Bei Angstgegner Italien gilt es für das DFB-Team, eine Reifeprüfung abzulegen. Hummels und Boateng sollen verteidigen, Götze könnte die „falsche Neun“ geben.

Mailand. Joachim Löw will's beim Jubiläum wissen – mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Als seinen 100. Gegner wählte der Bundestrainer ganz bewusst Italien aus, um sieben Monate vor der Fußball-WM gegen „unseren Angstgegner bei Turnieren“ die Titelreife seiner Kandidaten für die Brasilien-Mission zu überprüfen. „Ich erwarte, dass die Spieler Gas geben. Es besteht eine gewisse Spannung, auch wenn es kein Qualifikationsspiel ist“, sagte Löw.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sprach als Delegationsleiter ebenfalls von einer „Standortbestimmung“ am Freitag (20.45 Uhr/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de) im Giuseppe-Meazza-Stadion, in dem die DFB-Auswahl 1990 wichtige Siege auf dem Weg zum letzten WM-Triumph feierte. Der Doppelpack in Italien und danach England werde aufzeigen, „wo wir stehen“.

Der letzte Eindruck bleibt – und darum wird der erste Auftritt im weißen WM-Outfit mit roten Bruststreifen die Stimmung in Deutschland für das WM-Jahr 2014 vorgeben. „Wer in Brasilien den Titel gewinnt, hat wahnsinnig viel geleistet“, bemerkte Löw, der den Fans versprach: „Wir bereiten uns so vor, dass wir dazu in der Lage sind.“ Auch wenn dafür „die letzten Wochen vor dem Turnier wahrscheinlich wichtiger sein werden“, wie Kapitän Philipp Lahm hervorhob, stellt besonders die Kraftprobe mit den Italienern einen WM-Lackmustest dar.

Der Halbfinal-K.o. bei der EM 2012 ist noch allgegenwärtig, auch wenn Löw, der damals wegen taktischer Fehler in die Kritik geraten war, nicht von einer Revanche reden wollte: „Das Spiel kann man nicht rückgängig machen.“ Trotzdem geht es darum, einem noch tieferen Italien-Komplex vorzubeugen, wie der Münchner Jérome Boateng sagte: „Ein Sieg in einem Testspiel ist ein guter Anfang. Wenn wir uns in Brasilien wiedersehen sollten, könnten wir dafür sorgen, dass das mit dem Angstgegner endgültig gestrichen wird.“

Knapp 17 Monate nach dem 1:2-Schock von Warschau, „der an den Nerven gezehrt hat“, wie Löw einräumte, müssen seine Spieler und nicht zuletzt er selbst gegen die ausgebufften Azzurri um Deutschland-Schreck Mario Balotelli beweisen, dass man dazugelernt hat. „Die Italiener sind Meister der Anpassung“, schwärmte Löw über die Taktik-Lehrmeister von Coach Cesare Prandelli. Anpassen und umstellen im Spiel, das ist immer noch die markante Schwäche der deutschen Elf und ihres Lehrmeisters Löw – man muss nur an das letzjährige Wahnsinns-4:4 gegen Schweden nach 4:0-Führung denken.

Italien wird zum Prüfstein für Offensive und Defensive. Neben dem Gewinnen (7:15 Siege) ist gegen den viermaligen Weltmeister auch das Toreschießen schwer; 35 Treffer gab es in 31 Duellen. Eine Fortsetzung des offensiven Feuerwerks in der WM-Saison mit mindestens drei Toren in jeder der bislang fünf Partien wäre ein WM-Gütesiegel. Hinten ist die Leistungskurve wechselhafter: Dreimal stand die Null, gegen Paraguay (3:3) und Schweden (5:3) herrschte Chaos. „Klar, ist die Abwehrdebatte da“, gab Manuel Neuer zu, der im Tor stehen wird.

Auf dem kurzen, ruhigen Charterflug von München nach Mailand konnte Löw am Donnerstag beim Blick auf die von Schnee bedeckten Alpen weiter darüber grübeln, wie mutig oder vorsichtig er den Italienern entgegentreten möchte. Die ursprünglich fest für die Top-Elf eingeplante Achse mit Abwehrchef Per Mertesacker (Grippe), Mittelfeld-Organisator Bastian Schweinsteiger (Fuß-OP) und Torjäger Miroslav Klose (Schulterblessur) ist komplett weggebrochen. Immerhin soll Spielmacher Mesut Özil nach einer Grippe auflaufen können.

„Die Bedeutung des Spiels ist hoch“, beharrte Löw trotz der Personalsorgen. Plan B kann ja auch in einem Turnier mal gefordert sein. Jérome Boateng und Mats Hummels müssen beweisen, dass sie als Innenverteidiger-Pärchen doch harmonieren und gemeinsam Balotelli stoppen können. Sami Khedira macht Löw verantwortlich für die defensive Organisation im Mittelfeld. Große Erwartungen setzt er auch in den „bei uns zuletzt sehr starken“ Toni Kroos.

In der von Bayern München und Borussia Dortmund dominierten Elf werden Marco Reus und Thomas Müller die starke Flügelzange bilden. Beide sind Löw außen zu wertvoll, um mit einem von ihnen das Angriffs-Vakuum nach dem Ausfall der Topstürmer Klose und Mario Gomez zu füllen: Der Gladbacher Max Kruse bereitete Löw im Training „viel Freude“. Aber auch Mario Götze sei vorne „eine gute Alternative“.

Die Spieler wollen sich beweisen, es geht auch schon um die persönlichen WM-Tickets. „Wir haben keine Pflichtspiele mehr vor dem Turnier, von daher ist es wichtig, dass wir gefordert werden“, sagte der Münchner Kroos. „Wir wollen das Jahr gut abschließen“, erklärte Teammanager Oliver Bierhoff: „Gegen Italien und England spielt man schon ein bisschen um die Ehre.“ Und für ein gutes WM-Gefühl.

So könnten sie spielen:

Italien: Buffon/Juventus Turin (35 Jahre/136 Länderspiele) – Abate/AC Mailand (27/16), Barzagli/Juventus Turin (32/45), Bonucci/Juventus Turin (26/34), Criscito/Zenit St. Petersburg (26/20) – Marchisio/Juventus Turin (27/40), Montolivo/AC Mailand (28/54), Pirlo/Juventus Turin (34/105), Motta/Paris St. Germain (31/18) – Osvaldo/FC Southampton (27/12), Balotelli/AC Mailand (23/27). – Trainer: Prandelli

Deutschland: Neuer/Bayern München (27/43) – Lahm/Bayern München (30/103), Boateng/Bayern München (25/34), Hummels/Borussia Dortmund (24/26), Schmelzer/Borussia Dortmund (25/14) – Khedira/Real Madrid (26/43), Kroos/Bayern München (23/39) – Müller/Bayern München (24/46), Özil/FC Arsenal (25/51), Reus/Borussia Dortmund (24/17) – Götze/Bayern München (21/24). – Trainer: Löw

Schiedsrichter: Benquerenca (Portugal)