Sami Khedira hat sich beim 1:1 im Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien einen Innenbandriss und Riss des vorderen Kreuzbands im rechten Knie zugezogen. Ihm droht ein halbes Jahr Pause.

Mailand. Der Schock traf Joachim Löw in der Nacht nach dem Italien-Klassiker mit voller Wucht. Die schwere Knieverletzung von Sami Khedira drängte alle positiven Eindrücke aus dem Italien-Spiel zur Seite und dämpfte am Samstag noch vor der Weiterreise der Fußball-Nationalmannschaft nach London die Vorfreude auf den nächsten Länderspiel-Hit gegen England.

„Er ist auf und neben dem Platz eine ganz große Kämpfernatur und Persönlichkeit“, beschrieb der Bundestrainer die besondere Stellung und Ausstrahlung von Khedira im DFB-Team. Plötzlich ist die WM-Teilnahme für einen seiner wichtigsten Spieler in akuter Gefahr. Der 26 Jahre alte Profi von Real Madrid hat sich in Mailand einen Innenbandriss und Riss des vorderen Kreuzbands im rechten Knie zugezogen – schlimmer geht's kaum.

Eigentlich war Löw „schon zufrieden“ nach seinem 100. Länderspiel als DFB-Chefcoach, auch wenn gegen Italien der Lohn für eine taktisch reife Leistung zu gering ausfiel. „Dass es kein Freundschaftsspiel war, hat man gesehen. Es ist sehr intensiv und kampfbetont zur Sache gegangen“, resümierte der Jubilar nach dem 1:1 (1:1). Das Warten auf einen Sieg gegen den Angstgegner hätte nach fast 18 Jahren eigentlich angesichts von drei Aluminiumtreffern von Khedira, André Schürrle und Benedikt Höwedes enden müssen.

Für die couragierte WM-Probe zahlt das deutsche Team nun einen hohen Preis. Zwar betonten sowohl Löw als auch Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt die Chance, dass Khedira bis zum WM-Start in sieben Monaten wieder fit sein könnte. Garantien aber gibt es angesichts einer geschätzten Ausfallzeit von einem halben Jahr nicht. „Er denkt immer positiv. Das wird ihm helfen, und daher bin ich auch optimistisch, dass er rechtzeitig bis zum Anpfiff der WM in Brasilien wieder fit wird“, übermittelte der DFB-Chefcoach an Khedira und verband damit die Hoffnung, „dass die Operation gut verläuft und er schnell in die Reha einsteigen kann“.

Ungeachtet der sich mit den Ausfällen von Schweinsteiger, Klose, Gomez, Podolski, Gündogan und nun Khedira immer mehr verschärfenden Personalprobleme wird Löw das nächste Match am Dienstag (21.00 Uhr/ARD) im Londoner Wembleystadion ohne Kapitän Philipp Lahm, Torwart Manuel Neuer und Spielmacher Mesut Özil angehen. Die drei Vielspieler bekommen eine Erholungspause in der Heimat.

„Das Spiel gegen England ist für uns eine der letzten Gelegenheiten vor der Weltmeisterschaft, taktisch und personell noch einige Varianten zu testen“, erklärte Löw. Statt der Stammkräfte Lahm, Neuer und Özil will er „gerade gegen eine große Mannschaft wie England anderen Spielern auf Schlüsselpositionen eine Bewährungschance geben“. Per Mertesacker steht nach überstandener Gruppe in seiner Wahlheimat London dagegen wieder zur Verfügung.

„Wir haben hier in Mailand bestanden. Wir haben clever agiert, haben uns nicht locken lassen von den Italienern und waren die bessere Mannschaft“, urteilte Torwart Neuer zum sportlichen Aspekt. „Wir brauchen uns nicht zu grämen, dass wir hier 1:1 gespielt haben, aber wir wollten mehr“, meinte auch Thomas Müller. Kapitän Lahm sah es ähnlich wie seine Bayern-Kollegen: „Es war ein ordentliches Spiel, taktisch geprägt – und es wäre mehr drin gewesen.“

Aber nur Mats Hummels hatte im deutschen Team das notwendige Glück im Abschluss. Der Kopfball des Dortmunders prallte in der 8. Minute vom Innenpfosten ins Netz. Ignazio Abate glich vor 49 000 Zuschauern im Giuseppe-Meazza-Stadion noch vor der Pause aus (28.).

Neben der verpassten Chance auf den ersten Erfolg nach über 28 Jahren auswärts in Italien löste die teilweise überharte Gangart der Azzurri im DFB-Tross Ärger aus. Khedira hatte den Platz nach einem Zweikampf mit Andrea Pirlo nach 67 Minuten gestützt von Betreuern verlassen müssen – schon da ahnten alle, dass etwas kaputt sein könnte im Knie, dass sich der Mittelfeldmann verdreht hatte.

Mit Blick auf die Weltmeisterschaft machte Löw zumindest die taktisch reife Leistung seiner ersatzgeschwächten Mannschaft Mut. Allerdings bringt die schwere Verletzung von Khedira eine weitere Ungewissheit. Auch Schweinsteiger, Klose, Gomez, Podolski und Gündogan, eigentlich alle fest für die Titelmission in Brasilien eingeplant, müssen nach längeren Verletzungspausen erst wieder in einen regelmäßigen Spielrhythmus kommen und sich ihre Topform zurückerkämpfen. Die Zeit ist schon jetzt knapp bemessen.

Gerade die Abwehrleistung gegen „gefährliche Stürmer“ wie Mario Balotelli hatte Löw erfreut. „Wir haben wahnsinnig gut in der Defensive gestanden“, lobte er. „Wir haben weniger klare Chancen zugelassen als zuletzt“, betonte auch Lahm, den Löw nach den Ausfällen von Schweinsteiger und Gündogan wieder ins defensive Mittelfeld gestellt hatte. „Taktisch haben wir wieder einen Schritt nach vorne gemacht“, bilanzierte der Kapitän: „Wir haben weniger klare Chancen zugelassen als zuletzt.“

Löw kündigte „auf jeden Fall“ personelle Veränderungen gegen England an: „Wir versuchen, das alles ein bisschen aufzuteilen.“ Auch im Hinblick auf das anschließende Bundesliga-Topspiel Dortmund gegen Bayern und die folgenden Champions-League-Aufgaben etlicher Nationalspieler möchte der Bundestrainer vermeiden, dass zu viele Spieler in der Nationalmannschaft zweimal über die volle Zeit ran müssen. Unter anderem sollen die Dortmunder Marco Reus und Marcel Schmelzer im Wembleystadion von Beginn an auflaufen. BVB-Torhüter Roman Weidenfeller könnte zu seinem Debüt für Deutschland kommen.