zählte Toni Kroos, Lars und Sven Bender auf, auch Mesut Özil und Mario Götze. Kapitän Philipp Lahm plant er dagegen weiter rechts ein.

Ungeachtet der sich mit den Ausfällen von Schweinsteiger, Klose, Gomez, Podolski, Gündogan und nun Khedira immer mehr verschärfenden Personalprobleme wird Löw das nächste Match am Dienstag (21.00 Uhr/ARD) im Londoner Wembleystadion ohne Lahm, Torwart Manuel Neuer und Spielmacher Mesut Özil angehen. Die drei Vielspieler bekommen eine Erholungspause in der Heimat.

„Das Spiel gegen England ist für uns eine der letzten Gelegenheiten vor der Weltmeisterschaft, taktisch und personell noch einige Varianten zu testen“, erklärte Löw. Statt der Stammkräfte Lahm, Neuer und Özil will er „gerade gegen eine große Mannschaft wie England anderen Spielern auf Schlüsselpositionen eine Bewährungschance geben“. Per Mertesacker steht nach überstandener Grippe in seiner Wahlheimat London dagegen wieder zur Verfügung.

„Wir haben hier in Mailand bestanden. Wir haben clever agiert, haben uns nicht locken lassen von den Italienern und waren die bessere Mannschaft“, urteilte Torwart Neuer zum sportlichen Aspekt. „Wir brauchen uns nicht zu grämen, dass wir hier 1:1 gespielt haben, aber wir wollten mehr“, meinte auch Thomas Müller.

Aber nur Mats Hummels hatte im deutschen Team das notwendige Glück im Abschluss. Der Kopfball des Dortmunders prallte in der 8. Minute vom Innenpfosten ins Netz. Ignazio Abate glich vor 49.000 Zuschauern im Giuseppe-Meazza-Stadion noch vor der Pause aus (28.).

Neben der verpassten Chance auf den ersten Erfolg nach über 28 Jahren auswärts in Italien löste die teilweise überharte Gangart der Azzurri im DFB-Tross Ärger aus. Khedira hatte den Platz nach einem Zweikampf mit Andrea Pirlo nach 67 Minuten gestützt von Betreuern verlassen müssen – schon da ahnten alle, dass etwas kaputt sein könnte im Knie, das sich der Mittelfeldmann verdreht hatte.

Mit Blick auf die Weltmeisterschaft machte Löw zumindest die taktisch reife Leistung seiner ersatzgeschwächten Mannschaft Mut. Gerade die Abwehrleistung gegen „gefährliche Stürmer“ wie Mario Balotelli hatte Löw erfreut. „Wir haben wahnsinnig gut in der Defensive gestanden“, lobte er. „Wir haben weniger klare Chancen zugelassen als zuletzt“, betonte auch Lahm, den Löw wieder ins defensive Mittelfeld gestellt hatte. „Taktisch haben wir wieder einen Schritt nach vorne gemacht“, bilanzierte der Kapitän.

Löw kündigte „auf jeden Fall“ personelle Veränderungen gegen England an: „Wir versuchen, das alles ein bisschen aufzuteilen.“ Auch im Hinblick auf das anschließende Bundesliga-Topspiel Dortmund gegen Bayern und die folgenden Champions-League-Aufgaben etlicher Nationalspieler möchte der Bundestrainer vermeiden, dass zu viele Spieler in der Nationalmannschaft zweimal über die volle Zeit ran müssen. Unter anderem sollen die Dortmunder Marco Reus und Marcel Schmelzer im Wembleystadion von Beginn an auflaufen. BVB-Torhüter Roman Weidenfeller könnte zu seinem Debüt für Deutschland kommen.