Hamburg hatte Kiel am Rande seiner ersten Niederlage seit Mai 2011. Trotz 28:23-Führung verlor der HSV das Spitzenspiel mit 30:33.

Hamburg Die Hallenuhr zählte die letzten Sekunden herunter, als Hamburgs Spielmacher Michael Kraus noch einen letzten Rückhandwurf absetzte. Nach hoher Flugkurve senkte sich der Ball ins verwaiste Tor des THW Kiel. Es zählte nicht mehr. Kiels Torwart Thierry Omeyer stand zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Jubelkreis seiner Mannschaft, um einen Sieg zu feiern, den kaum noch jemand für möglich gehalten hatte. Mit 33:30 (12:15) hatten die Kieler das Spitzenspiel der Handball-Bundesliga beim HSV gewonnen und eine historische Niederlage in den letzten Minuten noch abgewendet.

„Es ist unglaublich schade und enttäuschend“, sagte HSV-Trainer Martin Schwalb. „Wir haben alles in dieses Spiel reingeschmissen und lange Zeit begeisternden Handball gespielt.“ Mit 28:23 hatte seine Mannschaft zehn Minuten vor Schluss bereits geführt. Sie strebte scheinbar unaufhaltsam einem historischen Sieg entgegen. Seit dem 4. Mai 2011 (24:30 in Magdeburg) hatten die Kieler in der Bundesliga nicht mehr verloren. Diese letzte Niederlage fiel in eine Zeit, in der der HSV dominierte und Meister wurde. Doch danach hatten die Hamburger den Anschluss verloren an die Kieler, die in der vergangenen Saison nicht nur ohne Punktverlust Meister wurde, sondern auch die Champios League und den Pokal gewinnen konnten.

Bis zu diesem Sonnabend. Der HSV kämpfte sich erst ins Spiel, um es dann auch spielerisch zu dominieren. Er war so stark wie wohl seit jener Meistersaison nicht mehr. Doch dann erlebten die 13.296 Zuschauer in der ausverkauften O2 World statt eines historischen Sieges einen historischen Einbruch. Mit 3:10 verlor der HSV die letzten zehn Minuten – und am Ende wieder einmal die Partie. Bei 12:6 Punkten liegen die Hamburger fünf hinter den Kielern, die bis auf Weiteres die Tabellenführung übernahmen.

„Die Mannschaft hätte den Sieg wirklich verdient nach allem, was sie investiert haben“, sagte Schwalb. Sogar Blazenko Lackovic war aufgelaufen. Der Halblinke hatte sich beim 28:28 neun Tage zuvor in Neuhausen den Finger gebrochen. „Er wird aber nur im äußersten Notfall spielen“, hatte der Trainer beschwichtigt. Dieser Notfall trat nach 38 Minuten ein, als Matthias Flohr nach der dritten Zeitstrafe die Rote Karte sah und so eine Lücke in die bis dahin starke Abwehr riss.

Das Comeback der wieder genesenen Pascal Hens und Marcin Lijewski war dagegen erwartet worden. Der Trainingsrückstand war beiden nur in einigen Szenen anzumerken. Hens, der noch kurz vor Spielbeginn seinen Einsatz ausgeschlossen hatte, schien die Pause sogar gut getan zu haben. Er war es, der beim HSV nach dem 5:8-Rückstand (18. Minute) zu einer entscheidenden Tempoverschärfung antrieb. In dessen Folge warf Matthias Flohr den HSV mit 11:10 erstmals in Führung (24.). Nach dem Zwischenstand von 12:12 (26.) konnte sich der HSV bis zur Halbzeit sogar um drei Tore absetzen und wurde unter Standing Ovations in die Kabine verabschiedet.

Schwalbs Konzept war bis dahin aufgegangen. Die offensive Drei-zwei-eins-Deckung konnte die Kieler im Spielaufbau oft entscheidend stören und so Tempogegenstoßchancen eröffnen, Torhüter Dan Beutler sich nach verhaltenem Beginn steigern.

Als Kraus dann nach einem bemerkenswerten Kraftakt beim 23:18 die erste Fünftoreführung herauswarf, schien nichts mehr den HSV aufhalten zu können (38.). Weiter allerdings ließ sich der THW nicht mehr abschütteln. Und irgendwann kam, was angesichts der personellen Notlage des HSV wohl kommen musste: Erst schwand die Kraft, dann die Konzentration und am Ende auch der Mut, weiter entschlossen aufs Tor zu gehen. Namentlich Kiels Welthandballer Filip Jicha bestrafte die Zaghaftigkeit der Hamburger brutal.

Schwalb bemühte sich, das Positive hervorzuheben: „Wir haben gezeigt, dass wir hohen Ansprüchen genügen. Aber um Kiel umzustemmen, brauchen wir die verletzten Spieler noch.“ Seine Mannschaft hat nun elf Tage spielfrei, ehe sie gegen die Rhein-Neckar Löwen am 7. November erneut maximal gefordert ist. Eine adäquate Vorbereitung ist allerdings kaum möglich: Aufgrund der EM-Qualifikation stehen bis 5. November von den gestandenen Feldspielern nur Flohr, Hens, Kraus und Stefan Schröder zur Verfügung.


Tore:

HSV Hamburg: Lijewski 8, Kraus 5, Hens 4, Flohr 4, Lindberg 3 (1 Siebenmeter), Vori 2, Duvnjak 2, Nilsson 1, Petersen 1

Kiel: Jicha 8, Vujin 5 (5), Zeitz 4, Sprenger 3, Palmarsson 3, Narcisse 3, Ilic 3, Klein 2, Sigurdsson 1, Ahlm 1.

Schiedsrichter: Geipel/Helbig (Teutschenthal/Landsberg).

Zuschauer: 13.296.

Zeitstrafen: 5; 6.