Der Torhüter verschuldete den Treffer der Kasachen und wurde daraufhin vom Publikum gnadenlos ausgepfiffen. Reus ist jetzt erfolgreichster Torschütze der Quali. Lahm zieht mit Schweinsteiger gleich.

Hamburg. Es läuft die 46. Minute im Heimspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Kasachstan in Nürnberg. Beim eigentlich harmlosen Rückpass von Abwehrspieler Per Mertesacker ist Manuel Neuer mit den Gedanken wohl noch in der Kabine. Dem Keeper verspringt der Ball bei der Annahme, Jolchiyev geht konsequent dazwischen und der Fürther Heinrich Schmidtgal sagt danke und schiebt ein zum Ehrentreffer für die Gäste.

Neuer wurde mal wieder seine offensive Spielweise zum Verhängnis. Er wusste sofort, dass dieses unnötige Gegentor komplett auf seine Kappe ging und entschuldigte sich mit einer Geste bei Fans und Mitspielern. Doch die Zuschauer quittierten daraufhin jeden Ballkontakt des Schlussmanns mit einem gellenden Pfeifkonzert.

Joachim Löw ärgerte sich mächtig über das Verhalten des Publikums. „Den Fehler vor dem 3:1 muss man Neuer natürlich ankreiden. Was ich aber nicht gut finde, ist, dass man ihn danach auspfeift. Das ist nicht in Ordnung und unsportlich“, sagte der Bundestrainer. Löw weiß, was er an Neuer hat, der „die vergangenen Jahre hervorragende Leistungen gezeigt hat“. Ihn wegen eines Fehlers an den Pranger zu stellen, hält der Coach für unangemessen.

Doch sicher ist auch, dass Neuer so ein Fehler in einem Topspiel wie gegen Spanien oder Italien nicht unterlaufen darf. Gegen Kasachstan blieb sein kapitaler Blackout glücklicherweise ohne Folgen. Trotzdem bereute Neuer seinen unkontrollierten Ausflug aus dem Strafraum wohl am meisten. „Geschenke verteilt man normalerweise nicht. Das habe ich heute gemacht, und dafür möchte ich mich bei der Mannschaft und den Zuschauern entschuldigen“, sagte Neuer.

Sein grober Schnitzer hatte ihm die komplette Geburtstags-Freude verdorben. „Auf ein Bierchen habe ich jetzt überhaupt keine Lust“, sagte der Nationaltorhüter rund eine Stunde, bevor sein 27. Geburtstag begann: „Ich wäre nach dem Fehler am liebsten direkt in die Kabine gegangen.“

Doch statt sich einzubuddeln stellte sich Neuer nach dem 4:1 in der WM-Qualifikation gegen Kasachstan Kritikern und Fragestellern. Er zeigte Charakter nach einem Spiel, in dem die fränkischen Fans dem Bayern-Schlussmann übel mitgespielt und ihn nach seinem Fehler mit Schadenfreude verhöhnt hatten. „Das war wohl die Initialzündung dafür, dass wir eine schlechte zweite Halbzeit hatten“, sieht sich der Schlussmann verantwortliche für eine nachlässige DFB-Elf im zweiten Durchgang.

Unterstützung von allen Seiten erhielt die weiterhin klare Nummer eins im deutschen Tor auch nach dem Spiel. Bundestrainer Joachim Löw und sämtliche Kollegen ereiferten sich wegen der Pfiffe der Zuschauer. „Ihn wegen eines Fehlers mit Häme zu begleiten, finde ich nicht gerechtfertigt und fair“, schimpfte Löw.

Neuer selbst hatte die Pfiffe natürlich gehört. Er hatte ja auch nach dem Gegentor fast nichts zu tun in diesem Spiel. Wie sehr sie ihn kränkten, konnte man in seinem Gesicht ablesen, doch Öl ins Feuer gießen wollte er nicht. „Ich will nichts gegen die Fans sagen“, erklärte er: „Ich kann es ja eh nicht ändern.“

Nicht ändern soll und muss Neuer auch seine riskante Spielweise. „Er wollte das spielerisch lösen, und das soll er auch weiterhin versuchen“, versicherte Löw: „Manuel spielt einen offensiven Torhüter, daher soll er seinen Spielstil auf keinen Fall umstellen.“

10,69 Millionen sehen Neuers Patzer

Den folgenreichen Patzer des deutschen Nationaltorhüters sahen nicht nur die 43.520 Zuschauer in der ausverkauften Nürnberger Arena, sondern auch mehr als 10,69 Millionen Zuschauer vor den Bildschirmen. Mehr Freude über den großen Zuspruch hatte die ARD, die mit der Übertragung des Länderspiels die Top-Quote am Mittwoch holte (Marktanteil 34,7 Prozent).

+++ DER SPIELVERLAUF ZUM NACHLESEN +++

Auch für die Zusammenfassung der übrigen WM-Qualifikationsspiele blieb ein Großteil der Zuschauer dem "Ersten" treu (6,52 Millionen/34,9 Prozent). Der Vorberichterstattung hatten sich bereits 7,12 Millionen Zuschauer zugeschaltet (27,1 Prozent).

Lahm zieht mit Schweinsteiger gleich, Reus mit Özil

Rechtsverteidiger Philipp Lahm bestritt beim 4:1 gegen Kasachstan sein 98. Länderspiel für die deutsche Nationalmannschaft. Damit zog der Kapitän in der „ewigen“ Rangliste des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit Vorgänger Michael Ballack und Vize-Kapitän Bastian Schweinsteiger gleich. Per Mertesacker vom FC Arsenal kam zu seinem 88. Einsatz im DFB-Dress. Unangefochtener Rekordnationalspieler ist Lothar Matthäus mit 150 Länderspielen.

Für Marco Reus gab es nach seinem zweiten Doppelpack gleich zweierlei Grund zum Jubeln. Der Dortmunder ist nun gemeinsam mit Mesut Özil der erfolgreichste deutsche Torschütze in der WM-Qualifikation. Beide Akteure haben nach insgesamt sechs Partien jeweils fünf Treffer erzielt. Dahinter folgen Miroslav Klose und Mario Götze mit drei Toren. Mit insgesamt 22 Toren ist die deutsche Nationalmannschaft zum derzeitigen Stand der Ausscheidung die treffsicherste in der europäischen Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien.