Der Stabhochspringer düpiert in Moskau den großen Favoriten Lavillenie und überspringt als einziger 5,89 Meter im ersten Versuch. Teamkollege Otto holt Bronze, Schwanitz Silber im Kugelstoßen.

Moskau. Das Schlimmste muss wohl sein, nichts mehr tun zu können. Dazustehen und zuzusehen, wie der andere noch die Chance hat, einem in die Suppe zu spucken. Machtlos, hilflos, alles andere als emotionslos.

Da stand der Stabhochspringer Raphael Holzdeppe also nun und schaute seinem Konkurrenten Renaud Lavillenie zu, wie der sich bereit machte zum entscheidenden Sprung. Hopp oder top: Sollte Lavillenie im dritten Versuch die 5,96 Meter überspringen, wäre er der Weltmeister. Wenn nicht, hieße der Sieger Holzdeppe. Der Franzose nahm Anlauf, er schwang sich auf – und riss die Latte mit sich in die Tiefe, was Holzdeppe in diesem Moment wiederum zu einem wilden Sprint Richtung Tribüne animierte. Wäre der 23-Jährige Fußballspieler, er hätte für das spontane Ausziehen seines Trikots die Gelbe Karte kassiert.

So aber blieb ihm Freude pur. „Einfach Wahnsinn!“, jubelte Holzdeppe, „ich habe mich gut gefühlt. Aber damit rechnet man vorher nicht.“ Über den bangen Moment des Wartens sagte er: „Da war ich schon ein bisschen nervös. Lavillenie ist diese Saison so oft über 5,90 Meter gesprungen, da war eigentlich doch damit zu rechnen, dass er einen rübersetzt.“

Von wegen. Statt seinen beeindruckenden Medaillensatz um einen WM-Titel zu bereichern, blieb dem dauerdominanten Franzosen letztlich nur Silber. Vier Fehlversuche hatte sich der Mann mit dem Spitznamen „Air France“ geleistet, bis er über 5,89 Meter flog. Zu viele an diesem Abend, an dem Holzdeppe erst 5,65, dann 5,85 sowie 5,89 Meter gleich im ersten Versuch meisterte.

Dabei sei das Einspringen „katastrophal gewesen“, berichtete der Sportsoldat vom LAZ Zweibrücken. „Aber ich musste das Ding einfach nur noch so machen, wie ich es draufhabe.“ Es war ja auch nicht so, dass er Lavillenie nicht schon bezwungen hätte, Anfang Juni beim Diamond-League-Meeting in Rom. Dort stellte der Olympiadritte aus Deutschland mit 5,91 Meter seine Bestleistung im Duell mit dem Olympiasieger aus Frankreich ein. Erst am deutschen Rekord von 6,02 Meter scheiterte Holzdeppe seinerzeit.

Seine Taktik diesmal ging voll auf. „Die ersten Sprünge hoch und fehlerfrei – so kannst du den Renaud unter Druck setzen. Das hat funktioniert“, analysierte anerkennend Björn Otto. Ihm als 35 Jahre altem Vielflieger blieb im Finale nach 5,82 überwundenen Metern noch Bronze und die Erkenntnis: „Blöd, es war mehr drin! Ich habe nicht das gezeigt, was ich drauf hatte. Es gab mehrere Problemchen, die den Ablauf betreffen. Aber ‚Rapha‘ hat gezeigt, dass es geht. Insofern muss ich zufrieden sein.“

Ablaufprobleme? Otto präzisierte: „Wenn ein Kameramann noch 20 Sekunden vor Ablauf der Zeit da einen halben Meter neben meiner Bahn steht und sich dreimal dreht und da vor mir herumtanzt, ist das schon ein bisschen doof.“

Malte Mohr, der dritte Deutsche in dem hochklassigen Wettkampf, grummelte als Fünftplatzierter (5,82 Meter): „Ich dachte, dass ich 5,89 Meter springen kann. Ich hatte noch ein paar Stäbe in petto.“ Und die anderen beiden? „Ich gönn’s ihnen. Aber nach so einem Wettkampf fällt es schwer, sich mit ihnen zu freuen.“

Dass Holzdeppe, der sich seine Haare passend bereits goldfarben gefärbt hatte, das erste WM-Gold für die Stabhochspringer gewonnen hat, verleiht seinem Sieg noch eine besondere Note. „Jeder hat sein Ding durchgezogen. Wir haben eine fast perfekte Ausbeute geholt mit zwei Medaillen.“

Kugelstoßerin Schwanitz holt Silber

Dass dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) an diesem milden Abend im abermals allenfalls halb gefüllten Luschniki-Stadion eine weitere Medaille ins Kontor fiel, dafür sorgte die Kugelstoßerin Christina Schwanitz. Vor dem sechsten und letzten Versuch noch außerhalb der Medaillenränge, wuchtete die Dresdnerin ihr Arbeitsgerät fulminant auf eine persönliche Bestweite. 20,41 Meter langten für die Silbermedaille hinter der Abonnements-Siegerin Valerie Adams aus Neuseeland (20,88).

Ha, ha, lachte Schwanitz später mit heiserer Stimme dröhnend, sodass jedermann sie hören konnte in den Stadionkatakomben: „Ich hatte ja noch eine Wette mit meinem Trainer laufen. Entweder ich stoße 20 Meter, wenn mein Trainer dabei ist. Oder zwei Meter mehr als Nadine Kleinert in einem gemeinsamen Wettkampf.“ Diese Wette hat sich gelohnt: Im nächsten Trainingslager in Kienbaum muss Sven Lang Morgenmuffel Schwanitz länger schlafen lassen zur Belohnung.