Die Berlinerin besiegt die Titelverteidigerin Serena Williams sensationell in drei Sätzen. Hamburger Tommy Haas unterliegt Novak Djokovic dagegen deutlich.

London. Nur einmal lag sie auf dem berühmtesten Tennisplatz der Welt am Boden. Doch da war Sabine Lisicki obenauf wie nie zuvor in ihrer Karriere, durchflutet von einer Welle des Glücks, der Rührung und des Stolzes. Es war der Moment einer deutschen Centre-Court-Sternstunde in Wimbledon, die an die großen Zeiten von Boris Becker und Steffi Graf erinnerte. Der Moment, in dem Lisicki die Unbesiegbare gestürzt hatte, die fünfmalige Wimbledon-Königin und Titelverteidigerin Serena Williams, die Tennis-Titanin („Daily Telegraph“), die in dieses Achtelfinale am „Manic Monday“, dem verrückten Montag, mit einer Siegesserie von zuletzt 34 gewonnenen Matches gegangen war. „Es ist unglaublich, was ich da geschafft habe. Ich zittere immer noch am ganzen Körper“, sagte die Berlinerin nach dem sensationellen 6:2, 1:6, 6:4-Triumph, „das ist definitiv der größte Sieg meines Lebens.“

Sie, die Frau mit dem besonderen Gespür für Rasen, ist längst die Spezialistin für die außergewöhnlichen, spektakulären Momente an der Church Road. Schon im Vorjahr hatte Lisicki in der Runde der letzten 16 einen schillernden Superstar der Branche gestürzt, die große Maria Scharapowa. „Angst vor großen Namen kennt Sabine nicht. Kannte sie noch nie“, sagte Bundestrainerin Barbara Rittner, die vor dem Centre-Court-Duell klipp und klar und völlig zutreffend gesagt hatte: „Wenn hier eine Williams schlagen kann, dann Lisicki.“ Nun trifft Lisicki an diesem Dienstag im vierten Wimbledon-Viertelfinale ihrer Karriere auf die Estin Kaia Kanepi – eine schlagstarke Außenseiterin, die am Freitag in Runde drei Angelique Kerber ausgeschaltet hatte. Doch nach dem Coup gegen Williams schien alles möglich für die Blondine mit dem Spitznamen „BumBum-Bine“, vielleicht sogar der erste deutsche Grand-Slam-Sieg seit Steffi Grafs French-Open-Erfolg 1999. „Hol dir das Ding“, twitterte Kollegin Andrea Petkovic schon mal.

Monatelang hatte die 23-jährige Lisicki eher unscheinbar ihr Arbeitspensum verrichtet und Ergebnisse produziert, die eher Kopfschütteln als Aufsehen erzeugten. Doch in Wimbledon, an einem Schauplatz, mit dem sie vom ersten Profijahr an eine besondere Liebesbeziehung verbindet, rückte Lisicki als Fräulein Furchtlos wieder zur Hauptdarstellerin im großen Grand-Slam-Theater auf. „Sabine ist hier eine ganz andere Spielerin. Voll mit Selbstbewusstsein. Voll mit Zuversicht und Kraft“, sagte Vater und Coach Dr. Richard Lisicki nach dem Drama auf dem Centre Court, bei dem seine Tochter im letzten Satz eine ihrer verrückten Aufholjagden auf die Grand-Slam-Wiese zauberte, ein Comeback von 0:3- und 2:4-Rückständen zum 6:4-Halleluja.

Lisicki ist in Wimbledon Serientäterin

„Das gehört zu mir. Nie aufzugeben, auch wenn man fast keine Chance mehr hat“, sagte die Sensationslieferantin, die auch eine fast magische Serie im All England Club fortschrieb – schon zum vierten Mal in Folge schickte Lisicki die amtierende French-Open-Siegerin in die Sommerferien. 2009 die Russin Swetlana Kusnetsowa, 2011 die Chinesin Li Na, 2012 Maria Scharapowa – und nun auch noch Serena Williams, die unzweifelhafte Dominatorin des Welttennis. Die haushohe Wettfavoritin, auf die schon gar keiner mehr gesetzt hatte, weil es kein Geld mehr brachte.

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Doch als die Amerikanerin um 16.22 Uhr auf dem Centre Court mit grimmiger, eisiger Miene zum Netz stampfte und Lisicki dann mit einem leicht schiefen Löwinnen-Lächeln die Hände schüttelte, da wusste sie wohl selbst nicht so recht, was soeben mit ihr geschehen war. Bezwungen hatte sie indes eine Spielerin, die bei den Big Points am Ende des Dramas noch ein Stück besser war, die mit ihrer unbeugsamen Moral und Leidenschaft selbst nicht verzagte, als sich Williams im dritten Satz von ihr absetzte. Doch Wimbledon ist Wimbledon, und Lisicki ist hier mehr als Lisicki, eine Spielerin, die regelrecht Kraft aus dem besonderen Wimbledon-Flair saugt und über sich hinauswächst. Die nicht zurückzuckt im Augenblick der Bedrängnis, sondern noch einmal mit höchstem Einsatz das Risiko sucht – und den Erfolg findet. „Wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen“, sagte Lisicki nach ihrem Parforceritt, bei dem sie wie auch in den letzten irren Wimbledon-Jahren für denkwürdige Szenen sorgte.

So etwa, als sie im dritten Satz bei einem 3:4- und 0:40-Rückstand noch das 4:4 mit letzter Entschlossenheit besorgte, dann ein Break zum 5:4 schaffte und mit heißem Herzen das Match zum 6:4 ausservierte. „Ich bin fast gestorben vor Aufregung“, sagte Mutter Elisabeth später, „aber Sabine hat das fast genossen. Sie liebt diese Momente, diese Spiele, diese Bühne.“ Mehr noch jedenfalls als die große Serena Williams, die später lapidar zu Protokoll gab: „Als es zählte, war Sabine besser. Mehr muss man kaum sagen. Ich wundere mich, dass sie nicht besser in der Rangliste steht.“ Sogar 3:0 hatte die bullige Branchenführerin ja im Schluss-Akt bereits geführt, ehe ihr Lisicki dann so gewaltig zusetzte – meist mit einem strahlenden Lächeln, einer selbstbewussten Körpersprache und einer Abgeklärtheit, die selbst eine wie die frühere Weltranglisten-Erste Tracy Austin verblüffte. „In Grand-Slam-Spielen wie diesen zeigt sich, was in einer Spielerin steckt. Und das ist bei Sabine eine ganze Menge.“

Eine ganze Menge hatte sich auch Tommy Haas gegen den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic vorgenommen. Doch für den Hamburger wurde es trotz großer Gegenwehr eine wenig vergnügliche Begegnung. Nach zwei Stunden und 13 Minuten hatte der 35-Jährige sein Achtelfinalmatch mit 1:6, 4:6 und 6:7 (4:7) verloren.