Hobbyreiter Gilbert Tillmann triumphiert in Klein Flottbek im Stechen mit dem ältesten Starter im Feld

Hamburg. Überraschungen gab es jede Menge in der 93-jährigen Geschichte des Deutschen Springderbys, aber so etwas wie am gestrigen Sonntag noch nie. Mit dem Wallach Hello Max gewann nicht nur der mit 19 Jahren älteste Starter, sondern auch der mit dem wundersamsten Werdegang: vom Schul- und Karnevalspferd zum umjubelten Triumphator von Klein Flottbek. Und im Sattel saß mit Gilbert Tillmann ein Hufschmied aus dem Rheinland, dessen Hobby Reiten ist. Die Husarenritte dieses Gespanns waren ganz nach dem Geschmack der 25.000 Zuschauer im Derbypark. Mit minutenlangem Beifall animierten sie die Sieger zu fünf Ehrenrunden - und wer nicht ohnehin stand, erhob sich vor Begeisterung.

Carsten-Otto Nagel auf Lex Lugar, vor drei Jahren im 81. Derby siegreich, oder Gilbert Tillmann mit Hello Max, das war die Entscheidung nach dem ersten Durchgang. Beide hatten nur am Wassergraben gepatzt und mit jeweils vier Fehlerpunkten die Heerschar der Favoriten hinter sich gelassen. Vom ersten Dutzend kamen nur fünf Reiter über den wohl problematischsten Parcours der Pferdewelt. Pulvermanns Grab, der Große Wall und verblüffend oft der 3,80 Meter breite Wassergraben erwiesen sich als eine Nummer zu schwierig. Fehlerfrei blieb an diesem Sonntag niemand.

Nach den Qualifikationssiegern Emanuele Gaudiano aus Italien und dem Schweizer Pius Schwizer scheiterten weitere Reiter mit großen Namen. Marcus Ehning (Borken) schied ebenso aus wie Jur Vrieling aus den Niederlanden, am Donnerstag noch Sieger des Championats. Auch Titelverteidiger Nisse Lüneburg aus Wedel war nach vier Abwürfen chancenlos.

"Heute ist der Tag der Überraschungen", ahnte der zweifache Derbysieger Achaz von Buchwaldt. Der Altmeister behielt recht. Ebenfalls mit der Erkenntnis, dass die Vormachtstellung der Mecklenburger mit vier Erfolgen in den vergangenen sechs Jahren erst einmal gebrochen ist. "Wer speziell für die Hamburger Hindernisse geübt hat, wurde belohnt", analysierte Derby-Sportchef Paul Schockemöhle. Nach fast drei Stunden Spannung war der Oldtimer Hello Max im Stechen, in dem erneut jeder einen Abwurf hatte, 1,01 Sekunden schneller als der sechs Jahre jüngere Lex Lugar. Dessen Reiter Carsten-Otto Nagel erwies sich als Sportsmann: "Lex war heute besser als ich. Hut ab vor Gilbert Tillmann."

Im Anschluss an die Siegerehrung vor der Haupttribüne schilderte der 31 Jahre alte Schmied das wechselvolle Leben seines Wallachs, der als Sechsjähriger aus Irland zum väterlichen Reitstall nach Grevenbroich gekommen war. Erst war er als Schulpferd für Kinder im Einsatz, 2001 ritt er sogar beim Karnevalsumzug in Köln mit. Durch Zufall wurde seine Begabung fürs Springen entdeckt. Krönung der Karriere war Platz vier im Derby 2011. Doch diesmal kam alles noch viel besser.

Zur formidablen Stimmung passte ein geschäftlicher Erfolg: Im Anschluss an die zweite Etappe der Global Champions Tour am Sonnabend wurde der Vertrag mit den Ausrichtern des Weltklassewettbewerbs um weitere fünf Jahre bis 2018 verlängert. Seit 2008 macht die Tour im Westen Hamburgs Station. "Damit können sich die Norddeutschen auch zukünftig über die Weltelite freuen", sagte Paul Schockemöhle. Sein Partner, Turnierleiter Volker Wulff, kündigte an, das Preisgeld dieser Prüfung vom kommenden Jahr an von aktuell 285.000 auf 300.000 Euro oder mehr erhöhen zu wollen. Im Sog dieses Wettbewerbs, so das Kalkül, werden weiterhin die besten Reiter und Pferde der Welt nach Klein Flottbek kommen. Davon profitiere auch das Derby, das in diesem Jahr 81.700 Menschen besuchten - Rekord.

Ob die eines derart hochkarätigen Events unwürdigen äußeren Umstände mit mehr oder weniger schrottreifen Tribünen und Schimmel hinter den Kulissen bald abgestellt sind, ist fraglich. Am Sonnabend machten sich die führenden Politiker der Stadt selbst ein Bild vom Charme des Derbyparks, aber auch von den Schattenseiten. Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator Michael Neumann (siehe Interview) weilten jeweils mehr als zwei Stunden vor Ort, ließen sich Stallungen, Springreitparcours und Dressurviereck zeigen. Für Scholz war es die Premiere unter den alten Eichen Klein Flottbeks. Die Hamburger Springreiterin Janne-Friederike Meyer und Paul Schockemöhle führten ihn auch zu sagenhaften Hindernissen wie Pulvermanns Grab und dem Großen Wall.

Noch nicht gesichert ist die weitere Zusammenarbeit mit dem Hauptsponsor Tchibo. Die Kaffeeröster sind seit zehn Jahren federführend dabei, pflegen indes immer nur von Jahr zu Jahr zu verlängern. Langfristig, so die Vision des Turnierchefs Wulff, könnte das Pferde-Festival um einen Tag erweitert werden. Dann würde es bereits am Mittwoch vor Himmelfahrt offiziell losgehen, während es in diesem Jahr am Mittwoch nur Showelemente gab. "Ein weiteres Ziel ist ein großes Springen am Abend", sagte Wulff. "In Hamburg gibt es das Publikum für ein solches Ereignis." In Absprache mit Innensenator Neumann will Wulff rasch einen Planungsgipfel initiieren, der über einen Tribünenneubau berät.

Und Hello Max? Noch am Sonntagabend wurde der alte Raufer ins Rheinland zurückgebracht - mit Gilbert Tillmann am Steuer des Transporters. Mit an Bord waren ein Scheck über 25.000 Euro des Preisgeldes von insgesamt 105.000 Euro - und gute Hoffnung: Im Juli erwartet Ehefrau Jessica ein Mädchen. Für Hello Max dagegen ist die Schlacht geschlagen. Mit 19 Jahren hat es sich ausgesprungen. Auf einer Wiese beginnt ab heute der Ruhestand.