Sabine Lisicki hat spätestens durch ihren Halbfnal-Triumph über Agnieszka Radwanska das Publikum auf ihre Seite gezogen - darunter auch Martina Navratilova.

London. Es war das Spiel ihres Lebens. Ein Spiel, das ihr ganzes Leben in drei dramatischen Tennis-Akten und 138 Minuten verdichtete. Ein Spiel, in dem Sabine Lisicki erst höchste Höhen erklomm, dann durch tiefste Täler marschierte, dann schon fast aussichtslos geschlagen schien und schließlich doch mit beeindruckender Courage deutsche Tennisgeschichte schrieb – als erste Wimbledon-Finalistin seit Steffi Graf 1999. „Heute ist mein großer Traum in Erfüllung gegangen“, sagte die 23-Jährige nach dem 6:4, 2:6, 9:7-Drama gegen die polnische Weltranglisten-Vierte Agnieszka Radwanska. „Ich bin einfach nur überglücklich.“ Es war ein Spiel, dass 13.000 Zuschauer im Herzen des All England Club mit atemberaubenden Kehrtwendungen von den Sitzen riss.

Mit einem Aufschrei der Erleichterung ging die Berlinerin nach dem Tennis-Donnerschlag unter heiterem Himmel zu Boden, geschüttelt von Tränen der Rührung und des Glücks. Nach all den euphorischen und enttäuschenden Karrierstationen, nach Verletzungspech und schwierigen Rückkehrversuchen. „Ich war nahe dran an einem Herzinfarkt“, sagte der sichtlich mitgenommene Vater und Trainer Richard Lisicki, der seiner Tochter ein Jahrzehnt lang mit unermüdlichem Einsatz und großer Umsicht den Weg in die Weltspitze geebnet hatte.

Derweil fasste Bundestrainerin Barbara Rittner den Tag, der auch die Krönung dieses neuen deutschen Fräuleinwunders auf den Centre Courts bedeutete, mit einem einzigen Wort des verdienten Lobes für Lisicki zusammen: „Grandios.“ Das spielte vor allem auf die letzte von vielen Aufholjagden an, auf das wichtigste Comeback in Lisickis Laufbahn – jenen erstaunlichen Umschwung im dritten Satz nach einem 0:3-Rückstand bis zu jenem aufwühlenen Augenblick um genau 17.58 Uhr deutscher Zeit, als sie eine Vorhand unerreichbar ins gegnerische Feld drosch. Mit 9:7 ging dieses Drama zwischen Himmel und Hölle zu Ende, die Verabredung zum Finale mit der Französin Marion Bartoli war perfekt – und die Chance, als erste deutsche Spielerin seit 1996, als Steffi Graf gegen Arantxa Sanchez-Vicario in diesem legendären Tennisstadion zu triumphieren. Vor dem Match hatte sie noch eine persönliche Nachricht von Steffi Graf aus Las Vegas erhalten: „Go for it!“

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Niemals aufgeben – das war das Motto. „Ich habe einfach an das Match gegen Serena Williams gedacht“, sagte sie später, von Tränen geschüttelt. „Ich habe mit ganzem Herzen gekämpft und den Glauben nicht verloren.“ Sie ist auf großer Bühne die stärkste Erbin Steffi Grafs Eine Spielerin, die eine Attitüde der Beschwingtheit und Furchtlosigkeit auf den Platz bringt, die in Wimbledon ihren ganz besonderen Charme entfaltet. Publikumsliebling ist Sabine Lisicki nicht erst seit Donnerstag, seit dem Vorstoß ins erste Grand Slam-Finale überhaupt. „Die Fans hier wollen, dass sie das Turnier gewinnt. Kein Zweifel“, sagte die große Tennis-Lady Martina Navratilova am Abend des Lisicki-Coups. „Ich glaube auch, dass sie nun endgültig dafür bereit ist.“ Niemand habe Wimbledon jenseits von Andy Murray in diesen Tagen so begeistert wie Lisicki, sagte Englands früherer Star Tim Henman, „sie ist der Darling, der allen gute Laune macht.“

Lisicki bezeichnet Spiel als „Schlacht“

Doch welches Gefühlschaos musste die Berlinerin durchleben in einem Spiel, das sie später ungewohnt martialisch als „Schlacht“ bezeichnete. In diesem Duell hatten beide, Lisicki und Radwanska, abwechselnd den Sieg vor Augen, balancierten am Abgrund der Niederlage. „Es war eine Frage des Willens, der größeren Zähigkeit, der Power im Kopf“, sagte US-Altmeister John McEnroe. Er hatte Lisicki beim Herausmarschieren auf den Centre Court in einem Blitzinterview noch einmal höflich zum Sieg im Viertelfinale gratuliert, doch die Deutsche brach den Smalltalk schnell ab und sagte: „Two more to go“ (Zwei Spiele bis zum Sieg). Sie hielt sich nicht mit dem Gestern auf, sie war im Hier und Jetzt auf den Sieg fokussiert.

Und das zunächst mit imponierender Konsequenz. Den ersten Satz bestimmte ihre souveräne Regie. Wie selbstverständlich beherrschte Lisicki die Nummer vier der Welt, diese ungemein schlaue Strategin Radwanska, die im Vorjahr erst im Finale von Serena Williams gestoppt worden war. 6:4 hieß es nach nur 33 Minuten, nach einer Demonstration von Zuversicht und Entschlossenheit, Kraft und Eleganz. „Das war vielleicht der beste Satz, den ich überhaupt je gespielt habe“, sagte sie. Doch nach einer übermütig vergebenen Chance zur 2:0-Führung im zweiten Durchgang fiel Lisicki jäh in ein tiefes Leistungsloch, verlor Aufschlag um Aufschlag bis zum 2:6-Satzverlust und sah bei 0:3 im dritten Satz wie eine Verliererin aus.

Doch Lisicki befreite sich, brachte das Match in die Verlängerung. Bei 5:4 war sie nur zwei Punkte vom Sieg entfernt, stand aber selbst bei 5:6 und 40:40 vor dem Aus. „Aufregender ging’s nicht“, sagte sie später. „Ich musste mich zwingen, irgendwie die Ruhe zu behalten.“ Bei einer 8:7-Führung wirkte sie dann wieder wie die Souveränin des Centre Court. Wie jemand, der diesen Platz einmal als zweites Wohnzimmer bewohnen will. Wie einst Boris Becker und Steffi Graf.

Rothenbaum-Turnierchef Michael Stich, Wimbledonsieger 1991, sagte am Abend: „Ein Sieg von Sabine im Finale würde würde unserem Sport einen unglaublichen Schub geben.“